# taz.de -- Studie über Social-Media: „Es wird volksverhetzt“ | |
> Der Sozialpsychologe Klaus Boehnke erklärt, warum Bremen weltoffener als | |
> Stuttgart ist und was Rassismus mit On- und Offline-Medien zu tun hat. | |
Bild: Facebook 1888: politische Debatte am Stammtisch | |
taz: Herr Boehnke, welchen Anteil haben Medien an der Verschlechterung der | |
Stimmung gegenüber Geflüchteten und MigrantInnen? | |
Klaus Boehnke: Tatsächlich können Printmedien versuchen, die Sache | |
einigermaßen rational zu halten – oder aber zu befeuern. Und es hat sich in | |
unserer Studie gezeigt, dass, anders als in Bremen, in Halle, vor allem | |
aber auch in Stuttgart, die Printmedien einiges dazu beitragen, dass | |
Artikulationsraum gefunden wird für Anti-Flüchtlingshetze. | |
Und die radikalisiert sich online? | |
Vorsicht. Was wir gefunden haben ist nicht: Radikalisierung durchs | |
Internet. Da sind sich die AutorInnen der Studie einig. Was wir gefunden | |
haben, deutet aber darauf hin, dass in den Online-Kommentarspalten | |
etablierter Medien ebenso wie auf Social-Media-Plattformen der Bodensatz | |
rassistischer Einstellungen, den wir in Deutschland haben, ein | |
Artikulationsfeld findet. Das lässt sich wie ein Online-Stammtisch | |
verstehen. Menschen, die sich sonst gar nicht mehr äußern – wer ginge noch | |
in einer urbanen Welt zum Stammtisch? – finden hier die Möglichkeit zu | |
hetzen. | |
Also alter Schleim in neuen Blasen? | |
Naja, das verändert schon etwas: Indem sich das im Internet zu Gruppen und | |
Filterblasen zusammenfasst, entstehen Anknüpfungspunkte für rechte Akteure. | |
Diese Leute finden online eine Kampagnenfähigkeit. | |
Man fühlt sich nicht mehr allein: Es sind plötzlich Hundertschaften, mit | |
denen man sich auf den Hass einigen kann …? | |
Ja, und selbst wenn sich nicht Hunderte artikulieren, man bekommt sehr | |
schnell diese unsäglichen Likes. Und schon hält man sich sehr schnell für | |
denjenigen, der die Mehrheitsmeinung ausspricht. Die Weltsicht, die | |
Radikalität werden aber nicht dadurch erzeugt. Die sind schon vorhanden. | |
Sie werden nur kampagnenfähig. | |
Das bedeutet: Das Web senkt die Schwelle vom Wort zur Tat? | |
Das ist möglich. Allerdings hinkt die Forschung zu Social Media hinterher. | |
Wir haben jede Menge strafbarer Äußerungen gefunden. Was wir nicht gefunden | |
haben, sind Verabredungen zu Straftaten. Etwa, nach dem Vorbild der Gruppe | |
Freital einen Brandsatz zu werfen. | |
Die hatte sich aber doch genau via Facebook gegründet? | |
Ja. Dort ist der Bodensatz an Weltsichten, es gibt die Echokammern, die | |
suggerieren: Ja, wir sind viele. Und dann kommt der Schritt: Wir können | |
auch effektiv sein. Und auch da finden die Verabredungen aller | |
Wahrscheinlichkeit nach über Social-Media-Kanäle statt – aber nicht oder | |
eben nicht mehr über klar einsehbare Facebook-Gruppen, nicht in | |
Youtube-Kommentaren oder via Twitter, sondern über Messenger-Dienste. Und | |
die haben wir nicht untersucht. | |
Die offenen Kanäle funktionieren als Kontaktbörsen? | |
Ja, wobei die verbale Gewalt extrem ist: Es gibt keinerlei Hemmungen, | |
Volksverhetzung zu begehen – und wenn da die Polizei und Justiz | |
einschreiten wollen würde, könnte sie sehr leicht, teils sogar mit | |
Klarnamen gekennzeichnet, Leute aufspüren, die strafbare Kommentare | |
absondern. Es wird volksverhetzt. Und es wird nicht die Moderationspflicht | |
