Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nachruf auf Roman Herzog: Ein Präsident mit Ruck
> Aus purer Unionsnot wurde Roman Herzog 1994 zum Bundespräsidenten
> gewählt. Er profilierte sich nachhaltig als neoliberaler Impulsgeber.
Bild: Staatsrechtler allererster Qualität: Bundespräsident Roman Herzog
Dass man sich an ehemalige Bundespräsidenten, kaum haben sie Bellevue adieu
gesagt, kaum mehr erinnert, erstaunt nicht: Die Bundesrepublik hat durch
ihre politische Verfasstheit dem ersten Repräsentanten des Landes ja
allenfalls den Rang von gehobensten Grüß- und Dankonkeln zugewiesen. Wer
also weiß schon noch, dass nach Heinrich Lübke Gustav Heinemann kam und
nach diesem Walter Scheel? Der siebte Bundespräsident aber, in persönlicher
Hinsicht weitgehend vergessen, war einer, der in der Tat mit einer eigenen
politische Agenda vom ersten Tag an seinen Posten versah: Roman Herzog.
An ihn, allerdings, erinnert man sich heute im Hinblick auf den
persönlichen Kontakt gern: Ein jovialer Bayer, der freilich außerhalb des
CSU-Gebiets Karriere machte und im Umgang bei Empfängen von größter
Verbindlichkeit sein konnte. Ein Mann, der seine Popularität wachsen sah,
als seine erste Ehefrau Christiane als Kochsendungsteilnehmerin prominent
wurde. Roman Herzog indes war ein Mann der Notlösung. 1994, da hatten die
Konservativen eine Wahlniederlage zu gewärtigen, wenn ihnen die SPD nicht
den Gefallen getan hätte, Rudolf Scharping und nicht Gerhard Schröder zum
Kanzlerkandidaten zu wählen. Kanzler Kohl wollte aber, erstens,den
DDR-Hinterbliebenen einen Gefallen tun, zweitens, obendrein einen Dresdner
Ultrakonservativen ins Rennen um das höchste deutsche Staatsamt schicken:
Steffen Heitmann. Doch der Mann war indiskutabel, sein Frauenbild schien
direkt einem pietistischen Brevier des 19. Jahrhunderts entsprungen, Kohl,
vor allem die CDU-Gremien, ließen ihn verzichten.
Roman Herzog war damals Bundesverfassungsrichter in Karlsruhe – auf den
fiel die Wahl: Als sehr konservativer Law-&-Order-Politiker hatte er in der
Welt der Christdemokraten einen vorzüglichen Ruf, wenngleich einige seiner
Urteile in Karlsruhe missfielen, etwa der zu einem demokratischen, nicht
einhegenden Verständnis von Demonstrationsfreiheit.
Roman Herzog gewann die Wahl ins höchste Staatsamt 1994, nachdem die
liberale Kandidatin Hildegard Hamm-Brücher ihre – ohnehin aussichtslosen –
Ambitionen hinter die Parteiräson packte.
Und Herzog kam, so lässt sich heute sagen, mit einer auch persönlichen
Vorstellung von politischer Agenda zu diesem Aufgabenbereich. Das eben
wiedervereinigte Land war immer noch heimgesucht von – je nach politischer
Perspektive – kapitalistischen Raubrittern auf dem Gebiet der DDR oder von
sozialdemokratisch sattelfesten Gewerkschaften auf dem Gebiet der alten
Bundesrepublik. Neoliberalismus war weitgehend ein Fremdwort in der
politischen Arena. Die Arbeitslosenzahlen lagen bei fünf Millionen, die
Staatsverschuldung knallte in die rötesten Bereiche mit den Kosten der
Wiedervereinigung.
## Abspeckprogramm des Sozialstaats
Dann kam der 26. April 1997, der Ort das Hotel Adlon, ein wuchtiger
Hotelblock am Brandenburger Tor, acht Jahre zuvor noch eine Herbergsruine
auf DDR-Grund. Roman Herzog war der Redner einer Versammlung der
bundesdeutschen Elite. Und mit dieser Ansprache sollte der joviale Mann
berühmt werden, je nach Sichtweise, als Aufwecker in verschnarchtesten
Verhältnisse oder als Impulsgeber für ein Ausplünderungsprogramm der
sozialen Kassen und Rechtsbestände im rheinischen Kapitalismus der alten
BRD.
Wörtlich sagte Herzog: „Ich komme gerade aus Asien zurück. In vielen
Ländern dort herrscht eine unglaubliche Dynamik. Staaten, die noch vor
Kurzem als Entwicklungsländer galten, werden sich innerhalb einer einzigen
Generation in den Kreis der führenden Industriestaaten des 21. Jahrhunderts
katapultieren. Kühne Zukunftsvisionen werden dort entworfen und umgesetzt,
und sie beflügeln die Menschen zu immer neuen Leistungen.“ Das war eine mit
freundlicher Stimme vorgetragene Warnung aus den Weiten der
globalisierungsbereiten Welt: Deutschland müsse sich wappnen.
Weiter führte Herzog aus: „Allzu oft wird versucht, dem Zwang zu
Veränderungen auszuweichen, indem man einfach nach dem Staat ruft; dieser
Ruf ist schon fast zum allgemeinen Reflex geworden. Je höher aber die
Erwartungen an den Staat wachsen, desto leichter werden sie auch
enttäuscht; nicht nur wegen knapper Kassen. Der Staat und seine Organe sind
der Komplexität des modernen Lebens – mit all seinen Grenz- und
Sonderfällen – oft einfach nicht gewachsen und sie können es auch gar nicht
sein.“
Und dann sagte er: „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.“ Herzog verstand
diesen berühmt gewordenen Satz so, dass alle Staatsbürger von Ansprüchen
lassen müssten – von Subventionen, Alimentationen und Förderungen aus
Steuerkassen. In Wahrheit wirkte sich seine Credo wie ein gigantisches
Crescendo neoliberaler Planierungspolitik aus. Eine, für die die FDP wie
keine andere Partei stand – und die die rot-grüne Regierung seit 1998 zu
den Arbeitsmarktreformen brachte, die sich als Hartz IV auswirkten. Und
fast hätte es die CDU und ihre Parteichefin Angela Merkel in Versuchung
geführt. An ihrem Leipziger Programm, mit dem die Partei 2005 antrat,
wirkte Roman Herzog maßgeblich mit: ein christlich gesinntes
Abspeckprogramm des Sozialstaats, der nur die Tüchtigen und von Haus aus
Begünstigten, nicht die Strauchelnden bedachte.
Roman Herzog war ein Staatsrechtler allererster Qualität, dass er sein
rechtswissenschaftliches Verständnis bei einem Juristen lernte, der sich
postum als nazibeteiligt erwies, muss ihm nicht zur Unehre gereichen. Roman
Herzog, der Mann, der mit seiner Rede die neoliberale Hatz gegen Schwache
und sozial orientierte Menschen eröffnete, ist gestern im Alter von 82
Jahren gestorben. Er war ein freundlicher Mensch.
10 Jan 2017
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Bundespräsident
Lesestück Meinung und Analyse
Michelle Obama
Bundespräsident
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Woche: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
Das Elend des Merkel’schen Personals, Herzogs sozialpolitisches Fiasko und
Mittelalter-Mittel für „Gefährder“. Ein Hoch auf Michelle Obama.
Siebter Bundespräsident: Roman Herzog ist tot
Der CDU-Politiker Roman Herzog ist im Alter von 82 Jahren gestorben. Als
Bundespräsident hatte er unermüdlich vor Reform-Müdigkeit im Land gewarnt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.