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# taz.de -- Wahlforscher mit neuem Buch: Manfred Güllners Wirklichkeit
> Der Forsa-Chef hat ein Buch über den „vergessenen Wähler“ geschrieben.
> Peter Altmaier hält es für ein „Wunderwerk“.
Bild: Hemdsärmlige Buchvorstellung
Berlin taz | Der Kanzleramtschef übte sich in Höflichkeit. Forsa-Chef
Manfred Güllner habe mit seinem Meinungsforschungsinstitut „die Szene ganz
schön aufgemischt“ und sei „Teil des Inventars dieser Republik geworden“,
sagte Peter Altmaier. Der neben ihm sitzende Güllner fühlte sich sichtlich
geschmeichelt.
Der Bundesminister für besondere Aufgaben hatte am Donnerstag die besondere
Aufgabe übernommen, im noblen Berliner Restaurant Borchardt das neue Buch
Güllners vorzustellen. Am Tag zuvor habe er es auf einer Fahrt nach Aachen
„in einem Rutsch“ und „mit Gewinn“ gelesen, schwärmt Altmaier. Es sei …
kleines Wunderwerk“ – genauso wie das Bundestagswahlprogramm von CDU und
CSU. Es helfe „uns allen bei der Orientierung“.
„Der vergessene Wähler“ lautet der Titel des Werks, das Güllner zeitlich
geschickt wenige Wochen vor der Bundestagswahl auf den Meinungsmarkt wirft.
„Vom Aufstieg und Fall der Volksparteien“ soll es laut Unterzeile handeln.
Das allerdings ist etwas geflunkert. Tatsächlich handelt es vor allem von
der Weltsicht des 75-jährigen Wahlforschers, in die er die Geschichte der
Bundesrepublik presst. Seine Botschaft: Wenn Union und SPD ihren Anspruch,
Volkspartei zu sein, aufrechterhalten wollen, dürften sie „nicht mehr in
dem Maße wie in der Vergangenheit Modetorheiten nachgeben oder einem
vermeintlichen Zeitgeist hinterherlaufen“ – wozu er beispielsweise die
Kehrtwende in der Energiepolitik nach Fukushima zählt.
Diese „Anbiederung an einen vorgeblichen grünen Zeitgeist“ habe weder der
SPD noch der CDU zu mehr Vertrauen verholfen, sondern ausschließlich den
Grünen genutzt“, schreibt er. Und wie schlimm, ja gar demokratiegefährdend
die Grünen aus seiner Sicht sind, darüber hat Güllner bereits vor der
vergangenen Bundestagswahl ein eigenes Buch veröffentlicht.
## Hassliebe mit der SPD
Den Volksparteien schade die „zu starke Berücksichtigung von Interessen
sich lautstark artikulierender Minderheiten“, ist er überzeugt. Gänzlich
unverständlich ist Güllner, dass die SPD „immer wieder mit
Umverteilungsfragen“ Wahlen gewinnen wolle. Da leidet der rechte
Sozialdemokrat. Bis heute ist er auch der festen Überzeugung, die
drastischen Wählerverluste der SPD hätten nichts mit Schröders Agenda 2010
zu tun: „Nicht die ‚Agenda 2010‘ war für den Wählerschwund der SPD
verantwortlich, sondern die mangelnde Unterstützung Schröders durch die
eigene Partei.“ So wie schon Helmut Schmidt nicht an seiner eigenen
Politik, sondern an der SPD-Linken gescheitert sei. Auf die beiden
rechtssozialdemokratischen Säulenheiligen lässt Güllner nichts kommen.
Seit rund 50 Jahren ist er nun schon Mitglied der SPD, inzwischen in
Reinickendorf. Es ist eine Art Hassliebe. Als Juso noch kräftig links
blinkend, wird er seit Langem dem rechten Parteiflügel zugerechnet. Von
1969 bis 1978 saß Güllner für seine Partei im Rat von Köln, dann wechselte
er als Direktor ins Statistische Amt der Stadt. In der Kölner
Stadtverwaltung war er auch für das Einwohnermelde- und das Wahlamt
verantwortlich. Seiner Partei habe er „wirklich viel zu verdanken“, sagte
er einmal. „Ohne Mitglied der SPD zu sein, wäre ich nie Amtsleiter
geworden.“ 1984 gründete er Forsa.
Einige würden ihm immer wieder vorwerfen, Politik machen zu wollen, beklagt
sich Güllner. „Das ist falsch, das will ich nicht“, beteuerte er am
Donnerstag. Aber genau das macht er. So virtuos wie seit der seligen
Elisabeth Noelle-Neumann, Gründerin des Allensbach-Demoskopie-Instituts,
kein anderer jongliert er mit den demoskopischen Daten. Dass bei Forsa
bisweilen auch ein politischer Opportunitätsfaktor in die Berechnung
einfließen könnte, hat Güllner selbstverständlich stets ebenso heftig
dementiert wie die böse Unterstellung, er betreibe Demoskopie nach dem
Prinzip der self-fulfilling prophecy.
So lobend sich Peter Altmaier auch äußert: Auf dessen Zahlen will er sich
nicht verlassen. Sicherlich müsse man sich auch um demoskopische Befunde
„kümmern“, sagt er. „Aber sie sind auch nicht die Weisheit der Welt.“
Schließlich sei die Wirklichkeit „nicht immer ganz einfach zu ermitteln“.
Außerdem könnten auch Demoskopen sich irren. Da schaut Güllner etwas
säuerlich. Sicherlich hat Forsa noch ein paar Zahlen parat, die das
Gegenteil beweisen.
20 Jul 2017
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
Demoskopie
Forsa
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Kanzlerkandidatur
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