# taz.de -- Doku über Kleinparteien in der ARD: Immer auf die Kleinen | |
> In einer zweiteiligen TV-Doku will die ARD Kleinparteien vorstellen. Aber | |
> stattdessen werden sie durch den Kakao gezogen. | |
Bild: Chef einer „Bettvorleger“-Partei? Der Piraten-Bundesvorsitzende Patri… | |
Bei Menschen, die schon länger im Fernsehen zu tun haben, ist es häufig | |
schwer auszumachen, ob die gezeigten Emotionen echt sind – oder nur der | |
Szenendramaturgie dienen. Wenn Julia Lehmann, Reporterin des Saarländischen | |
Rundfunks, also im Schneidersitz auf einem Teppich sitzt und ungläubig auf | |
den orange gekleideten Yogalehrer mit Rauschebart neben ihr schaut, ist | |
kaum auszumachen: Ist sie wirklich von dessen Auftreten irritiert? Oder | |
möchte sie den Zuschauern nur vorgeben, wie dieser Mensch zu beurteilen sei | |
in seiner Andersartigkeit? Der Yogalehrer heißt Michael Moritz und ist | |
Vorsitzender der spirituellen Kleinpartei „Menschliche Welt“. SR-Reporterin | |
Lehmann besucht ihn für die zweiteilige ARD-Reportage „Wahl 2017: Die | |
kleinen Parteien“, deren zweiter Teil jetzt im Ersten lief. | |
Im Team mit Andreas Neumann von Radio Bremen hat Lehmann die Bundesrepublik | |
bereist – auf der Suche nach Kleinparteien. Das sind jene Vereinigungen, | |
die zwar bei Wahlen antreten, aber stets nur wenige Tausend Stimmen | |
erhalten. In den Wahlergebnissen tauchen sie nur unter „Sonstige“ auf. | |
Häufig gruppieren sie sich um ein bestimmtes Thema wie Tierschutz oder ein | |
bedingungsloses Grundeinkommen. Und oft entsprechen das Auftreten und die | |
Haltungen ihrer Mitglieder nicht denen der etablierten Parteien. | |
Man muss kein Anhänger dieser Parteien sein, um ihre Anliegen respektvoll | |
zu würdigen. Den ARD-Reportern scheint es aber vor allem darum zu gehen, | |
die Aktivisten kleiner Parteien kamerawirksam durch den Kakao zu ziehen und | |
deren Anliegen der Lächerlichkeit preiszugegeben. | |
Und so sitzt die Reporterin im schwäbischen Wolfegg zwischen sonderbar | |
gekleideten Hippies, die mit exotischen Instrumenten exotische Lieder | |
spielen. Aus dem Off sagt die Reporterin: „Dass manche ihre friedliche | |
Yoga-Philosophie seltsam finden, ist den Mitgliedern klar.“ Wobei unklar | |
bleibt, wer genau eine Partei mit knapp 500 Mitgliedern seltsam finden | |
soll, von der die meisten Wähler wohl noch nie etwas gehört haben. | |
Versteckt die Reporterin hier bloß ihre eigene Meinung? | |
## Warum überhaupt die Mühe? | |
Den Parteivorsitzenden Michael Moritz fragt Lehmann, ob er sich vorstellen | |
könne, dass die Abgeordneten im Bundestag vor Sitzungen meditierten? Moritz | |
antwortet, das halte er für unwahrscheinlich. Auf einem ähnlichen Niveau | |
bewegen sich viele Fragen im Beitrag. Überraschend ist die stoische | |
Gelassenheit, mit der die Yoga-Aktivisten die Spötteleien der Reporterin | |
ertragen. Vielleicht führt Meditieren ja doch zu innerer Ruhe. | |
Lehmanns Kollege Andreas Neumann gibt sich stellenweise demonstrativ | |
desinteressiert an seinen Gesprächspartnern. Als Nicole Angerstein von der | |
Magdeburger Gartenpartei schildert, wie ihre Parzelle für ein | |
Infrastrukturprojekt eingeebnet wurde, zoomt die Kamera weg von der | |
Interviewten auf den Reporter und dessen gleichgültigen Gesichtsausdruck. | |
Die Gartenpartei wendet sich gegen Bebauungspläne für Kleingartenanlagen. | |
Das muss außerhalb von Magdeburg niemand für politisch relevant halten, | |
aber warum sucht Neumann die Kleingärtner dann auf? | |
## Flucht ins spöttische Boulevard | |
Schon mit der Inszenierung der Interview-Termine machen die beiden Reporter | |
klar, dass sie an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit ihren | |
Gesprächspartnern nicht interessiert sind. Vertreter der Bayernpartei | |
