# taz.de -- Medien in Großbritannien: Journalisten als Polit-Cheerleader | |
> Exfinanzminister George Osborne wird Chefredakteur des „Evening | |
> Standard“. Gleichzeitig ist er Abgeordneter und Berater einer | |
> Investmentfirma. | |
Bild: George Osborne, hier noch als Finanzminister im April 2016 | |
London taz | Erstaunt bis ungläubig reagierten die meisten Briten, als | |
Mitte März einer der Spitzenpolitiker ihres Landes zum Chefredakteur von | |
[1][Londons größter Tageszeitung] ernannt wurde. George Osborne – | |
Parlamentsabgeordneter der konservativen Tories und bis vergangenes Jahr | |
Wirtschafts- und Finanzminister – wird künftig den London Evening Standard | |
leiten, ein Blatt mit hundert Jahren Tradition und einer Auflage von | |
900.000 Exemplaren täglich. | |
Er ist nicht nur Exspitzenpolitiker – sondern will weiter aktiv bleiben. | |
Seinen Sitz im Parlament will Osborne behalten. Das wirft Fragen auf: Wie | |
kann er seinen öffentlichen Pflichten nachkommen, für die er immerhin | |
86.000 Euro pro Jahr bekommt, während er vier Tage die Woche eine Zeitung | |
leitet? | |
Zumal Osbornes fünfter Wochenarbeitstag ebenfalls belegt ist: Da arbeitet | |
er als Berater der US-Investmentfirma Blackrock. Diesen Job will er für den | |
Chefredakteursposten auch nicht aufgeben. Verständlich, zahlt ihm Blackrock | |
doch umgerechnet 750.000 Euro Jahresgehalt. | |
Die Personalie Osborne schürt die Sorgen über die Unabhängigkeit britischer | |
Medien. Kritiker fühlen sich in ihrer These bestätigt: Die Medien in | |
Großbritannien seien mittlerweile nicht viel mehr als Sprachrohre für | |
Parteien oder politische Strömungen. | |
## Drängt Osborne auf den Soft-Brexit? | |
Auch Osborne könnte seinen Evening Standard als Kampagneninstrument nutzen: | |
gegen Ministerpräsidentin Teresa May. Die ist zwar mit Osborne in einer | |
Partei, aber noch an der Macht – anders als Osborne und sein früherer Chef | |
Premierminister David Cameron. Die beiden waren mit ihrem Pro-Europa-Kurs | |
bei der Brexit-Abstimmung 2016 gescheitert. Die Herren gingen, die Frau kam | |
– und mit ihr der Brexit. Gerüchteweise wird der 45 Jahre alte Osborne sein | |
Blatt nun nutzen wollen, um May zu einem sogenannten Soft-Brexit zu | |
drängen. | |
Die britische Medienlandschaft hat in den vergangenen Jahren einige | |
Skandale erlebt: 2011 kam heraus, dass Redakteure und Geschäftsführer der | |
News International, eines der größten Medienunternehmen des Landes, und | |
deren Eigentümer Rupert Murdoch, in regelmäßigem persönlichen Austausch mit | |
Premierministern und MinisterInnen verschiedener Kabinette standen – | |
inklusive Einladungen zu privaten Partys und Anbändelungen. Die Vorgänge | |
wurden gar vor Gericht untersucht. | |
„Pragmatische Politiker und Medienunternehmer würden versuchen, voneinander | |
zu profitieren“, sagt James Curran, Medienprofessor der Londoner Goldsmiths | |
University. Er nennt das Ganze einen „Scorpion’s Dance“, einen Tanz der | |
Skorpione. Nicht selten enden diese tödlich. Fürs Männchen. | |
2011 räumte auch der damalige Ministerpräsident David Cameron ein, dass es | |
ein Problem gebe: „Politiker und Medien haben zu viel Zeit damit verbracht, | |
sich gegenseitig zu unterstützen – und sich nicht mit Problemen | |
konfrontiert“, befand er. Und schloss: „Es muss sich etwas ändern. Die | |
Beziehung muss in Zukunft eine andere sein.“ Sechs Jahre später ist sein | |
