# taz.de -- Alphabet für Guinea: 28 Buchstaben gegen das Vergessen | |
> 40 Millionen Menschen sprechen Fulfulde – doch es gibt keine Schrift. | |
> Zwei Brüder erfinden deshalb eine. Noch wird diese von Google & Co. nicht | |
> zugelassen. | |
Bild: Hier wird Fulfulde gesprochen: Straßenszene in dem westafrikanischen Lan… | |
Wenn Ibrahim und Abdoulaye Barry am Computer im US-amerikanischen Portland | |
Informationen im Internet recherchieren, können sie dies nicht in ihrer | |
Muttersprache Fulfulde tun. Die afrikanische Sprache, die [1][nach Angaben | |
der Barry-Brüder] von mehr als 40 Millionen Menschen in West- und | |
Zentralafrika gesprochen wird, ist online nur auf einigen wenigen Seiten | |
verfügbar. | |
Fufulde ist nicht die einzige Sprache, die im Netz kaum repräsentiert ist. | |
Nach einer Studie des ungarischen Linguisten András Kornai sind nur 5 | |
Prozent der existierenden Sprachen digitalisiert. Während man die | |
Suchmaschine Google auf 30 europäischen Sprachen benutzen kann, ist sie nur | |
in einer einzigen afrikanischen Sprache verfügbar. | |
Dass afrikanische Sprachen im Netz nur punktuell existieren, versperrt | |
Menschen den Zugang zu Informationen und marginalisiert Sprachgruppen im | |
Zeitalter digitaler Kommunikation. „Wenn man weder Englisch noch | |
Französisch oder Arabisch kann, dann ist das Internet wie eine Blackbox, du | |
hast einfach keinen Zugang. Deswegen ist die Digitalisierung von Sprachen | |
unheimlich wichtig“, erklärt Abdoulaye Barry im Skype-Interview. | |
Auch wenn sich Ibrahim und sein Bruder Abdoulaye heute dafür einsetzen, | |
dass ihrer Muttersprache in der digitalen Welt verfügbar ist, beginnt die | |
Geschichte ihres Engagements, lange bevor das Internet seine heutige | |
Ausbreitung und seinen derzeitigen Stellenwert erlangt hat. Sie nimmt ihren | |
Anfang vor 26 Jahren – mit Papier und Stift im heimatlichen Kinderzimmer. | |
Die Brüder erfanden hier die Schrift Adlam, die die Sprache Fulfulde | |
erstmals der Lautsprache entsprechend verschriftlicht. | |
## Arabisch als Behelf | |
Als die Barry-Brüder in den 1970ern Jahren in N’Zerekore, einer Stadt im | |
Südwesten von Guinea, geboren wurden, schrieb man Fulfulde noch mit | |
arabischen Buchstaben. Ein eigenes Fulfulde-Alphabet gab es nicht. Arabisch | |
wurde in der ehemaligen französischen Kolonie behelfsmäßig benutzt und war | |
den Menschen durch das Lesen des Korans bekannt. 90 Prozent der Menschen in | |
Guinea sind Muslime. | |
Der Vater der beiden Brüder half Freunden und Familie häufig beim Lesen und | |
Schreiben von Briefen. Die Brüder kamen so früh mit den Erschwernissen des | |
auf Arabisch geschriebenen Fulfulde in Kontakt. „Es gibt ein großes Problem | |
mit dem arabisch geschriebenen Fulfulde“, erzählt Abdoulaye Barry, der | |
heute 40 Jahre alt ist und wie sein Bruder als Ingenieur in Portland | |
arbeitet. „Viele Laute des Fulfulde existieren im Arabischen nicht. Die | |
Menschen schrieben deshalb in ihren eigenen individuellen Formen. Fügten | |
Zeichen hinzu, änderten ab. Somit war die Schrift nicht standardisiert. Das | |
zu lesen stellte eine echte Herausforderung dar.“ | |
Die beiden Kinder wünschten sich, so zu schreiben, wie sie sprechen. „Ich | |
