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# taz.de -- Geschichtsreportage „Zink“: Grenzen gehen über dich hinweg
> Man sprach Esperanto: David Van Reybroucks fesselnde Geschichtsreportage
> erzählt von Emil Rixen und dem Mikrostaat Neutral-Meuresnet.
Bild: Historiker Reybrouck verknüpft souverän die große mit der kleinen Erz�…
Old Europe kannte viele Kleinstaaten. Die kleinste Mikronation
Neutral-Moresnet umfasste 3,4 Quadratkilometer und existierte von 1816 bis
1919. Sieben Kilometer südwestlich von Aachen gelegen grenzte dieses
Fleckchen Land an Preußen (Deutsches Reich), Belgien und die Niederlande.
Die Geschichte von Neutral-Moresnet ist eng mit Erzabbau und den
wechselnden Front- und Gesetzesverläufen in Europa verbunden.
Der belgische Historiker David Van Reybrouck lernte bei einem Vortrag
zufällig Katja Rixen kennen, eine Enkeltochter von Emil Rixen. Sie erzählte
ihm von ihrem Großvater und wie dieser als Adoptivkind als Vierjähriger
1907 zur Familie Pauly nach Neutral-Moresnet kam. Er ist das uneheliche
Kind des Dienstmädchens Maria Rixen, hervorgegangen aus einer Liaison mit
dem Stahlfabrikanten Hütten aus Düsseldorf. Der bereits verheiratete
Fabrikant Hütten verstieß Maria Rixen, als sie schwanger wurde, und entzog
sich auch der Verantwortung für die Vaterschaft.
In der Region Moresnet wurde seit Jahrhunderten Zinkspat abgebaut, und hier
lag auch die ergiebigste Zinkmine Europas. Historiker Van Reybrouck erzählt
entlang der Geschichte Emil Rixens und seiner Mutter Maria eine kleine
Geschichte des Zinks und des europäischen Zanks. Das winzige
Neutral-Moresnet mit seinen wenigen tausend Einwohnern war ein
multinationaler „Staat“ im Staate großer Staaten, die ihrerseits immer
wieder in das von ihnen mitverwaltete Gebilde hineinfunkten.
Bis 1847 war das Gebiet Zufluchtsstätte für Belgier wie Deutsche, die nicht
zum Militär eingezogen werden wollten. Auch von illegalem Schmuggel ist die
Rede. Zeitweise kam auf 50 Einwohner eine Kneipe. Doch in Neutral-Moresnet
lebte auch die supranationale Utopie. Esperanto wurde im Schulunterricht
praktiziert. Und „an manchen Restaurants erschien sogar die Inschrift ‚Tie
ci oni parolas Esperanton‘ (Hier spricht man Esperanto)“, so Van Reybrouck.
## Mit dem Ersten Weltkrieg war die Toleranz vorbei
Doch 1914 war es mit der übernationalen Toleranz vorbei. Der Erste
Weltkrieg begann, und Old Europe zeigte seine furchtbare Fratze. Deutsche
Truppen ignorierten den Aachener Grenzvertrag (von 1816), annektierten
Neutral-Moresnet und fielen im neutralen Belgien ein. „Der Krieg spaltete
ganz Europa, doch in Neutral-Moresnet geschah dies buchstäblich auf der
Ebene der Dorfstraße“, so Van Reybrouck. Patrioten beider Seiten
reklamierten die dortige Bevölkerung für sich.
Nachdem das Deutsche Kaiserreich 1918 untergegangen war, musste Emil Rixen
in belgischer Uniform bei der Besetzung des Ruhrgebiets 1923 mitmachen.
Dort traf er seinen biologischen deutschen Vater, der seinen Sohn aber
weiterhin verleugnete. Als Nazis und deutsche Wehrmacht schließlich am 10.
Mai 1940 Belgien und das frühere Neutral-Moresnet (nun: Region Eupen) im
Zweiten Weltkrieg überfielen, wurde der inzwischen 37-jährige Emil Rixen
erneut eingezogen.
Nun musste er aber mit den Deutschen kämpfen, bis er am Ende desertieren
konnte. Nur, um als mutmaßlicher Kollaborateur von belgischem Widerstand
und Alliierten interniert zu werden. Ohne je von Neutral-Moresnet
fortgezogen zu sein, wechselte Rixen fünfmal die Staatsangehörigkeit. „Er
hat keine Grenzen überschritten, die Grenzen sind über ihn hinweggegangen.“
Im Vergleich zu seinem vielfach ausgezeichneten Werk „Kongo. Eine
Geschichte“ ist „Zink“ eine Miniatur. Aber eine, die Van Reybroucks Metho…
der Verschränkung von großer und kleiner Erzählung exemplarisch beinhaltet.
Multiperspektivisch gegen Old Europe.
26 Mar 2017
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
## TAGS
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2024
Rio Reiser
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