Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ausstellungsempfehlung für Berlin: Seltsame Dingwelt
> Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge stellt mit seinem „Kabinett des
> Unbekannten“ gewohnte Hierarchien der Wissensvermittlung infrage
Bild: Mausefalle „Capito“, Luchs, Gütersloh, 1920-1935, Sammlung Werkbunda…
„Wiesbadener Gnom-Inspirolator“ steht auf einem winzigen Glasbehältnis, das
in einem Gummigefäß steckt, ein abzweigendes Röhrchen wird durch einen
Gummipfropf geschlossen. Ich denke an Zwerge. An Zaubertrank. An Wiesbaden.
Im Werkbundarchiv gibt es seltsame Dinge zu sehen: Eine etwas schäbige bunt
bemalte Büste Uta von Naumburgs etwa, oder eine Kunststoffplatte, auf der
ein schlanker Damenabsatz klebt. Ein metallenes Artefakt, könnte sakralen
Gebrauchswert haben.
Viele Gegenstände in diesem „Kabinett des Unbekannten“, die die
Gastkuratorin Ece Pazarbaşı für die gleichnamige Ausstellung
zusammengetragen hat, entziehen sich auch nach längerer Betrachtung einer
Deutung. Dabei wird die Verwirrung durch keinerlei Erläuterungen gestört.
Nur Nummerierungen verweisen auf Einträge, die sich in Karteikästen an zwei
Seiten des Raums befinden.
Eine grobe Blech-Holz-Konstruktion mit der Nummer „52“ erinnert an das
Architekturmodell einer Fabrik, hat aber die Anmut eines
Gebrauchsproduktes, einer Maschine. In ihrer dilettantischen Bauart
wiederum wirkt sie eher wie eine Bastelei.
Die Karteikarte, die sich amüsanterweise stets in dem vom Objekt weiter
entfernten Tisch befindet, verrät, dass es sich um die Mausefalle „Capito“
handelt, produziert von der Firma Luchs zwischen 1920 bis 1935. Ausgesucht
hat es eine Museumsmitarbeiterin wegen seiner „Ambivalenz“, wie sie im
Interview, das mit jedem der „Kabinetts-Mitglieder“ geführt wurde, erzähl…
Ihrer Recherche nach fand die seriell hergestellte „Mäuse-Guillotine“
reißenden Absatz. Zur Funktionsweise wollte sie sich jedoch nicht
detailliert äußern. Das sei „nichts für zarte Gemüter …“
Besucher*innen sind an dieser Stelle aufgefordert, weitere Gedanken und
Forschungsergebnisse zum Gegenstand zu notieren. Zur „Arschrutsche“
(Entwurf und Herstellung unbekannt) schrieb ein Gast, die Bezeichnung
„Ruderbootsitz“ sei vielleicht feiner.
Ebenfalls Teil der Sammlung ist ein „Berliner Schlüssel“. Ausgesucht hat
ihn die Kuratorin selbst. Für die Istanbulerin war dieser Gegenstand
äußerst mysteriös. Und auch, wenn er vielen Berliner*innen noch ein Begriff
sein mag, kann die Erfindung des Schlossermeisters Johann Schweiger von
1912 ohne Erklärung kaum verstanden werden: indem er an beiden Enden einen
Bart aufweist, kann er nach dem Aufschließen einer Tür lediglich durch das
Schloss geschoben, von innen gedreht, und dort abgezogen werden. So zwingt
er zum Abschließen der Tür.
Die Bedeutungsdimension dieses Gegenstandes arbeitete der Philosoph Bruno
Latour in seinem Buch „Der Berliner Schlüssel“ heraus: Sein Zweck ist tief
in sein Wesen eingeschrieben. „Der Berliner Schlüssel, die Tür und der
Hauswart befinden sich in einem erbitterten Kampf um Kontrolle und Zugang.“
Sie trennen innen und außen, Mieter und Dieb, Bewohner und Eigentümer.
Daraus leitete Latour seine Kernthese ab, dass ein Ding niemals „Objekt“
sei, sondern immer „Akteur“, und proklamierte damit das Ende des Objekts,
das nur existiere, solange es als Fossil vergraben bliebe. Werde es aber
freigelegt und in Praktiken erschlossen, wird es zum Akteur. Damit hebt er
die Trennung zwischen Subjekt und Objekt auf: zwischen Natur und Kultur,
Mensch und Ding.
Ausgehend davon und dem „Berliner Schlüssel“ als erstem Akteur entstand in
einem Schneeballsystem ein partizipatives Ausstellungsprojekt, in dem
zunächst Mitarbeiter*innen des Museums Dinge aus dem museumseigenen
Bestand sowie unbekannte Orte aus der Umgebung aussuchten. Die neuen
Akteure wählten ihrerseits weitere Gegenstände aus, die ihnen rätselhaft
waren.
In dieser Interaktion öffnet sich das Museum nach außen. Weitere Orte
wurden in der „Kabinetts-Sitzung“ als „Satelliten“ ausgesucht – als
Ausstellungsflächen für den „nomadischen“ Teil der Schau. Die Indexeintr�…
für diese Gegenstände befinden sich allerdings auch nur im Museum.
Ece Pazarbaşı geht es um die Infragestellung gängiger Praktiken des Lernens
und Forschens. In der Tradition musealer Praxis gelten Museen als
Institutionen der Wissensvermittlung, wobei die Besucher*innen
üblicherweise an die Richtigkeit der Informationen glauben. Das entstandene
Netzwerk forscht hier exemplarisch auf Augenhöhe.
Der Ausstellungstitel verweist übrigens auf das historische Cabinet
d’Ignorance des Mathematisch-Physikalischen Salons in Dresden, das Anfang
des 18. Jahrhunderts für nicht klassifizierbare Objekte geschaffen wurde.
Ausgestellt wurden vor allem unbekannte Tiere und als Monster bezeichnete
rätselhafte Wesen.
Die „Wiesbadener Gnom-Inspirolator“ wurde in den 50er Jahren übrigens von
den Lyssia-Werken hergestellt. Meine Recherche ergab, dass es sich um einen
Reise-Miniinhalator handelt. Ausgesucht hatte ihn Nina Weniger vom
Comik-Fachgeschäft Modern Graphics – er erinnerte sie an „den kranken Gnom
von Wiesbaden, der auf der Suche nach Heilung auf den berühmten
,Inspirolator' traf, der ihm mittels zweier vermischter Hustensäfte das
Leben rettete.“
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
2 Aug 2017
## AUTOREN
Antonia Herrscher
## TAGS
taz.gazete
Philosophie
Verschwindende Dinge
## ARTIKEL ZUM THEMA
Am Sonntag ist Dingpflegetag: Das ist doch ein Ding
Vom röhrenden Hirschen bis zum Designklasssiker: Im Werkbundarchiv – Museum
der Dinge findet sich alles, was die Produktkultur hergibt. Paten gesucht!
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.