| # taz.de -- Wenig Betreuer für Altenheime: Durch die Einsamkeit der Nacht | |
| > Rot-Grün streitet um die Betreuungsquote in Altenheimen: Sozialsenatorin | |
| > hält eine Nachtwache für 50 Personen für genug, SPD und Betroffene | |
| > kritisieren das | |
| Es gibt Streit in der Koalition. Gegenstand: die Personalquote in | |
| Altenheimen. Das grün geführte Sozialressort von Senatorin Anja Stahmann | |
| beharrt in einem Gesetzesentwurf bislang auf einem Betreuungsschlüssel, der | |
| ermöglicht, dass nachts in Pflegeeinrichtungen für Ältere gerade einmal | |
| eine Person für bis zu 50 HeimbewohnerInnen zuständig ist. Zweimal sollte | |
| der Gesetzentwurf bereits durch die Sozialdeputaion. Zweimal ließ deren | |
| Vorsitzender Klaus Möhle (SPD) den Tagesordnungspunkt kurzfristig | |
| streichen: „Eins zu 50 ist nicht in Ordnung. Da sind wir härtnäckig“, so | |
| seine Begründung. Es gebe noch „ordentlich Diskussionen“ mit den Trägern | |
| von Altenheimen und dem Sozialressort. Möhle fordert mindestens einen | |
| Schlüssel von eins zu 40. | |
| Das Sozialressort gibt sich diskussionswillig. Bernd Schneider, Sprecher | |
| der Senatorin für Soziales, sagte zur Eins-zu-50-Quote: „Bereits heute | |
| liegt die Hälfte aller Einrichtungen unter diesem von Klaus Möhle | |
| angesprochenen Schlüssel.“ Schließlich müssten ja ab 51 Personen zwei | |
| Nachtwachen beschäftigt werden. Er führte auch die Argumente der Träger ins | |
| Feld: „Die Personalausstattung ist ein zentraler Kostenfaktor. Je mehr | |
| Personal vorgeschrieben ist, desto teurer wird es.“ Daran hapert es | |
| offensichtlich. Immerhin scheint das Ressort Zugeständnisse machen zu | |
| wollen: „Wir beißen uns da nicht fest“, so Schneider. „Wenn das anders | |
| gewünscht und auch fachlich hinterlegt ist, sind wir bereit, uns zu | |
| bewegen.“ | |
| Fachlich belegen können den Mangel viele. So kritisiert auch Kerstin | |
| Bringmann von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di die Quote. „Es kann | |
| nicht sein, dass in der Nacht eine Kraft alleine für bis zu 50 | |
| pflegebedürftige, teilweise demenziell erkrankte Personen zuständig ist.“ | |
| Pausen seien so unmöglich, von der Arbeitsbelastung und Überforderung ganz | |
| zu schweigen. Ver.di fordert daher, dass in jedem Haus zu jedem Zeitpunkt | |
| zwei Personen anwesend sein müssen. Gerade hat die Gewerkschaft eine | |
| Unterschriftenaktion unter dem Motto „Keine Nacht alleine!!!!“ gestartet. | |
| 200 UnterstützerInnen hat die Aktion bereits. Bei der nächsten Sitzung der | |
| Sozialdeputation will Bringmann die Unterschriften der Senatorin und den | |
| Deputierten übergeben. | |
| Auch Betroffenenverbände kritisieren die bremische Variante des | |
| Heimgesetzes andauernd (taz berichtete). Vor rund drei Wochen hatten 18 | |
| Verbände und Personen einen offenen Brief an die Deputation adressiert. | |
| Demnach würden BewohnerInnen durch das Gesetz nicht ausreichend vor | |
| Missständen geschützt. Vermutete Ursache: die mangelhafte | |
| Personalverordnung und die schlechte Nachtbetreuungsquote. Reinhard Leopold | |
| ist Gründer der Bremer Angehörigen-Initiative „Heim-Mitwirkung“ und | |
| Regionalbeauftragter der Bundesinteressenvertretung Älterer und | |
| Pflegebetroffener Menschen (Biva). Er verweist etwa auf eine Studie der Uni | |
| Witten/Herdecke, derzufolge nachts mindestens zwei bis drei Pflegekräfte | |
| für 50 BewohnerInnen benötigt würden. Als Minimum nennt er einen Schlüssel | |
| von eins zu 30. | |
| Immer wieder bekomme Leopold Berichte von Angehörigen zu hören, dass | |
| aufgrund der Personalsituation eine „Nicht-Versorgung“ stattfinde. Unter | |
| Zeitdruck infolge von Unterbesetzung komme es zu Verletzungen: „Wenn zu | |
| wenig Personal da ist und die Betroffenen zu wenig begleitet werden, | |
| stürzen mehr von ihnen.“ Auch habe er Berichte darüber, dass es in | |
| bestimmten Einrichtungen bei Rasuren zu Körperverletzungen gekommen sei. | |
| Er kritisiert außerdem, dass die Evaluation des Gesetzes durch die Behörde | |
| selbst durchgeführt werde. Er beinhalte keine sozialwissenschaftliche | |
| Expertise externer Gutachter, sondern sei lediglich der Wirkungsbericht der | |
| Heimaufsicht, so Leopold. „Der Evaluationsbericht ist eine | |
| Selbstbeweihräucherung der Heimaufsicht.“ | |
| Das Ressort versteht tatsächlich unter der gesetzlich geforderten | |
| Evaluation nur die interne Auswertung. Das sei eine hinreichende Form der | |
| Wirkungskontrolle, so Schneider. Eine wissenschaftliche Begleitung der | |
| Evaluation sei nicht ausdrücklich vorgesehen, so seine Argumentation. | |
| Schneider sagt: „Die Evaluation ist abgeschlossen, unser Ziel ist es, die | |
| Deputation damit am 1. Juni zu befassen.“ | |
| Ob die Deputation tatsächlich dazu bereit sein wird, ist derzeit noch | |
| offen: „Ich gehe derzeit davon aus, dass das Gesetz bei der nächsten | |
| Deputation verhandelt wird, aber ganz sicher bin ich mir da noch nicht“, so | |
| Möhle. Denn auch wenn es lange dauert, wollen die Deputierten ihm zufolge | |
| in diesem Punkt hartnäckig bleiben. | |
| 4 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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