wahrgenommen, weder von Facebook noch von anderen Website-Eignern. Das | |
steht da – und nahezu für immer und ewig, selbst wenn die Seite | |
„Asylantenflut stoppen“ schon seit Monaten keinen Verkehr mehr hatte. | |
Allerdings stammt ein großer Teil der auf Social-Media-Kanälen verbreiteten | |
und kommentierten Inhalte doch wieder aus traditionellen Medien. | |
Sicher! Aber auch hier kommt überraschend viel aus dem Stuttgarter Raum: | |
Die überregional agierende Website „Politically Incorrect“ zitiert | |
überdurchschnittlich häufig die Stuttgarter Nachrichten – die dann | |
unterschrieben sind: Na, dann haben wir’s doch mal wieder. Also ja, | |
Printmedien werden genutzt, um die eigene Propaganda zu untermauern. | |
Können Medien sich davor schützen? | |
Indem sie keine Artikel schreiben, die eine solche Nutzung nahelegen. Aus | |
der taz findet sich auf diesen rechtspopulistischen Seiten so gut wie nie | |
ein Beitrag – und auch vom Weser-Kurier sehr, sehr viel seltener als aus | |
den Stuttgarter Nachrichten. | |
Wie erklärt sich denn diese regionale Differenz? | |
Das war nicht unsere Forschungsfrage. Ich denke allerdings, dass die | |
Unterschiede zwischen Stuttgart und Bremen lang gewachsene | |
Mentalitätsunterschiede sind. Bis Kretschmann ist Baden-Württemberg immer | |
CDU regiert gewesen – und auch die Grünen wirken dort sehr viel | |
konservativer. Bremen ist dagegen das einzige Bundesland, das seit dem | |
Zweiten Weltkrieg stets eine SPD-Führung hatte, in sieben | |
Legislaturperioden saßen KPD oder Linke in der Bürgerschaft, neunmal gab es | |
eine Grünen-Fraktion: Da manifestiert sich für meine Begriffe eine | |
Grundtendenz in der Bevölkerung. | |
Obwohl Stuttgarts Bevölkerung einen höheren Ausländeranteil hat als Bremen? | |
Ja. Auf die Gefahr, dass es kitschig klingt: Die genuine Weltoffenheit in | |
Bremen scheint stärker. Und auch Sicherheitsängste sind hier nicht so stark | |
ausgeprägt. Denn das ist in meinen Augen ein bemerkenswerter Befund: Wie | |
eng verknüpft Rassismus und Sicherheitsängste sind. Wie schnell man bereit | |
ist, das Fremde zum Schuldigen zu machen, hat mich überrascht. | |
Die Flüchtlinge dienen, wenn ich Ihre Studie richtig lese, vor allem als | |
Vehikel, um in einen luftleeren Raum des unbestimmten Zorns zu gelangen. | |
Ja, das trifft es. | |
Es geht nicht um konkrete Vorfälle, sondern nur ums Ressentiment. Aber: Wie | |
ließe sich denn darauf antworten? | |
Darauf habe ich keine unmittelbare Antwort parat – ich bin ja | |
Wissenschaftler. Aber ich habe einen Verdacht. Ich denke, dass Politiker | |
viel zu selten klare und deutliche Gegenrede artikulieren: Die Flüchtlinge | |
sind nicht für die Bombenattentate verantwortlich! Die Flüchtlinge sorgen | |
nicht dafür, dass wir keine Rentenerhöhung bekommen! Das klarzustellen, | |
wäre nötig. Stattdessen sagen Medien und zu viele Politiker, wir müssen | |
Verständnis haben für die Leute, die so etwas behaupten. | |
Müssen wir nicht? | |
Nein, das müssen wir eben nicht! Wir müssen ihnen klar sagen: Nein, wir | |
sehen das anders! Nein, wir unterstützen nicht dieselben Dinge! Nein, ihr | |
seid nicht die Mehrheit – und vor allem auch nicht dieses ständige: „Wir | |
nehmen eure Sorgen ernst.“ Nein! Wir müssen klar sagen: Ihre Sorgen | |
entbehren – was Geflüchtete angeht – jeder Grundlage. | |
16 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Anti-Nazi-Demo | |
Gruppe Freital | |
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