Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Journalist*innen organisieren sich: „Jeder kann zum Hashtag werde…
> Was macht eine Gewerkschaft für Journalist*innen in einem Land, das keine
> Pressefreiheit hat? Die Sisyphos-Arbeit eines Gewerkschafters.
Bild: #Reporter sind auch Menschen – und keine Superhelden
## taz.gazete: Stichwort Pressefreiheit: Welche Aufgaben stellen sich Ihnen
als Gewerkschaft in der Türkei unter den aktuellen Bedingungen?
Mustafa Kuleli: Wir sehen Pressefreiheit nicht so sehr als abstraktes
Konzept, sondern eher als die Befreiung unserer Kolleg*innen aus dem
Gefängnis. Uns ist außerdem wichtig, dass in den Nachrichtenzentren die
Selbstzensur und die Zensur beendet wird und die ökonomischen und sozialen
Rechte unserer Kolleg*innen durchgesetzt werden. Pressefreiheit hat auch
mit dem Gehalt von Journalist*innen zu tun, das können wir den Menschen
nicht recht verständlich machen. Sie können nicht erwarten, dass ein
Journalist mit einem monatlichen Einkommen von 500 Euro zum Helden der
Pressefreiheit wird. Superman war auch Journalist, aber erwarten Sie keine
Heldentaten von uns. Die Menschen haben Familie und Kinder, sie haben
natürlich große Angst, gefeuert zu werden. Pressefreiheit ist mehr als ein
ethischer Kodex. Die Einhaltung der Pressefreiheit hat nicht nur mit der
Regierung zu tun, sondern auch mit den Gehältern, der Versicherung und
sicheren Arbeitsbedingungen.
## Welche Unterstützung bieten Sie den Medienschaffenden konkret an?
Wir organisieren uns. Im Moment haben wir sechs Tarifverträge mit
oppositionellen Medien wie Cumhuriyet, Birgün, Evrensel, Yurt und Bianet.
Die Löhne unserer Kolleg*innen sind gestiegen, ihre Arbeitsbedingungen
besser geregelt. Aktuell beschäftigen wir uns mit den Mainstream-Medien.
## Wie läuft Ihre Gewerkschaftsarbeit dort?
Sehr langsam und sehr geheim, im Grunde ist es eine Sisyphos-Arbeit. Die
Kolleg*innen haben Angst, ihren Job zu verlieren. Die Medienbranche
schrumpft. Einerseits aufgrund des politischen Drucks, andererseits weil
viele Medienbosse sich langsam aus der Branche zurückziehen wollen. In der
Türkei ist das Geschäft nicht lukrativ, alle Medienunternehmen machen
Verluste. Deshalb wollen die Menschen ihre Arbeit nicht verlieren. Wir
haben auch politisch motivierte Mitglieder in der Gewerkschaft, die sich
sagen: „Wenn ich im Gefängnis lande, soll es jemanden geben, der meine
Rechte einfordert.“ Jeder kann eines Tages zum Hashtag werden.
## Gab es vor dem Hashtag-Zeitalter Journalisten, die gesagt haben: Hach,
wir arbeiten unter sehr angenehmen Bedingungen?
Die Türkei war für unsere Kolleg*innen zu keiner Zeit ein einfaches Land.
In den Siebzigern und Achtzigern wurden auch Journalisten getötet, in den
Neunzigern wurden insbesondere kurdische Journalisten ermordet. Heutzutage
werden wir nicht mehr auf offener Straße umgebracht, aber wir werden ins
Gefängnis geworfen. Unter diesem Druck ist es unmöglich, journalistisch zu
arbeiten. In diesen Tagen gewinnt Solidarität umso mehr an Bedeutung.
## Was halten Sie von unserem Webportal taz.gazete, das sich an türkische
Kolleg*innen richtet?
Das Projekt hat in linken Kreisen Aufsehen erregt. Während meiner Arbeit in
Frankfurt an der Oder habe ich natürlich die Arbeit der hiesigen linken
Journalisten verfolgt. Ich kannte die taz also schon vorher. Soweit ich
verstanden habe, liegt euer Fokus auf Journalist*innen in der Türkei.
Allerdings wird ein Journalist, der in der Türkei nicht schreiben kann, aus
ähnlichen Gründen auch bei taz.gazete nicht schreiben können, oder? Und wie
soll meine Großmutter diese Nachrichten nun lesen? Ab einem gewissen Alter
benutzen die Menschen das Internet nur noch für Facebook.
## Und wie löst ihr das Großmütter-Problem?
In der Türkei gibt es im Hinblick darauf andere Ansätze. Zum Beispiel
verwenden wir auf Journo.com den Chatbot von Facebook, unsere Nachrichten
erreichen unsere Leser*innen also per Chat.
## Stichwort Facebook: In letzter Zeit wird in Deutschland viel über „Fake
News“ und „Postfaktizität“ diskutiert. Haben die türkischen
Journalist*innen mehr Erfahrung auf diesem Gebiet? Immerhin machte man sich
schon während der Gezi-Proteste lustig über „Pinguin-Medien“, die
Falschmeldungen verbreiteten.
Die Journalisten interessiert nicht, was die Leute lesen, sondern wie sie
das, was sie lesen, wahrnehmen. Die Menschen verlangen Nachrichten, die
ihnen gefallen. Grund dafür ist die Polarisierung. Die Türkei ist entlang
einiger Achsen gespalten: die türkisch-kurdische Achse, die
laizistisch-islamische Achse, die alevitisch-sunnitische Achse zum
Beispiel. Das gilt für die AKP-nahen Leser*innen ebenso wie für die
Wähler*innen der oppositionellen CHP. Sie lesen Sözcü, um das zu lesen, was
sie hören wollen. Sie lesen lieber die Kolumnen, die ihnen ein gutes Gefühl
geben, als sich damit auseinanderzusetzen, was wirklich passiert. Das
zwingt die Journalist*innen, parteiisch zu sein. In Anbetracht der
aktuellen Situation ist dieses Thema natürlich ein Luxusproblem.
■ Mustafa Kuleli, 1985 in Izmir geboren. Nach dem Universitätsabschluss in
Kommunikationswissenschaften an der Bilgi Universität arbeitete Kuleli bei
Evrensel, IMC TV und anderen Medien. Kuleli ist Herausgeber des
Nachrichtenportals Journo und Generalsekretär der Journalistengewerkschaft
TGS. Am Montag erhielt die TGS in Berlin den Willy-Brandt-Sonderpreis für
besonderen politischen Mut.
27 Jan 2017
## AUTOREN
Ebru Taşdemir
Ebru Tasdemir
## TAGS
taz.gazete
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Fake News
taz.gazete
## ARTIKEL ZUM THEMA
Pressefreiheit in den USA: Zu laut nachgefragt
Ein Reporter wird in West Virginia nach „aggressiver“ Befragung des
Gesundheitsministers Price verhaftet. Price verteidigt die Polizei.
Debatte Fake News und ihre Wirkung: Das postfaktische Virus
Sich einzubilden, der Triumph der Rechten sei das Ergebnis cleverer
Internetpropaganda, ist bequem. Das macht es der Politik zu einfach.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.