# taz.de -- Stadtstaat Monaco: Die fürstliche Rumpelkammer | |
> Klein, blaublütig, reich – der Musiker Léo Ferré hatte mit diesen | |
> Klischees über Landesgrenzen hinaus gebrochen. Spurensuche im sichersten | |
> Land der Welt. | |
Bild: Glamour und Pomp – Blick auf die Bucht | |
Jeden Tag sitzt sie auf einer der Bänke nahe dem Casino, Nicole, eine fein | |
zurechtgemachte ältere Dame. Sie kommt zeit ihres Lebens hierher, hatte sie | |
doch einst im nahe gelegenen Hotel Ermitage als junge Frau eine Stellung | |
gehabt, als Manglerin in der Wäscherei, und genoss ihren Feierabend auf der | |
Bank. Das ist längst Vergangenheit, aber sie liebt die schöne Aussicht auf | |
das Meer und freut sich, wenn jemand neben ihr Platz nimmt, mit dem sie | |
plaudern kann. | |
Ihr Mann zu Hause, in der kleinen Wohnung nahe dem Bahnhof, hat jegliche | |
Unterhaltung eingestellt mit der grummeligen Begründung, in den fünfzig | |
Ehejahren sei nun alles gesagt worden. Umso geselliger gibt sie sich | |
Fremden, mit denen sie irgendeinen Gesprächsfaden aufnehmen kann. | |
„Jaja, viele Touristen denken immer noch, unser Land sei prominentester | |
Vertreter der fürstlichen Rumpelkammer“, beginnt Nicole „Als seien wir alle | |
blaublütig, reich und edel! Also, ich bin’s nicht! Und übrigens, Léo Ferré | |
war es auch nicht. Ach, er war alles andere als das!“ Ein Strahlen huscht | |
über das weiche, rundliche Gesicht. „Unser Léo, ein Unbequemer, | |
Unangepasster, ein richtiger Querkopf. So einen haben wir seitdem nie | |
wieder gehabt. Dass seine Freunde, Jacques Brel aus Belgien und Georges | |
Brassens, aus Frankreich stammen, weiß man, doch dass Léo Ferré, ein | |
waschechter Monegasse war, ist kaum bekannt.“ | |
Nicole zeigt mit ihrer feingliedrigen Hand auf den hellen Platz vor dem | |
Casino de Monte Carlo. In dem befindet sich neben den Spielhallen die Oper, | |
eine der herausragendsten Bühnen Europas. Da hat sie ihn getroffen. Er war | |
nicht zu übersehen mit seinen wirren Locken, dem scheuen Blick, der | |
Zigarette in der Hand. In Monaco, so hatte Ferré einmal gesagt, scheint | |
sich die Geometrie des Lebens nicht zu verändern. Hier geht kein Riss durch | |
die Zeit, hier lagern Vergangenheit und Gegenwart übereinander und bleiben | |
durchlässig. | |
## Kein Fürstenliebling | |
Das war 1954. Der damalige Fürst Rainier hatte Léo Ferré, der zu der Zeit | |
in Paris lebte, für ein opulentes Konzert in die Oper von Monaco | |
eingeladen. Er wollte den Künstler „nach Hause“ holen und ließ ihn „Cha… | |
du mal-aimé“ von Guillaume Apollinaire dirigieren, für 80 Musiker und 40 | |
Chorsänger. In der Tageszeitung Monaco Hebdo stand damals, dass er der | |
Prophet im eigenen Land sei. | |
Die Monegassen verehren Ferré, das Fürstentum selbst tut sich schwer mit | |
dem Enfant terrible. Prinz Albert II., amtierender Fürst und Oberhaupt der | |
Familie Grimaldi, kann mit dem 1993 verstorbenen Poeten nicht so viel | |
anfangen wie einst sein Vater Rainier. Was auch damit zu tun hat, dass die | |
meisten Einwohner Monacos den Künstler nicht kennen; sie leben zwar in | |
Monaco, sind jedoch keine waschechten Monegassen. Die nämlich befinden sich | |
in der absoluten Minderheit: Von den inzwischen 39.000 Einwohnern sind es | |
gerade mal 9.000. Und es werden immer weniger. Es gibt keinen Staat auf der | |
Welt, wo die eigene Population derart unterrepräsentiert ist. | |
Es gibt auch keinen Staat, ausgenommen den Vatikan, der flächenmäßig so | |
