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# taz.de -- Sturmflut-Angst an der Nordsee: Die Badewanne läuft über
> An der Ostsee wurde heute Nacht eine der schwersten Sturmfluten seit
> Jahrzehnten erwartet. Keine Katastrophe wie 1872, aber ein Zeichen des
> Klimawandels
Bild: Das war am Mittwochnachmittag erst der Anfang: Sturmflut auf der Ostsee v…
FLENSBURG taz | Die Wanne ist voll. Und ein heftiges Hochwasser sollte sie
am gestrigen Abend zum Überlaufen bringen. An der Ostseeküste
Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommerns wurde in der Nacht zum
Donnerstag eine schwere Sturmflut erwartet, zwischen Flensburg und Usedom
wurden sämtliche Strandzugänge mit Flutschutztoren gesichert,
Sandsackbarrieren aufgeschichtet und Sperrwerke geschlossen. Grund dafür
war der „Badewanneneffekt“.
Tagelang hatten Westwinde sehr viel Wasser aus Skagerrak und Kattegat in
die zentrale Ostsee gedrückt. Seit Mittwoch aber schob das Tief „Axel“
diesen Wasserberg aus dem Zentrum der Ostsee mit Windstärke 9 bis 11 zurück
an die Südküsten. Diese Drehung des Windes von West auf Nordost führt zum
sogenannten „Badewanneneffekt“: Das Wasser schwappt mit voller Wucht
zurück.
Erwartet wurden zwischen den Inseln Fehmarn und Rügen Wasserstände von bis
zu zwei Metern über Normalnull. Vergleichbare Fluthöhen hatten zuletzt 2006
für Millionenschäden in den betroffenen Ostseebädern gesorgt – eine schwere
bis sehr schwere Sturmflut (siehe Kasten), wie sie auch in der vergangenen
Nacht drohte. Dennoch werden die Schäden dank moderner Deiche dieses Mal
überschaubar bleiben, anders als vor 144 Jahren.
Damals hatte ein sehr ähnliches Szenario eine Katastrophe ausgelöst. 1872
war die bis heute schlimmste Sturmflut aller Zeiten an der Ostsee über die
Küsten Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommerns hereingebrochen.
Tagelang hatten starke Weststürme das Wasser Richtung Baltikum gedrückt.
Über Nacht drehte der Wind um 180 Grad: Vom 11. bis 13. November peitschte
ein schwerer Nordost-Orkan zwei Tage lang das Wasser nach Südwesten zurück,
die Flutwelle erreichte eine Höhe von 3,50 Metern.
Die Lübecker Bucht zwischen Dahme und Niendorf wurde weitflächig verwüstet,
besonders hart traf es die heutigen Ostseebäder Grömitz, Haffkrug,
Scharbeutz und Niendorf. 271 Menschen starben, 654 Schiffe wurden
beschädigt oder zertrümmert, fast 3.000 Häuser verschwanden vom Erdboden,
zehntausende Stück Vieh ertranken. Auch in Mecklenburg, bis hin nach Rügen,
brachten Orkan und Sturmflut Tod und Zerstörung.
Und sie führten auch zu ökologischen Katastrophen. Den Hemmelsdorfer See
bei Timmendorfer Strand, eine verlandete eiszeitliche Förde, eroberte sich
die Ostsee zurück. Fast alle Wasserpflanzen und Fische überlebten den
Salzwasserschock nicht, noch 1921 wurde am Grund des bis zu 40 Meter tiefen
Gewässers eine mehrere Meter dicke Salzwasserschicht gemessen. Die
Fischerei im neuntgrößten See Schleswig-Holsteins war für gut 60 Jahre
stillgelegt. Etwas Ähnliches gab es nie wieder an der deutschen
Ostseeküste, es kann allerdings jederzeit wieder passieren.
Denn die Meeresspiegel werden schneller als bisher befürchtet steigen. Um
mindestens 26 Zentimeter, im ungünstigsten Fall um 82 Zentimeter würden
sich die Pegel an Nord- und Ostsee bis zum Ende des Jahrhunderts erhöhen,
hat der Weltklimarat in seinem 2013 in Stockholm vorgelegten Bericht
errechnet. Und es werde deutlich mehr und heftigere Stürme geben – speziell
an den Küsten ist das keine besonders gute Aussicht.
Ohne die jetzigen Deiche wäre Niedersachsen, Modellrechnungen zufolge,
bereits um 14 Prozent kleiner, in Schleswig-Holstein gilt ein Viertel der
Landesfläche als sturmflutgefährdet. Ohne Deiche lägen Bremen und Hamburg
schon jetzt am Rande des Wattenmeeres.
Und deshalb mauern die Norddeutschen sich immer höher ein: Deichen oder
weichen – die mehr als 1.000 Jahre alte Überlebensformel an den Küsten gilt
mehr denn je.
5 Jan 2017
## AUTOREN
Sven-Michael Veit
## TAGS
Sturmflut
Ostsee
Schwerpunkt Klimawandel
Katastrophenschutz
Usedom
Sturmflut
Nordsee
Meeresspiegel
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