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# taz.de -- Porträt des Schauspieler Benny Claessens: Schmeiß die Texte weg
> Überwinden, was man schon kennt: Den flämischen Schauspieler Benny
> Claessens treibt die Suche nach Unvertrautem auf die Bühne.
Bild: Benny Claessens
„Solange wir ständig die alten Geschichten erzählen, kommen wir doch nicht
voran in der Gesellschaft.“ Benny Claessens lächelt. Sein Ruf eilt ihm
voraus. Als der 1981 in Antwerpen geborene Schauspieler sich aus München
verabschiedete, wo er zuvor an den Kammerspielen unter der Leitung von
Johan Simons einiges Aufsehen erweckt hatte, schrieb Egbert Tholl für die
Süddeutsche Zeitung eine Eloge auf einen „Dicken, der seltsames Deutsch
sprach“.
In München rieb man sich an Claessens, was Tholl gefiel und ihn dazu
brachte, sich zu folgender Aussage hinreißen zu lassen: „Er (ließ) dann die
Sprache weg, wurde nur noch Körper, ein poetisches Nilpferd, grazil wie
eine Fee, (..) vor allem ein Körpermedium der Liebe.“ Okay.
Sieht man Claessens als Ödipus auf und zwei Wochen später dann hinter der
Bühne des Gorki Theaters sitzen, eine Stunde bevor er sich in der Maske
wieder in einen beinahe versteinerten, antiken Helden im Rüschenkleidchen
verwandelt, erkennt man diese lieb gemeinten Zuschreibungen als Tappen in
die Klischeefalle. Ja, Claessens sagt von sich selbst: „Klar, ich war
damals in Antwerpen eben das schwule, dicke Kind.“ Aber ein „Körpermedium
der Liebe“?
## Eine kaputte, griechische Statue
Das Körperliche ist wichtig in Claessens Spiel, dennoch präsentiert er sich
im persönlichen Gespräch vor allem als (selbst-)bewusst arbeitender,
reflektierter, belesener Typ, der eine genaue Vorstellung davon hat, was er
dem Theater abgewinnen will: „Ich wollte den Ödipus so spielen, dass die
Zuschauer sich am Ende denken: Nein, man braucht dieses Stück nicht mehr.“
Da grinst er. „Ich wollte mir, als Ersan Mondtag mich gefragt hat, ob ich
den Ödipus spielen will, eigentlich gar keine Gedanken über meine Rolle
machen. Ödipus, das ist halt eine kaputte, griechische Statue, die keinen
Schwanz mehr hat – das ist doch keine Rolle.“
Erinnerungswürdig sind einige der Szenen der Mondtag’schen „Ödipus und
Antigone“-Inszenierung. Zum Beispiel, wenn Claessens kreischend eine Treppe
runterkugelt oder wie ein Schwein quiekend den Löffel abgibt – Ödipus als
Karikatur? Mondtag, binnen kürzester Zeit zum gefragten und gehassten
Starregisseur aufgestiegen, hat für seine Inszenierung Sophokles’
Sagengestalten benutzt, um seinen Blick auf die Lethargie und Ängstlichkeit
der Europäer im Angesicht rechter Gefahren deutlich zu machen – inklusive
Hitchcock-Anspielungen und Antigone als gefährlichem Wolf im Schafspelz.
Für Benny Claessens ist Mondtag ein Traditionalist: „Was Ersan mit diesem
Stoff gemacht hat, ist doch wahnsinnig traditionell. Dieses Wort bedeutet
für mich: Man macht etwas über diese Welt und darüber, wie man sie sieht.
Wie diese 1980er-Generation – das waren die Experimentellen, die immer die
eigene Handschrift vor den Inhalt eines Abends stellen.“
Die „1980er-Generation“, in deren Fußstapfen er hier Mondtag stellt, das
sind für Claessens zunächst mal belgisch-niederländische Großregisseure wie
Johan Simons, Luk Perceval oder Jan Fabre. „Als ich noch in Antwerpen
Schauspiel studierte, da waren die alle gerade sehr gut.“ Luk Perceval war
zu dieser Zeit Intendant am Stadttheater von Antwerpen.
Claessens, der „Das Piano“ von Jane Campion gesehen hatte und eigentlich so
sein wollte wie Holly Hunter in diesem Film, schmiss da gerade sein
Musikstudium und sattelte aus Intuition auf die Schauspielerei um. „Das war
spannend. Perceval mischte zu der Zeit gerade das altbackene Stadttheater
auf.“ Heute seien die Erneuerer von damals aber so dominant, dass sie jeden
erdrücken, der etwas Radikales machen möchte, so Claessens.
Einmal habe er Perceval genau das gesagt. Dieser meinte dann, es läge an
ihm, das zu ändern. Claessens Reaktion: „Aber wie kann ich denn, wenn du so
groß auf dem fucking Ei sitzt!“. Am Stadttheater von Gent, wo er zuletzt
beschäftigt war, ist er mittlerweile nicht mehr tätig: „Ich habe dort
einen Abend gemacht, der war dem Theater nicht kommerziell genug – und dann
haben sie mich gefeuert.“
## Kein gutmütiges Reittier
Glücklicherweise ist das für Claessens kein großes Problem. Insbesondere
aus Deutschland bekommt er momentan viele Angebote, demnächst wird er in
Bochum arbeiten, danach wieder mit Ersan Mondtag. Darüber hinaus inszeniert
er mal hier, mal dort (Anfang April zum Beispiel „Hello useless – for W and
friends“ am HAU) seine eigenen Abende, bei denen er in der Regel auch
selbst auf der Bühne steht. Dort kommt er seiner Vision eines Theaters, bei
dem die Sprache sich der persönlichen Erfahrung des Zuschauers nicht in den
Weg stellt, wohl am nächsten.
„In der Regel arbeite ich so, dass ich bei meinen Inszenierungen anfangs
einen Texte habe, den ich dann aber spätestens vier Wochen vor der Premiere
komplett wegschmeiße.“ Der Text sei für ihn nur ein Hilfsmittel, das dann
vor der Premiere wegmuss, um dem Publikum eine persönliche Erfahrung zu
ermöglichen. „Ich glaube, die Menschen sollten ins Theater gehen, um dort
etwas zu sehen, was sie nicht sehen können, während sie im Büro arbeiten
oder ferngucken. Dazu braucht man etwas, was man nicht verstehen kann. Dem
steht ein Text oft im Weg.“
Nein, Benny Claessens ist wirklich kein gutmütiges Reittier, nicht
niedlich, sondern zielstrebig und selbstbewusst, einer, der zu Recht an die
Kraft der eigenen Kunst glaubt. Einer, der früher oder später selbst auf
dem fucking Ei sitzen wird.
13 Mar 2017
## AUTOREN
Sascha Ehlert
## TAGS
Kammerspiele München
Maxim Gorki Theater
Ersan Mondtag
Elfriede Jelinek
München
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