# taz.de -- Die Wahrheit: Die Faust – eine Tragödie | |
> Einmal im Leben bricht man sich die Hand – und schon sehen einen alle | |
> scheel an. Denn zu einer Boxerfraktur gehört auf der anderen Seite ein | |
> Kiefer. | |
Bild: Wolfgang-Hubertus Heil – erleuchteter Arbeitsminister | |
„Ja, kein Wunder. Da ist eindeutig ein Bruch!“, höre ich den Arzt sagen. | |
Aha, daher die Schmerzen, gut, jetzt verstehe ich. Und ärgere mich. Bin ich | |
doch fast dreißig Jahre alt geworden – ob aus starkem Knochenbau oder | |
allgemeiner Feigheit und Risikoscheuheit, das lasse ich einmal | |
dahingestellt –, ohne mir einen Knochen zu brechen. Und jetzt das! Auch | |
noch die Hand. Eine sogenannte Boxerfraktur. | |
Alles so unangenehm, wie es klingt. Nach nur zwei Wochen in der Gipsschiene | |
habe ich bereits das Gefühl, einen in Mull gebundenen, mausetoten, vor sich | |
hin modernden Plattfisch als Hand mit mir herumzutragen. Regelrecht | |
erstaunlich, dass bis jetzt noch keine Fliegen um den Gips schwirren und, | |
wenn ich über die Straße gehe, kein Ungeziefer aus den Gullydeckeln | |
springt, um mir nachzulaufen. | |
Ich versuche mittlerweile größtmögliche Distanz zu meiner eigenen Hand zu | |
halten, entfremde mich also von meinem eigenen Körper. Warum ich das | |
erzähle? Erst einmal um eine gewisse Portion Mitleid zu erhaschen. Aber | |
natürlich liegt auch eine wertvolle Erkenntnis in dieser Geschichte. O | |
nein, höre ich es nun jaulen. Ganz recht! Selbst mir ist bewusst, dass | |
Knochenbrüche – wenn auch hoffentlich nicht für einzelne, traurige | |
Individuen, so doch zumindest im gesamtgesellschaftlichen Ganzen – etwas | |
Alltägliches sind. Mit der Boxerfraktur hat es allerdings seine eigene | |
Bewandtnis. | |
Anscheinend gibt es nach offiziellem Stand der Medizin nämlich keine andere | |
Möglichkeit, sich eine Hand so zu brechen, als jemandes Kiefer zu | |
zertrümmern, geht man jedenfalls nach den Ärzten und ihren Reaktionen. Ich | |
habe es dennoch geschafft, aber die Welt ist augenscheinlich noch nicht | |
bereit dafür, deshalb und der Spannung halber spare ich auch aus, was | |
meiner Hand wirklich zugestoßen ist. Drei Ärzte an der Zahl habe ich | |
bereits im Zuge meiner Verletzung getroffen. Jedes einzelne dieser Treffen, | |
eine Erfahrung, ein Perspektivwechsel zu meinem vorherigen Leben, | |
jedenfalls für die Länge einer Röntgenbehandlung. Ein Privilegiencheck auf | |
Krankenkasse. | |
„Wo ist denn der dazugehörige Kiefer?“ oder ein ungläubiges „Das ist ab… | |
sehr ungewöhnlich!!!“, gar „Was ist denn nun wirklich passiert?“ bekam i… | |
zu hören, konnte gegenreden, wie ich mochte, bis ich einsehen musste: | |
Niemand glaubt mir! Verachtungsvolle Blicke, von Menschen, die mich | |
schnellstmöglich weiterschicken wollen. | |
Ein Knochenbruch, der Preis der Erkenntnis. Für mich (hetero, männlich, | |
weiß) eine gänzlich neue Erfahrung. Vorverurteilung, Blicke, die Distanz | |
schaffen möchten und eine permanente Zuschreibung kriminellen Verhaltens, | |
das erlebe ich sonst lediglich, wenn ich meine Familie besuche. Zu Recht! | |
In der Öffentlichkeit bleibe ich davon aber stets verschont. Mein Bruch | |
jedenfalls heilt gut, sofern der Orthopäde mich vor Verachtung nicht gleich | |
noch belogen hat, und ich bin um eine Erfahrung reicher: Sollte mir jemals | |
wieder jemand so blöd daherkommen, box ich ihn einfach um! | |
22 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Fabian Lichter | |
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