fragte meinen Vater, warum wir keine eigene Schrift haben, warum wir auf | |
einer Schrift schreiben, die unsere Sprache nicht wiedergeben kann“, sagt | |
der 36-jährige Ibrahim Barry im Skype-Gespräch. „Es war eigentlich eine | |
naive Kinderidee. Wir fanden es mühselig, die Briefe zu entziffern.“ | |
Im Alter von nur zehn und vierzehn Jahren begannen sie kurzerhand ein neues | |
Alphabet zu erfinden. Monatelang verkrochen sie sich nach der Schule in | |
ihrem Zimmer und malten Buchstaben. Diese Buchstaben sollten alle im | |
Fulfulde vorkommenden Laute optisch widerspiegeln. Ihre Eltern nahmen die | |
Sache zunächst nicht ernst. Doch nach acht Monaten präsentierten die Jungen | |
tatsächlich ein neues Alphabet, das sie erst ihrer Schwester und dann ihrer | |
Mutter beibrachten – die beide zuvor weder lesen noch schreiben konnten. | |
## Schutz vor dem Verschwinden | |
Mit insgesamt 28 Buchstaben wird die von den Barry-Brüdern entwickelte | |
Schrift wie die arabische Schriftsprache von rechts nach links geschrieben. | |
Allerdings hat ihre Form nichts mit den arabischen Buchstaben gemein: die | |
Buchstaben sind größer und nicht miteinander verbunden. Der Name der | |
Schrift – Adlam – kam erst viele Jahre später hinzu. Er entstand auf | |
Initiative von Adlam-Lehrer_innen aus Guinea und ist die Aneinanderreihung | |
der ersten vier Buchstaben des Alphabets – die Äquivalente zu a, d, l, und | |
m. Gleichzeitig steht das Kürzel auch für den Satz: Alkule Dandaydhe Leñol | |
Mulugol – Das Alphabet, das Menschen vor dem Verschwinden schützt. | |
Diese Botschaft stellt für die Brüder die größte Motivation dar, die | |
Entwicklung und Verbreitung der Schrift Adlam voranzutreiben. Sie sind sich | |
einig, dass das Schreiben der Muttersprache Menschen eine Stimme gibt, die | |
nicht durch eine andere Sprache ersetzt werden kann. „Die Emotionalität ist | |
eine andere, wenn man in seiner Muttersprache schreibt“, sagt Abdoulaye | |
Barry. Das erlebte er auch in der eigenen Familie. „Vor einigen Jahren hat | |
meine Mutter uns hier in den USA besucht. Der Kulturschock war groß und sie | |
hat sich sehr unwohl gefühlt. Das Einzige, was ihr Halt gegeben hat, war, | |
das Erlebte aufzuschreiben. Sie meinte zu mir, dass sie sich gar nicht mehr | |
vorstellen kann, wie sie ohne Adlam leben konnte, so sehr hat das ihr Leben | |
verändert. Das hat mich unheimlich berührt“, erinnert sich Abdoulaye Barry. | |
Im Jahr 1993 konnten die Brüder ihren ersten großen Erfolg bei der | |
Bekanntmachung ihrer Schrift verbuchen. Abdoulaye Barry, damals noch | |
College-Student, konnte bei einer Reise in Guineas Hauptstadt Conakry einen | |
landesweit bekannten Fulfulde–Radiomoderator überzeugen, ihn in seine Show | |
einzuladen. Diese Sendung setzte eine Kettenreaktion in Gang: Mehr und mehr | |
Menschen begannen Mitte der 1990er Jahre Adlam zu benutzen. | |
Von da an folgten die Barry-Brüder einer einfachen Regel: Jede und jeder, | |
die oder der Adlam beigebracht bekommt, soll die Schrift an mindestens drei | |
Personen weitergeben. Ibrahim Barry reiste in den folgenden Jahren in | |
Nachbarländer und verbreitete dort die von ihnen geschriebenen | |
Adlam-Lernbücher. | |
