# taz.de -- Nazi-Verstrickungen beim Geheimdienst: Die braunen Wurzeln des BND | |
> NS-Belastung, was heißt das denn konkret? Eine Erklärung liefern vier | |
> neue Bände zur Geschichte des BND zwischen 1945 und 1968. | |
Bild: Die neue BND-Zentrale in Berlin wirft einen langen Schatten zurück | |
Wer hätte das gedacht. Im Herbst 2010 [1][wirbelte eine von Joschka Fischer | |
in Auftrag gegebene Studie] über das Auswärtige Amt im „Dritten Reich“ und | |
in der frühen Bundesrepublik viel Staub auf. Seitdem ist die Liste [2][der | |
Behörden], deren Geschichte in Bezug auf den Nationalsozialismus und/oder | |
dessen Nachwirkungen untersucht wurde, so lang geworden, dass darüber ein | |
eigenes kleines Büchlein verfasst werden konnte (Mentel/Weise: „Die | |
zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus“, 2016). | |
Mit am erstaunlichsten an dieser – übrigens auch durch stetes | |
parlamentarisches Nachbohren forcierten – Entwicklung ist, dass zu den | |
Institutionen, die ihre Geschichte aufarbeiten ließen, auch das | |
Bundeskriminalamt (BKA), das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und der | |
Bundesnachrichtendienst zählten. | |
Würden ausgerechnet diese Institutionen wirklich bereit sein, ihre Archive | |
zu öffnen? Sie waren es – wenn auch im Fall des BND nur bis 1968. Die | |
beteiligten HistorikerInnen betonen sogar, sie hätten nicht den Eindruck, | |
dass ihnen Akten vorenthalten wurden. Und die Befunde können sich sehen | |
lassen – nicht nur in Bezug auf personelle, sondern auch auf politische | |
Kontinuitäten. | |
Das Buch über das BfV brachte ans Licht, dass einstige SS- und | |
Gestapo-Chargen in großer Zahl als „freie Mitarbeiter“ in einem | |
pseudolegalen „Nebenbundesamt“ eine Anstellung fanden, das von der | |
Amtsspitze kaum kontrolliert wurde. Die [3][BKA-Studie] konnte zeigen, dass | |
die vielen ehemaligen Angehörigen der Gestapo und des Sicherheitsdienstes | |
der SS ihr vermeintliches Wissen darüber, was einen Verbrecher ausmachte | |
und wie man ihn am besten bekämpfte, nach 1945 nicht nur weiterverwendeten, | |
sondern auch an jüngere KollegInnen weitergaben. | |
## Mehr als schnöde Nazi-Zählerei | |
Tatsächlich hatten die Studien um einiges mehr zu bieten als schnöde | |
Nazi-Zählerei oder Porträts einiger besonders unappetitlicher Fälle von | |
personeller Restauration. Auf die ersten vier von insgesamt dreizehn | |
geplanten Bänden zur Geschichte des BND trifft dies ebenfalls zu. Schon | |
Band 1 der Reihe, den Christoph Rass über das Sozialprofil des BND verfasst | |
hat, verdeutlicht, wie sehr die Forschung zur NS-Nachgeschichte seit dem | |
Erscheinen von „Das Amt“ ihr Methodenarsenal ausgebaut hat. Rass zählt | |
nämlich in erster Linie Nazis, wenn man so will. Er tut dies jedoch auf | |
einem sozialwissenschaftlich ausgefeilten Niveau, das für Studien zu diesem | |
Themenbereich selten ist. | |
Um qualitativ arbeiten zu können, untersucht Rass nicht die materiale | |
Belastung der BND-Mitarbeiter, also ihr konkretes Handeln zwischen 1933 und | |
1945. Dies überlässt er explizit den AutorInnen der zwölf Folgebände. Ihn | |
interessieren formale Belastungen, die den Vorteil haben, dass sie sich | |
leichter rekonstruieren und quantifizieren lassen. Den unscharfen Begriff | |
der „NS-Belastung“ sinnvoll präzisierend, unterscheidet Rass zwei Arten von | |
„biografischen Markern“, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BND „mit | |
dem Dritten Reich verbunden“ haben: zum einen die Mitgliedschaft in der | |
NSDAP und anderen NS-Organisationen; zum anderen Beschäftigungsverhältnisse | |
im Staatsdienst des „Dritten Reiches“ – von der Verwaltung über die Poli… | |
oder die Ministerialbürokratie bis zu Wehrmacht, Waffen-SS und | |
Reichssicherheitshauptamt. | |
## Personalakten geprüft | |
Wie findet Rass heraus, welche Person über welche NS-Marker verfügt? Den | |
Kern seiner Quellenbasis bildet eine aus 3.650 Lebensläufen bestehende | |
Zufallsstichprobe aus den Personalakten der knapp 12.000 MitarbeiterInnen, | |