winzig ist. Das Land ist mit 2,02 Quadratkilometern nicht mal halb so groß | |
wie der Englische Garten in München. Aber dennoch hat Monaco ebenso eine | |
Stimme in der UN-Vollversammlung wie Deutschland, Frankreich oder Russland. | |
„Politik interessiert mich“, wirft Nicole ein, „aber ich liebe auch die | |
schönen Künste, mag Lieder, die aufrütteln oder mein Herz erwärmen. Léo hat | |
viel über Zärtlichkeit, Liebe, Melancholie, auch über Einsamkeit gesungen, | |
so was bewegt mich. Über 40 Alben hat er herausgebracht, die Hälfte habe | |
ich zu Hause.“ Als junger Mann verließ Ferré seine Heimat, weil er die Enge | |
der Straßen und Gassen, die Enge des Denkens und den ganzen Provinzialismus | |
nicht aushielt. Das Fürstentum strafte diese Abkehr mit ziemlicher | |
Ignoranz. | |
Wer sich auf die Spuren des Künstlers begeben will, muss schon wissen, wo | |
er suchen soll. Hier und da kleine Gedenkinseln, die mit Patina überzogene | |
Bronzebüste auf der winzigen Place Léo Ferré, nahe seinem Geburtshaus in | |
der Avenue Saint-Michel Nummer 9 oder das Konzerthaus L’Espace Leo Ferré in | |
der Avenue Albert II. | |
Das Image von Monaco muss unermüdlich weiter gepflegt werden, mit all den | |
Autorennen, Sportfesten, Rosenbällen, um mit Prunk und Glamour auf sich | |
aufmerksam zu machen und Scharen zahlungskräftiger Touristen anzulocken. Es | |
sind vor allem auch die architektonischen Perlen, die wunderschönen Bauten | |
der Belle Époque, mit denen Monaco punktet. | |
Allen voran der monumentale Fürstenpalast, der, wenn die Fürstenfamilie | |
verreist ist, besichtigt werden kann. Oder die majestätische Kathedrale | |
Notre-Dame-Immaculée, in der sich die Gräber der Grimaldi-Dynastie | |
befinden, unter ihnen auch Fürst Rainier und Grace Kelley. In dieser | |
geschichtsträchtigen Kathedrale, der Hauptkirche des Fürstentums und Sitz | |
des Erzbischofs von Monaco, sang einst der kleine, noch ganz befangene Léo | |
Ferré als Sopran im Kirchenchor. | |
Ein paar Schritte weiter, gegenüber dem am Felshang thronenden | |
Ozeanografischen Museum, in der Rue Émile de Loth, steht das alte | |
Gymnasium, wo Ferré mit Ach und Krach sein Abitur bestand. Die Schule | |
mochte er nicht sonderlich, doch was er liebte, war der Ausblick aus dem | |
Klassenraum mit Blick auf Museum und Meer. Er sah zu, so steht es in der | |
Schulchronik, dass er immer am Fenster saß und sich hinausträumen konnte. | |
Nach der Schule ging er oft in das Ozeanografisches Museum, für ihn ein | |
wahres Abenteuerhaus, das von Fürst Albert gegründet und 30 Jahre lang | |
unter der Leitung des Meeresforschers Jacques Cousteau stand. | |
Noch heute gibt es dort Erstaunliches zu beobachten, im Aquarium-Becken | |
schwimmen Haie, in kleineren Bassins Clownfische, Meeresschildkröten und | |
Seepferdchen, hier und da bewegen sich hypnotisch grazile Wasserpflanzen, | |
und es leuchten farbige Korallen. Neben Walskeletten, bizarren | |
Tierexponaten sind historische Navigationsinstrumente, Schiffsuhren und | |
Fernrohre ausgestellt. Was Jungen eben so interessiert, aber nicht nur die. | |
Das Museum ist eines der schönsten Sehenswürdigkeiten Monacos. | |
Was es übrigens zu Zeiten des Künstlers nicht gab, war der Unterricht in | |
seiner Landessprache, Monegassisch. Nicole, die selbst später dann Lehrerin | |
in Monacos einziger staatlichen Schule gewesen war, dem Collège Charles | |
III, unterrichtete Monegassisch, das erst seit 1976 Pflichtfach in der | |