Als Abdoulaye Barry 2003 für sein Master-Studium ins US-amerikanische | |
Portland zog, fand er ein Softwarefirma in Seattle, die Adlam als Sprache | |
entwickelte, die man am Computer schreiben kann. Das ist heute möglich – | |
allerdings nur wenn man den entsprechenden Schrifttyp heruntergeladen hat. | |
## Nur Hieroglyphen im Netz | |
Da Schrifttypen jedoch von Anbietern wie Google erst zugelassen werden | |
müssen, ist Adlam im Internet nach wie vor nicht verfügbar. Wenn man nach | |
den Schriftzeichen googelt, werden einem nur seltsame Hieroglyphen als | |
Platzhalter angezeigt. Facebook bietet die Sprache Fulfulde seit Anfang | |
2016 in lateinischer Schrift an. Hier fehlen aber viele Worte – und wie | |
beim arabisch geschriebenen Fulfulde können verschiedene Laute der | |
afrikanischen Sprache nicht repräsentiert werden. Zudem wird durch diese | |
Wahl der Schrift das Angebot nur für die Fulfulde-Sprechenden nutzbar, die | |
das lateinische Alphabet gelernt haben. | |
Die Barry-Brüder versuchen durch konsequente Lobbyarbeit ihrem Traum der | |
Digitalisierung von Adlam näher zu kommen. „Der Kolonialismus hat versucht, | |
unsere Sprachen auszulöschen und uns unsere Identität zu nehmen. Bis heute | |
sind unsere Sprachen nicht offiziell anerkannt. Um die Schule in Guinea zu | |
besuchen, müssen wir erst mal Französisch lernen. Aber zu Hause, auf dem | |
Markt unter Freunden, da sprechen wir kein Französisch, da sprechen wir | |
unsere Muttersprache“, sagt Ibrahim Barry. „In der eigenen Sprache zu | |
schreiben und zu sprechen macht alles einfacher. Wenn wir es schaffen, dass | |
Adlam im Internet präsent ist, dann funktioniert die Verbreitung schneller | |
und die Lernmotivation der Menschen ist noch höher.“ | |
Anfang dieses Jahres brachten die Brüder gemeinsam mit ihren Mitstreitern | |
eine SMS- und eine Android-App heraus, mit deren Hilfe Smartphones auf | |
Fulfulde umgestellt werden können. Bis Adlam ins Netz geht, ist es sicher | |
noch ein langer Weg. Ibrahim und Abdoulaye wollen aber nicht lockerlassen. | |
Sie vernetzen sich international und präsentieren ihre Schrift in der | |
Öffentlichkeit. 2013 waren sie an der US-Elite-Universität Harvard | |
eingeladen, um ihr Alphabet vorzustellen. Hier kamen sie auch mit anderen | |
afrikanischen Sprachaktivisten in Kontakt: „Das hat uns unheimlich Antrieb | |
gegeben. Wir stehen da nicht allein, es gibt viele Afrikaner, die sich | |
wünschen, dass ihre Sprachen institutionelle Anerkennung erfahren. Es mag | |
ein weiter Weg sein, aber unsere Motivation ist groß“, meint Abdoulaye | |
Barry. | |
Es wird sich zeigen, ob sich die Schrift, die er mit seinem Bruder | |
entwickelt hat, in Zukunft international durchsetzt und die Sprache | |
Fulfulde in ihrer Heimat Guinea auch institutionell anerkannt wird. Was | |
ihre Geschichte aber deutlich zeigt, ist, dass Tradition und Innovation | |
effektiv miteinander verbunden werden können. Und so Menschen mehr | |
Partizipationsmöglichkeiten gegeben werden können. | |
29 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.windenjangen.org/fulbhe_or_fulani | |
## AUTOREN | |
Katharina Lipowsky | |
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