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# taz.de -- Kolumne Globetrotter: Rabattpolitik macht keine Hoffnung
> Kann man Macron als Französin wählen? Er plädiert für ein Europa der zwei
> Geschwindigkeiten, mit Deutschland und Frankreich an der Spitze.
Bild: Ist Macron für die französische Linke wählbar?
Jetzt sei sie total deprimiert, meint die junge Frau in der U-Bahn. Ich
hatte sie angesprochen, weil sie wie ich gerade auf dem Treffen der
proeuropäischen Partei En Marche! war. „Ja“, bestätigt sie, „und jetzt …
ich Macron auf keinen Fall mehr wählen.“
Emmanuel Macron, Exsozialist und Exwirtschaftsminister unter Präsident
Hollande, hat 2016 En Marche! gegründet und sich die Erneuerung des
politischen Lebens in Frankreich auf die Fahne geschrieben. Am Samstag war
der Kandidat der kommenden Präsidentschaftswahl zwar gerade wieder
abgereist, doch die Berliner EM-Fraktion lud trotzdem zum Treff in die
Lounge eines Charlottenburger Hotels.
So wie ich erfuhr auch meine U-Bahn-Nachbarin davon durch eine
unpersönliche E-Mail. Dass die französische Botschaft die Adressen ihrer
Schützlinge an politische Parteien rausgibt, findet sie nicht in Ordnung.
Auf ihre Beschwerde reagierte die Botschaft nicht. „Mittlerweile landet
sogar schon Spam von Marine Le Pen in meiner Mailbox“, sagt sie
kopfschüttelnd.
Auf die EM-Einladung jedenfalls reagierte sie positiv: „Ich war noch nie
bei so was.“ Ich ebenso wenig – und deshalb umso neugieriger. Außerdem
werde ich Macron, diesen relativ unbekannten, aber umso strahlenderen Stern
am Prognosehimmel, eventuell bald wählen müssen: Für viele steht fest, dass
der weder links noch rechts zu verortende Élysée-Anwärter in der zweiten
Wahlrunde gegen Marine Le Pen antreten wird.
## Er macht nur Rabattpolitik
Die Frau in der U-Bahn weiß allerdings noch nicht mal, für wen sie am 23.
April in der ersten Runde stimmen soll. Macron habe sie kürzlich im
Interview auf Radio France Culture gehört. Seine Eloquenz hat sie
beeindruckt: „Politiker, die mehr als 300 Wörter kennen, sind selten
geworden.“ Nun wollte sie mehr über sein Programm erfahren – und ist bitter
enttäuscht: „Auch er macht nur Rabattpolitik.“
Unter den etwa 80 Teilnehmern am EM-Treffen waren nicht nur Anhänger,
sondern auch viele skeptische Unentschiedene, wie man an dem kritischen Ton
während der anschließenden Fragerunde heraushören konnte.
Macrons Modell eines Europas der zwei Geschwindigkeiten, mit Frankreich und
Deutschland an der Spitze würde zur Erosion der EU führen, gab etwa ein
älterer Herr zu bedenken. Darauf entgegnete der Moderator, Entscheidungen
zu fällen sei doch einfacher zu zweit als zu 27. Für diesen Spruch hafte er
nicht, schob er angesichts der verdutzten Gesichter hinterher: „Das sind
Macrons Worte.“
## Populismus statt Globalplanung
„Geht’s noch?“, empört sich meine Mitfahrerin. „Das ist ein krasser
Widerspruch: Macron predigt ein gesamteuropäisches Denken und Handeln, doch
wie soll das unter der Regie von nur zwei Nationen gehen?“ Sie ist
sichtlich genervt. „Und dieser Spruch, dass die Erneuerung des politischen
Lebens Zeit braucht! Aber schnell 15.000 zusätzliche Gefängnisplätze und
verstärkte Überwachung der EU-Grenzen fordern? Das klingt für mich eher
nach Populismus als nach langfristiger Globalplanung.“
Warum sie sich nicht einfach im Netz über Macrons Programm informiert habe,
statt den Weg zum Treffen auf sich zu nehmen, frage ich. „Ja, warum
eigentlich?“ – und nach kurzem Nachdenken: „Ich glaube, aus Faulheit. Ich
hatte keine Lust, mich durch endlose Infos im Netz durchzuklicken – und
fand die Idee einer offenen Diskussion tatsächlich progressiv.“
Erst jetzt fällt uns ein, was wir die En-Marche!-Volontäre hätten fragen
sollen: Wie sie Macrons Verantwortung als ehemaliges Regierungsmitglied in
Bezug zur heutigen Situation sehen. Aber es scheint, als wäre Macrons
Abkapselung von den klassischen Lagern bereits komplett verinnerlicht.
Im Nachhinein haben wir beide das Gefühl, die Hotellounge eher mit
konservativen Wählern geteilt zu haben. Mehrmals wurde darauf gepocht, dass
sich alles seit „1981! 1981!“ verschlimmert habe – also seit mit François
Mitterrand ein erster Linker an die Macht kam. Nachdem eine glühende
Macron-Verehrerin ihre EM-Unterstützung kundgetan hatte, beichtete sie der
Runde ihre frühere PS-Mitgliedschaft – als würde sie um Vergebung bitten
müssen. Beim Vergleich muss meine Gesprächspartnerin auflachen. „Vielleicht
hätte man sie trösten sollen: Hey, halb so schlimm.“
Ihr jedenfalls sei ihre linke Gesinnung noch mal klarer geworden, und sie
müsse sich nun wohl oder übel mit Benoît Hamons Programm auseinandersetzen.
„Meinst du, der schickt uns auch noch eine E-Mail?“, fragt sie wieder bei
guter Laune, als ich aus der Bahn aussteige. Klar. Spätestens am 22. April.
22 Mar 2017
## AUTOREN
Elise Graton
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