Grundschule ist und auch als Abiturfach gewählt werden kann. „Für Monacos | |
Schüler ist es wichtig, um sich ihrer eigenen Identität bewußt zu werden“, | |
sagt Nicole. | |
## Bunte Mischung | |
So klein der Stadtstaat auch ist – man glaubt es kaum – leben hier an die | |
hundert Nationalitäten. Trotz der internationalen Prägung des Lebens | |
aufgrund der Überzahl Zugezogener, wird der Alltag zu einem nicht | |
unwesentlichen Teil durch die Monegassen geprägt. Es gibt nicht nur eine | |
eigene Sprache, deren Ursprung im Genueser Dialekt liegt, sondern auch eine | |
eigene Tradition. | |
Dazu gehört zum Beispiel das Kochen, besonders die Zubereitung des | |
Nationalgerichts, des Barbajuan. Das sind Teigtaschen mit verschiedenen | |
Füllungen, meist aus Mangoldblättern, Schinken, Reis, Zwiebeln, Käse und | |
gekochten Eiern. Diese Mischung wird klein gehäckselt, vermengt, in einen | |
dünnen Teig eingewickelt und frittiert. Einmal im Jahr gibt es unter all | |
den Festen Monacos auch das Barbajuan-Fest, wo die leckersten Barbajuans | |
gekürt, verkostet und verkauft werden. Die monegassische Kultur, das Leben | |
der Monegassen, wird vom Fürstentum unterstützt. | |
Das weiß Nicole zu schätzen: „Wir bekommen zum Beispiel Wohnungen zu | |
moderaten Preisen, die staatlich subventioniert sind. Mein Mann und ich | |
hatten einst eine große Dreizimmerwohnung mit Meerblick und Terrasse, die | |
wir uns normalerweise mit unserem Einkommen hätten nicht leisten können, | |
damals, als die Kinder noch klein waren.“ | |
Das Fürstentum fördert auch die einheimische Industrie mit ihren hundert | |
Produktionsbetrieben, die überwiegend Arzneimittel, Porzellan, Kosmetika | |
und Parfüm herstellen. Die meisten Betriebe sind in Fontvieille | |
angesiedelt, das in den 1970er Jahren als Neuland aus dem Meer gewonnen | |
wurde und mit 40 Hektar die Fläche des Landes um ein Viertel wachsen ließ. | |
Trotz aller Subventionen und Freiheiten gibt es eine Einschränkung für | |
Monegassen: Sie dürfen nicht von den Spielhallen des berühmten Casinos | |
profitieren. Die Monegassen dürfen zwar mitpokern, doch im Falle eines | |
Gewinns, egal wie hoch, wird er nicht ausgezahlt. Das Fürstentum nennt dies | |
prudance, also Vorsicht: Eigentlich stammt diese Reglementierung noch aus | |
der Zeit der wöchentlich ausgehändigten Lohntüte, die dazu führte, das bei | |
manch einem das Geld recht locker in der Tasche saß und abends gleich | |
verzockt wurde. | |
## Starke Polizeipräsenz | |
Heute ist die Angst eine andere, nämlich dass Monegassen dicke Gewinne | |
einstreichen und damit dem Fürstentum den Rücken zukehren könnten. Ein | |
weiteres Schrumpfen der ursprünglichen Bevölkerung kann sich der Clan um | |
Prinz Albert nicht leisten. | |
Heutzutage ist das Casino längst nicht mehr die Haupteinkommensquelle | |
Monacos. Es macht schätzungsweise nur noch 5 Prozent des Staatseinkommens | |
aus. Doch als Touristenattraktion hat es nichts von seiner Faszination | |
eingebüßt, vor allem der Platz vor dem Casino ist immer gut besucht. Hier | |
fahren die teuren Autos vor: Reichtum wird hier nicht versteckt. Warum | |
auch, in Monaco ist fast jeder dritte Einwohner ein Dollarmillionär. | |
Das Wohltuende in Monaco ist die Sicherheit. Das Fürstentum zählt zu den | |
sichersten Ländern der Welt. Dies liegt auch an der starken Polizeipräsenz | |
sowie an der flächendeckenden Videoüberwachung. Es existieren rund 60 | |
öffentliche und unzählige privat installierte Sicherheitskameras. Die | |
