# taz.de -- Gericht korrigiert „rassistisches Urteil“: Mit Kanonen auf Spat… | |
> Wegen des Verkaufs von 0,5 Gramm Marihuana wurde ein Flüchtling | |
> vergangenes Jahr zu vier Monaten Haft verurteilt. Jetzt wurde er | |
> freigesprochen. | |
Bild: Anderer Monat, gleiches Vorgehen: Die Polizei nimmt an der Hafenstraße A… | |
HAMBURG taz | Ein zweites Mal will Souleyman C. das Video von seiner | |
Festnahme nicht sehen. Mit verschränkten Armen und gesenktem Blick wartet | |
der Flüchtling aus Guinea-Bissau darauf, dass das Gericht die Bilder des | |
vergangenen Aprils erneut begutachtet. | |
Die Filmaufnahme, die seinen Anwälten aus unbekannter Quelle zugespielt | |
wurde, trug dazu bei, dass C. jetzt wieder auf freiem Fuß ist. In erster | |
Instanz hatte das Hamburger Amtsgericht ihn zu vier Monaten Haft | |
verurteilt. Die Anklagepunkte waren: Verkauf von 0,5 Gramm Marihuana und | |
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. „Mein Mandant wusste nicht, dass es | |
sich bei dem Mann um einen Polizisten handelt“, argumentierte die Anwältin | |
Fenna Busmann. Er habe gedacht, er werde von einem Verrückten angefallen – | |
nicht weit hergeholt, wenn man bedenkt, dass der zugreifende Polizeibeamte | |
sich als Obdachloser verkleidet hatte. | |
Das Video, das die Verteidigung von C. als Beweisstück in der Berufung | |
vorlegte, zeigt zunächst eine Gruppe junger, dunkelhäutiger Männer, die in | |
der Hafenstraße miteinander scherzen. Ein nachlässig gekleideter Mann läuft | |
durchs Bild, nickt den Männern freundlich zu, springt dann aber plötzlich | |
auf C. zu und schreit: „Du bleibst hier!“ Undeutlich erkennt man auf der | |
Videoaufnahme das nachfolgende Gerangel, das damit endet, dass der | |
Angeklagte C. von drei Polizisten in Zivil weggezerrt wird. | |
Drei Zeugen hörte das Gericht, bevor es die Entscheidung des vergangenen | |
Jahres revidierte. Als Erster erzählte Marcel F., wie er im vergangenen | |
Frühjahr in der Hafenstraße Marihuana kaufte. Auch gegen ihn wurde eine | |
Anzeige erstattet – wegen Geringfügigkeit aber sehr schnell fallengelassen. | |
F. ist weiß. | |
Der zweite Zeuge, Zivilfahnder Stefan S., will das Geschäft aus etwa 50 | |
Meter Entfernung beobachtet haben. Die Beschreibung des mutmaßlichen | |
Dealers gab er an einen Kollegen weiter und schrieb sie später nieder. An | |
den Bericht kann er sich vor Gericht jedoch kaum erinnern. Das komme immer | |
häufiger vor, sagte Benjamin Tachau, der C. ebenfalls anwaltlich vertrat. | |
„Einen falschen Bericht zu schreiben, ist nicht illegal, eine Falschaussage | |
vor Gericht hingegen schon.“ | |
Die Verteidigung vermutete noch einen weiteren Grund für den plötzlichen | |
Gedächtnisverlust des Polizeibeamten: Den Bericht soll S. nicht neu | |
verfasst, sondern mittels des Copy-Paste-Verfahrens aus alten Berichten | |
zusammengesetzt haben. Drei minimal veränderte Polizeiberichte dienten | |
dabei als Beweismittel. | |
Auch Achmed H., der C. verhaftete, plagte im Zeugenstand der | |
Gedächtnisverlust. An eine von ihm gestellte Strafanzeige wegen | |
geringfügiger Verletzungen bei der Festnahme konnte er sich nicht mehr | |
erinnern. | |
Wegen der nicht mehr haltbaren Beweislage beschloss das Gericht den | |
Freispruch des Angeklagten. Für Anwältin Busmann entbehrte das erste Urteil | |
jegliche Verhältnismäßigkeit: „Das war nicht mit Kanonen auf Spatzen | |
schießen, das war Bomben auf Schmetterlinge schmeißen.“ | |
12 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Muriel Kalisch | |
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