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# taz.de -- taz-Serie „Damals bei uns daheim“, Teil 24: Familiengeschichte
> Stiefkinder waren Ausgeburt heiligen Hasses, damals Fundament jeder Ehe.
> Kein Wunder, dass wir angesichts solcher Bedingungen überaus
> wohlgerieten.
Bild: Die Sandkastenfreundin hatte all die Jahre über treu auf ihn gewartet
Damals war alles aus Asbest. Die Autos, die Spielsachen, die Häuser. Auch
Lebensmittel wurden damit haltbarer gemacht. Asbest war nun mal dAS BESTe
Material – daher auch der Name. Alles andere hielt nicht, denn Beton war
nach dem Krieg noch lange alle.
Er war komplett für Bunker draufgegangen, die nun wie Monumente der
Blödheit in der Gegend rumstanden. Die Blödheit der Verteidiger natürlich,
wie Stiefvater uns klarmachte. Hätten sich „die Heulsusen weniger
angestellt“, hätten „wir“ gewonnen.
Er selber hob in den letzten Kriegstagen mit seinem Sandschäufelchen
Schützengräben und Panzersperren aus, doch alleine konnte er den Feind
nicht aufhalten. Schließlich war er nur ein kleines Stiefkind gewesen, so
wie ich es nun war.
Bei der folgenden Kriegsgefangenschaft im sibirischen Totmacheljowsk
durchlief er die Abteilungen für Stiefkinder, Stiefjugendliche und junge
Stieferwachsene.
## Amiliebchen
Fünfzehn Jahre nach dem Krieg kehrte er im Alter von zwanzig Jahren nach
Deutschland zurück, wo er auf der Stelle Stiefmutter, eine geborene
Gutmeier-Schabernack, heiratete. Die Sandkastenfreundin hatte all die Jahre
über treu auf ihn gewartet, derweil sich gottlose Amiliebchen für eine
Coca-Cola den Besatzern hingaben.
Als sich die beiden einmal wieder ganz besonders hassten, entstand aus
diesem Hass ein Funke, der in Stiefmutters Bauch zu einem lodernden Feuer
heranwuchs, das nach neunmonatiger Brandzeit mit der Geburt meines ältesten
Stiefbruders Horst-Ulrich eskalierte.
Dabei soll es eine hundert Meter hohe Stichflamme gegeben haben, während
der infernalische Schrei von Stiefwöchnerin und Stiefbaby aus dem
Armenkrankenhaus in Bottrop-Hönagel über den halben Kontinent hallte und
diesen in den Grundfesten erschütterte.
So wurde es uns erzählt. Auch meine anderen fünf Stiefgeschwister und ich
kamen so zur Welt, als Ausgeburten eines heiligen Hasses, der damals das
Fundament jeder Ehe bildete. Kein Wunder, dass wir angesichts solcher
Startbedingungen überaus wohlgerieten.
Das gilt vor allem für meinen dritten Stiefbruder, Ulrich-Peter, in der
Regenbogenpresse auch als „Uli, der Schlitzer“ bekannt. In Anerkennung
seiner besonderen Verdienste auf dem Felde der Gewaltkriminalität hat man
ihm sogar in Aussicht gestellt, ihn vorzeitig aus der, nach seiner
Sicherungsverwahrung angeordneten, Hochsicherungsverwahrung zu entlassen,
frühestens jedoch, sobald kein Rechtssystem der Welt mehr existieren würde.
## Maschinenpistole
Meine Stiefschwester Hirntrud wiederum schrieb zauberhafte Liebesgedichte,
deren Wortlaut sie mithilfe von Maschinenpistolen israelischer Bauart in
Politikerköpfe und Polizistenleiber tackerte. Nun ist sie tot. Das ist
schade.
Ich selber gucke den ganzen Tag aus dem Fenster und forme dabei kunstvolle
kleine Kügelchen aus Kot. Manchmal lache ich. Oder ich weine. Oder ich
schreie. Ganz normale und gesunde Regungen also. Aus mir ist ein
zufriedener und ausgeglichener Stiefmensch geworden. Dafür bin ich meinen
Stiefeltern sehr dankbar.
27 Feb 2017
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Damals bei uns daheim
Asbest
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Damals bei uns daheim
Damals bei uns daheim
Telefon
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