müssen ihr Wahlprogramm im Wirtshaus bei Weißbier vorstellen, obwohl sie | |
mehrfach vehement dagegen protestieren, auf derlei Klischees reduziert zu | |
werden. Von der Tierschutzpartei wird eine besonders hysterisch wirkende | |
Aktivistin im Wahlkampf gezeigt, die schreiend auf Tierleid aufmerksam | |
macht. | |
Piratenpartei-Chef Patrick Schiffer wird zu einem Interview auf | |
Campingstühlen auf dem Vorplatz des Berliner Abgeordnetenhaus geladen. Der | |
Reporter sagt dazu süffisant: „Wir hätten ja gerne dort drinnen mit ihnen | |
diskutiert“, um sich danach darüber lustig zu machen, dass den Piraten der | |
Wiedereinzug ins Landesparlament 2016 nicht gelang. Zu einem „Bettvorleger“ | |
habe sich die Partei gewandelt. | |
Den Aktivisten der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), Christoph | |
Vandreier, fragt Lehmann, ob es nicht auch fair sei, dass, wer viel | |
arbeite, „auch viel verdient“. Vandreier antwortet: „Acht Individuen auf | |
der Welt haben so viel Vermögen, wie die andere Hälfte der Menschheit. Und | |
es ist doch nicht so, dass die so viel leisten würden, wie die andere | |
Hälfte der Menschheit.“ Es wäre spannend gewesen, Lehmanns Antwort auf | |
diese [1][Oxfam-Statistik] zu hören. Doch statt sich auf eine inhaltliche | |
Auseinandersetzung einzulassen fragt sie: „Das macht sie wütend, oder?“ – | |
und wechselt in Sekundenschnelle vom Konfrontationsjournalismus in den | |
spöttischen Boulevard. | |
## Man sollte ihnen Respekt entgegenbringen | |
Beim Umgang mit rechtsradikalen Parteien schlagen sich die Reporter besser. | |
Weil sie jede Partei besuchen möchten, die mit mindestens einer Landesliste | |
zur Bundestagswahl antritt, erhalten auch die Die Rechte und die NPD ein | |
Programmfenster. Rechte-Vorsitzender Sascha Krolzig kommt schnell ins | |
Stammeln, als die Reporterin ihn mit seinen Vorstrafen konfrontiert. Man | |
merkt beiden Moderatoren an, dass es ihnen ein persönliches Anliegen ist, | |
den Rechtsextremisten Paroli zu bieten. | |
Bei der Partei der Humanisten verfällt die ARD-Doku dann doch wieder in | |
substanzlose Blödeleien. Das Interview findet vor dem Kölner Dom statt. | |
„Radikale Säkularisten vor einem sakralen Monumentalbau, das wird sicher | |
ein Spaß“ haben sich die Redakteure wohl gedacht. Falsch gedacht. Der | |
Parteivorsitzende Felix Bölter hat kein Problem mit gotischen | |
Gotteshäusern, wohl aber mit dem massiven politischen Einfluss der | |
katholischen Kirche in Deutschland – den er detailreich schildert. Reporter | |
Lehmann spielt die soziale Karte. Wenn die Kirchensteuer wegfiele, könnten | |
die Kirchen dann nicht weniger Gutes tun? Man könne solche Gelder auch | |
nicht-religiösen Trägern zugänglich machen, lautet die Entgegnung. Bevor | |
Details geklärt sind, geht es schon wieder weiter. | |
In der raschen Abfolge kurzer Segmente fehlt auch leider Zeit zur | |
Reflektion über Sinn und Unsinn kleiner Parteien. Man kann sich darüber | |
streiten, ob die Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo), die chinesische | |
Regimekritiker für Agenten des US-Außenministeriums hält, die Demokratie | |
bereichert. Doch häufig treffen monothematische Parteien auch den Zeitgeist | |
und verbreitern den Diskurs. Das bedingungslose Grundeinkommen, für das | |
sich das gleichnamige Bündnis einsetzt, genießt laut Umfragen eine hohe | |
Popularität in Deutschland. Außerdem sind kleine Parteien ein Ausdruck | |
zivilgesellschaftlichen Engagements. Hier versuchen Menschen, am | |
politischen Willensbildungsprozess mitzuwirken. Dafür sollte man ihnen | |
zumindest ein wenig Respekt entgegenbringen. | |
12 Sep 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.oxfam.org/en/pressroom/pressreleases/2017-01-16/just-8-men-own-… | |
## AUTOREN | |
Jörg Wimalasena | |
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