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# taz.de -- V-Mann beim NSU-Ausschuss: „Schon ein bisschen komisch“
> Der NSU-Ausschuss im Bundestag ist auf der Zielgeraden. Erstmals befragen
> die Parlamentarier einen V-Mann. Der bringt den Verfassungsschutz in
> Nöte.
Bild: Der ehemalige Chef des Bunderverfassungsschutzes Heinz Fromm am Donnersta…
Berlin taz | Es war eine Premiere. Extra aus Schweden reiste Michael von
Dolsperg an. Drei Stunden sprach der einstige V-Mann „Tarif“ am Donnerstag
hinter verschlossenen Türen im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestag,
dann entschwand er durch eine Hintertür. Zuvor hatte der 42-Jährige die
Vorwürfe an seinen früheren Auftraggeber wiederholt: Er hätte das NSU-Trio
kurz nach dem Untertauchen auffliegen lassen können.
Von Dolsperg war damit der erste V-Mann, der in dem Gremium befragt wurde.
Das hatte seinen Grund. In den Neunziger Jahren gehörte von Dolsperg in
Thüringen zu den Szene-Anführern, wegen versuchten Totschlags saß er in
Haft. 1995 wurde er vom Geheimdienst dennoch angeworben. Und drei Jahre
später will von Dolsperg auch mit dem späteren NSU-Trio zu tun gehabt
haben: Kurz nach deren Abtauchen habe ihn ein befreundeter Neonazi um eine
Bleibe für die Drei gebeten. Dolsperg will das sofort seinem V-Mann-Führer
gemeldet haben – der ihn aber abgehalten habe.
Stimmt das, wäre damals eine große Chance, das flüchtige Trio zu fassen,
vertan worden. Der Verfassungsschutz aber bestreitet, dass es diese Meldung
gab. Widerlegen lässt sich das schwer: Die V-Mann-Akte von „Tarif“ gehörte
zu den Unterlagen, die 2011 – kurz nach dem NSU-Auffliegen – beim
Bundesverfassungsschutz eilig geschreddert wurden.
Von Dolsperg bekräftigte am Donnerstag seine Version. Auch nannte er
weitere Bekannte, die seine Aussage stützen könnten. Als „authentisch“
schilderten die Ausschussmitglieder unisono den Szeneaussteiger, der 2001
als Spitzel abgeschaltet wurde und sich heute als Landwirt in Schweden
verdingt. „Es steht Aussage gegen Aussage“, sagte der Ausschussvorsitzende
Clemens Binninger (CDU). Für die Grünen-Obfrau Irene Mihalic war aber auch
klar: „Es gab keine Anhaltspunkte, warum der Zeuge lügen sollte.“
Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen hielt am späten Nachmittag im
Ausschuss dagegen: „Diese Information ist nach den mir vorliegenden
Informationen falsch.“ Er habe von allen beteiligten
Verfassungsschutzmitarbeitern dienstliche Erklärung eingeholt, so Maaßen.
Alle hätten versichert, die Anfrage von „Tarif“ nicht erhalten zu haben.
Eher wohl sei die Aussage aus der „Verärgerung“ heraus entstanden, dass der
Verfassungsschutz ihm nach seiner Enttarnung 2013 keine Schutzmaßnahmen
gewährte.
Maaßen verweist auch auf die stattgefundenen Rekonstruierungen der
geschredderten Akten. Im Fall „Tarif“ sei dies für 76 Prozent der
Gesamtunterlagen gelungen, bei konkreten Meldungen zu 93 Prozent. Dort
finde sich „kein einziger Beleg, „dass diese Behauptungen der Wahrheit
entsprachen“. Die Linken-Obfrau Petra Pau stellte das nicht zufrieden. „Die
entscheidenden Akten sind bis heute nicht rekonstruierbar.“ Deshalb könne
man nicht entscheiden, ob der Spitzel oder der Verfassungsschutz Recht
habe.
## „Inakzeptable Behördenkultur“
Der damals Verantwortliche für die Schredderaktion, der Referatsleiter
Lothar Lingen, hat in einer Vernehmung bei der Bundesanwaltschaft
inzwischen eingeräumt, die Akten auch deshalb vernichtet zu haben, damit
bei der Vielzahl an Thüringer V-Leuten, „die Frage, warum das BfV von
nichts gewusst hat, vielleicht gar nicht auftaucht“.
Im Ausschuss geladen war auch Heinz Fromm, von 2000 bis Juli 2012 Chef des
Bundesverfassungsschutzes. Wegen der Schredderaffäre nahm er seinen Hut.
Die Erklärung Lingens nannte er „schon ein bisschen komisch“. Für Fromm
aber ist sie ein Einzelfall. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass
irgendjemand sonst auf solch eine Idee gekommen wäre.“ Wäre das die
Behördenkultur gewesen, „wäre das völlig inakzeptabel“.
Der Fall Tarif steht für eine der zentralen Fragen des Ausschusses: Warum
hatte der Verfassungsschutz, trotz all seiner V-Leute, keine Ahnung, wo
sich das untergetauchte Trio befand? Er habe dafür keine Erklärung, gesteht
Fromm. Dass man damals einen Rechtsterrorismus aus dem Untergrund
ausgeschlossen habe, sei ein Fehler gewesen. „Wir haben zu eng gedacht.“
Fromm muss sich indes auch Fragen zu anderen Spitzeln gefallen lassen.
Gegen Ralf „Primus“ Marschner hält sich der Verdacht, er habe NSU-Mitglied
Uwe Mundlos in seiner Baufirma beschäftigt. Thomas „Corelli“ Richter
wiederum überreichte dem Amt schon 2005 eine DVD mit einem NSU-Deckblatt.
Fromm wiegelt ab: Er habe mit den Vorgängen nichts zu tun gehabt. Auch dass
er den ersten Ausschuss nicht informierte, dass ein V-Mann aus NRW unter
Verdacht stand, am NSU-Anschlag auf ein iranisches Geschäft in Köln 2001
beteiligt gewesen zu sein, weist Fromm zurück. „Danach ist nicht gefragt
worden.“
Für den Ausschuss markierte die Anhörung einen der letzten Höhepunkte. Im
März wird er seine letzte Sitzung abhalten, bis Anfang Mai soll der
Abschlussbericht stehen. Aufgeklärt werde der NSU-Komplex aber auch dann
nicht sein, sagte Linken-Obfrau Pau. „Wir werden auf anderen Wegen weiter
nachhaken müssen.“
16 Feb 2017
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
V-Mann
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Schwerpunkt Rechter Terror
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NSU-Prozess
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