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# taz.de -- Kopfhörer im Schulunterricht: Hä?
> Schule An vielen Grundschulen ist der Einsatz von Lärmschutzkopfhörern
> verbreitet – so sollen sich die Kinder besser konzentrieren können. Aber
> wo bleibt die Pädagogik?
Bild: Konzentration nur durch Micky Maus-Komplettbeglückung: Unterricht in Bre…
BREMEN taz | Wo Kinder lernen und Lehrer arbeiten sollen, ist es oftmals so
laut wie an der Autobahn: Nicht selten erreicht der Lärmpegel in
Klassenzimmern gerade an Grundschulen bis zu 75 Dezibel – eine Zumutung für
alle Beteiligten. An vielen Bremer Grundschulen ist es daher üblich, für
bestimmte Arbeitsphasen Schallschutzkopfhörer einzusetzen.
Im Idealfall funktioniert das so: Während bestimmter „Lernsettings“, so der
Fachbegriff, in denen einige SchülerInnen etwa Gruppenarbeit machen und
andere still arbeiten, können sich lärmempfindlichere Kinder Kopfhörer
nehmen, um nicht gestört zu werden. Die Grundschulreferentin in der Bremer
Bildungsbehörde Nikola Schroth erklärt auf Nachfrage der taz: „Kopfhörer
werden an Grundschulen schon lange eingesetzt, allerdings sehr vereinzelt:
Vor allem Kinder, die besonders geräuschempfindlich sind“, so die
Referentin, „können sich auf diese Weise auditiv abschotten, damit sie sich
konzentrieren können.“ Nicht gedacht seien die Kopfhörer, im
Grundschullehrer-Jargon „Micky-Mäuse“ genannt, hingegen dafür,
„disziplinarische Schwierigkeiten abzufangen“.
Ein Vater aus Bremerhaven hat da andere Erfahrungen gemacht. Er möchte
seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, ist aber bereit, der taz vom
Schulalltag seiner Tochter zu erzählen, wie sie es ihm berichtet hat: Sie
besucht die zweite Klasse einer Bremerhavener Grundschule. Drei der 20
Kinder in der Klasse haben inklusionsgemäß besonderen Förderbedarf und
stören häufig den Unterricht.
Die dort praktizierte Lösung: Alle Kinder, die sich von den Störenden
beeinträchtigt fühlen, dürfen sich Kopfhörer nehmen. Dass 17 von 20 Kindern
während des Unterrichts zeitweise aussehen wie kleine Bauarbeiter, weil es
in der Klasse zu laut ist, findet der Vater „äußerst skurril“. So
jedenfalls ist der Einsatz von Kopfhörern eigentlich nicht gedacht.
Auch Gerhart Tiesler vom Bremer Institut für interdisziplinäre
Schulforschung sagt: „Ich würde die Kopfhörer als Krücke bezeichnen, wenn
man gar nicht anders für ruhige Situationen sorgen kann.“ Tiesler ist
Experte für die Akustik von Klassenräumen und attestiert den meisten
Schulgebäuden eine „miserable“ Akustik.
Er empfiehlt den Einsatz von schallabsorbierenden Materialien und den
Einbau von schalldämmenden Decken, was bei einem Neubau kaum teurer und bei
fälligen Sanierungen der alten und akustisch problematischen Schulgebäuden
leicht nachzurüsten sei – aber dennoch kaum gemacht wird. Oft werde er
gefragt, so Tiesler, was denn vor 100 Jahren für den Schallschutz gesorgt
habe. „Da antworte ich immer: Der Schallschutz war einen Meter lang und
einen Zentimeter im Durchmesser.“
Gemeint ist der Rohstock. „Wir 68er wollten natürlich alles freier
gestalten“, sagt Tiesler, doch die Räume seien dafür häufig nicht geeignet.
Der heute so verbreitete Kopfhörer sei „einfach eine Hilfsmethode, die
irgendjemand mal propagiert hat“. Tiesler sieht außer der nötigen
akustischen Sanierung der Schulgebäude aber noch eine weitere Möglichkeit,
um den Lärmpegel in Schulklassen deutlich spürbar zu senken – auch ohne
dass sich die Kinder total abschotten müssen, um sich zu konzentrieren.
„Man kann auch pädagogische Maßnahmen ergreifen, die den Geräuschpegel
senken.“
In mehreren Grundschulen, unter anderem in Bremen und in Münster, habe man
gute Erfahrungen damit gemacht, in den ersten beiden Grundschulwochen
ausschließlich ein Sozialverhaltenstraining durchzuführen. „Das wirkt
Wunder, aber es setzt voraus, dass sich Lehrer und Schüler wirklich daran
halten.“ Die Lernergebnisse seien durchweg besser, wenn die Kinder zum
Anfang ihrer Schulzeit das Sozialverhalten in der Klasse trainieren. Denn:
„Gerade Grundschulkinder müssen das Hören richtig lernen.“ Das setzt
allerdings voraus, dass die Kinder überhaupt etwas hören. „Wenn man es
überspitzt formuliert, sind solche Schallschutzkopfhörer dabei wirklich
kontraproduktiv.“
3 May 2017
## AUTOREN
Karolina Meyer-Schilf
## TAGS
Pädagogik
Bremen
Fremdsprachen
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