zweiter Mann und Finanzminister der Chefredakteur einer renommierten | |
Tageszeitung. | |
## „Dreister Interessenkonflikt“ | |
„Osbornes Wechsel auf den Chefredakteursposten verdeutlicht die enorm | |
ungesunde, inzestuöse Verbindung zwischen hochrangigen Politikern und | |
hochrangigen Journalisten“, sagt Medienprofessor Curran. Wenn das so | |
weitergehe, würden die britischen Zeitungen zu politischen „Cheerleadern“ | |
degradiert, warnt er. | |
Journalismus soll Politik gegenüber der Öffentlichkeit kommunizieren. | |
Manche argumentieren daher, es sei natürlich und unausweichlich, dass | |
Politiker und Journalisten in engem Kontakt sind. Osborne verteidigte sich, | |
er sei ja nicht der Einzige: Einige der renommiertesten britischen | |
Politiker, darunter Außenminister Boris Johnson, waren mal Journalisten – | |
wobei man sagen muss, dass es weit weniger üblich ist, in die | |
entgegengesetzte Richtung zu reisen. Und Zeitungen machen kein Geheimnis | |
aus ihrer politischen Neigung: Der Evening Standard unterstützte öffentlich | |
die Konservativen bei der letzten Wahl und lobte sogar ausdrücklich | |
Osborne. | |
Aber für viele hat das Zusammengehen von Protagonisten aus Politik und | |
Medien einen schalen Beigeschmack. Kritiker bezeichneten Osbornes | |
Engagement als „dreisten Interessenkonflikt“ und erklärten, „Drehtüren | |
zwischen Wirtschaft, Medien und Politik beeinflussen unparteiische | |
Berichterstattung empfindlich“. | |
„Persönliche Interessen und geschlossene Gruppen dominieren weiterhin die | |
Information, die den Massen gegeben wird“, heißt es in dem Statement. „Wie | |
kann ein Abgeordneter das Parlament kontrollieren?“ | |
## Medienmäzene | |
Problem ist auch, dass Medien immer öfter rote Zahlen schreiben. Manche | |
Zeitungen machen jährlich Verluste in Millionenhöhe – und müssen sich auf | |
Investoren stützen. „Die Mehrheit der Presse ist im Besitz von Oligarchen, | |
Medienmogulen und steuervermeidenden Billionären“, erklärt Des Freedman | |
gegenüber der taz, ebenfalls Medienprofessor an der Goldsmiths-Universität. | |
Einzige Ausnahme ist der Guardian, der von einer Stiftung getragen wird. | |
Die um ihre Existenz kämpfenden britischen Zeitungen brauchen diese | |
Investoren. Murdoch, Besitzer eines Medienimperiums, der auch einige der | |
größten britischen Medien besitzt, trug The Times durch Jahre roter Zahlen. | |
Evgeny Lebedev, Sohn eines früheren KGB-Agenten und heutigen | |
Kreml-Kritikers, kaufte den Independent und bewahrte ihn so vor der | |
Schließung. | |
Natürlich üben sie Einfluss aus. 2011 bezeichnete ein Medienberater von | |
Expremier Blair Murdoch als „24. Kabinettsmitglied“, unterstellte also, | |
dieser könne Regierungsentscheidungen beeinflussen. Murdoch machte Blair | |
zum Patenonkel eines seiner Kinder. | |
Die Wirkung auf das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Medien ist | |
schwerwiegend. Das Eurobarometer 2015 zeigt, dass nur 22 Prozent der Briten | |
der Presse trauen, weniger als in jedem anderen EU-Staat. Das sei nicht | |
überraschend, sagt Freeman und verweist auf den Skandal von 2011 und das | |
Scheitern der Medien, bestimmte Behauptungen aus der Brexit-Kampagne als | |
Lügen zu entlarven. Curran spricht von einem „katastrophalen | |
Glaubwürdigkeitsverlust“. | |
Übersetzung: jük, mgo | |
30 Mar 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.standard.co.uk/ | |
## AUTOREN | |
Jessica Abrahams | |
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