Reichen sind froh, dass hier ihrem Ferrari nicht viel passieren kann, | |
während schon in Nizza manch eine Edelkarosse mit einem spitzen Nagel der | |
Lacke zerschrammt wird. | |
„Doch es gibt eine andere Art von ,Gefährdung'“, witzelt Nicole, „recht | |
banal zwar, aber sie hat schon manch einem eine Beule oder einen | |
umgeknickten Fuß beschert. Sie geht von Frauen aus, die einen anrempeln, | |
unbeabsichtigt zwar, doch manchmal tut’s weh.“ Ihr Credo: Reichtum ist das | |
Beste, was es überhaupt gibt, wenn man ihn konsequent zur Schau und vor | |
sich herträgt. Und das erfordert eine ständige Überprüfung des Outfits: Auf | |
den schmalen Trottoirs wird die kleine, feine Handtasche in den linken | |
Ellenbogen eingehakt, der Kopf scharf nach rechts gedreht und mit prüfendem | |
Blick an den Glasfenstern entlanggelaufen. | |
Nicht um die Auslagen der Vitrinen zu betrachten, die sie wahrscheinlich | |
ohnehin schon ihr eigen nennen, sondern um in den sich spiegelnden, blank | |
geputzten Scheiben zu kontrollieren, ob sie eine gute Figur machen. Dabei | |
mit Passanten zusammenstoßen, auf arglose Hundepfötchen treten oder selbst | |
gegen Straßenpfeiler rennen. Gehen bis zur Schmerzgrenze – die | |
Schaufensterkrankheit in Monaco. Aber das war es dann schon an Irritationen | |
im öffentlichen Raum. | |
## Der exotische Garten | |
Monaco, das sind auch die strahlend weißen Briefkästen, das ist die Post | |
mit eigener Briefmarkenkollektion, das sind unzählige Fahrstühle an den | |
Straßen, die einen etagenweise in die Ober- oder Unterstadt befördern. Wer | |
über der Stadt schweben möchte, fährt am besten Richtung Beausoleil hinauf, | |
eine französische Gemeinde, die direkt an Monaco grenzt und wo man nicht | |
genau ausmachen kann, ob man sich auf französischem oder monegassischem | |
Territorium befindet. | |
Dorthin zog es Léo Ferré 1943. Er mietete einen Bauernhof und holte sich | |
dank der faszinierenden Aussicht Inspirationen für seine späteren Lieder, | |
so auch für „La Mémoire et la Mer“, das ihm später großen Erfolg besche… | |
Ferré mochte Monaco vor allem dort, wo er Ruhe fand, Orte wie den Jardin | |
Exotique. | |
Dort wachsen üppige Kakteen aus Mexiko, Zentralafrika und dem Nahen Osten, | |
hier blüht es das ganze Jahr. Von hier stieg er gern hinab in die bizarre | |
Tropfsteinhöhle, die bis auf den Meeresspiegel hinabreicht; und er wollte | |
nur eins: all den Trubel hinter sich lassen. Nicht nur dort ist es still, | |
es gibt sie auch anderswo, diese friedlichen, besinnlichen Orte im sonst | |
quirligen, lauten Monaco. | |
Nicole selbst geht, wenn sie abschalten will, auf den mehrere Etagen großen | |
Friedhof. Dorthin verirren sich kaum Touristen. Dort zieht sie bedächtig | |
aus gestanzten Tonbehältern bereitgestellte Wasserflaschen, um die Blumen | |
der Gräber zu gießen: das ihrer Mutter, das von Léo Ferré, das erst vor ein | |
paar Jahren aus der Toskana, wo der Künstler starb, auf den monegassischen | |
Friedhof umgesetzt wurde. | |
„Manchmal summe ich hier mein Lieblingslied“, so Nicole, „sein ,Avec le | |
temps‘. Traurig schön, es geht um die Vergänglichkeit des Lebens und dass | |
alles verlischt mit der Zeit.“ | |
Über dem Friedhof sammeln sich ein paar Wolken, es fällt ein feiner, | |
leichter Regen, der fast nichts wiegt, der auf der Haut kaum spürbar ist | |
und nach poliertem Gold riecht. | |
15 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Birgit Weidt | |
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