die bis 1968 beim BND in Pullach beziehungsweise bis 1956 bei seinem | |
Vorgänger, der Organisation Gehlen (Org.), tätig waren. Rass schaut nicht | |
nur auf das Leitungspersonal, wie in Aufarbeitungsstudien sonst üblich, | |
sondern auf die Gesamtheit der hauptamtlich Beschäftigten. Ein sinnvoller | |
Ansatz, wird auf diese Weise doch nicht nur das Sozialprofil eines ganzen | |
Geheimdienstes erstmals sichtbar gemacht, sondern auch das einer (fast) | |
stinknormalen Bundesbehörde. | |
Rass’ Befunde werden KennerInnen der Materie wenig überraschen. Aber es tut | |
gut, das Ausmaß der personellen Restauration einmal so präzise definiert | |
und vorgeführt zu bekommen. Noch in den Jahren, als die APO gegen die | |
Notstandsgesetze auf die Straße ging, war der BND sehr stark von ehemaligen | |
Wehrmachtsoffizieren beherrscht, die Dank des Mythos von der „sauberen | |
Wehrmacht“ als über jeden Zweifel erhaben galten, obwohl viele von ihnen | |
als ehemalige Angehörige der Abwehr oder der Abteilung Fremde Heere Ost am | |
Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion teilgenommen hatten. | |
Junge Leute rückten zwar nach, kamen aber erst im Laufe der 1970er Jahre in | |
Führungspositionen. Der Frauenanteil stieg zwischen 1945 und 1968 von null | |
auf 40 Prozent. Die übergroße Mehrheit arbeitete als Schreib-, Reinigungs- | |
oder Küchenkraft. In Rass’ Sample brachte es nur eine Frau zur | |
Hilfsreferentin. Als Sachgebietsleiterin erarbeitete sie Lagebilder zu | |
Staaten südlich der Sahara. | |
Wer sich nun fragt, welche konkreten Folgen diese Personalentwicklung für | |
die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ hatte, dem sei das Buch von | |
Gerhard Sälter über die Wiederbelebung des alten Nazi-Feindbildes von der | |
„Roten Kapelle“ durch die Organisation Gehlen ans Herz gelegt. Die „Rote | |
Kapelle“ war eine parteiübergreifende Widerstandsgruppe gewesen, die | |
bereits von der Gestapo als viel größer und mächtiger gehandelt worden war, | |
als es sich ihre Mitglieder jemals zu träumen gewagt hätten. In Pullach | |
ging man davon aus, dass überlebende Teile der „Roten Kapelle“ nunmehr als | |
„fünfte Kolonne“ große Teile der Bundesrepublik unterwanderten. Das war | |
zwar völliger Humbug, zeitigte aber reale Folgen: Überwacht, diffamiert und | |
eingeschüchtert wurden insbesondere ehemalige Mitglieder des Widerstands, | |
die es wagten, als Lehre aus ihrer Verfolgungserfahrung im „Dritten Reich“ | |
nonkonforme Positionen zu vertreten. Sälters Studie vermittelt einen | |
Eindruck davon, was Fritz Bauer damit meinte, als er sagte, dass er sich | |
wie in Feindesland fühle, wenn er das Haus verlässt. | |
Schüchterte die Org. in Westdeutschland auf eigene Faust politisch | |
Unbequeme ein, betrieb sie auf dem Gebiet der DDR „totale Spionage“, wie es | |
Ronny Heidenreich, Daniela Münkel und Elke Stadelmann-Wenz in ihrem Buch | |
über den Geheimdienstkrieg in Deutschland vor und nach dem 17. Juni 1953 | |
formulieren. Eine stetig anschwellende Zahl von V-Leuten sollte „über die | |
militärische und wirtschaftliche Lage ebenso auskunftsfähig sein wie über | |
die politische und gesellschaftliche Entwicklung“. Auch weil die Org. im | |
Osten mehr auf Massenspionage denn auf Vorsicht setzte, gelang es der Stasi | |
nach dem 17. Juni auf einen Schlag 93 V-Leute zu verhaften. Das einfühlsame | |
Gruppenporträt dieser Personen zählt zu den beeindruckendsten Passagen des | |
Buches. | |
Eine weitere Folge der immensen personellen Kontinuität war, dass es der | |
BND gar nicht mitbekam, dass er bisweilen selbst eine Gefahr für die | |
„freiheitliche demokratische Grundordnung“ darstellte. Besonders greifbar | |
wird dies in Sabrina Nowacks Studie über Personalüberprüfungen, die in den | |
1960ern zum Ausschluss von 68 belasteten Personen führten: Ein | |
„Sicherheitsrisiko“ stellten die Betroffenen nicht etwa wegen ihres | |
mentalen Gepäcks aus den Jahren 1933 bis 1945 dar, sondern weil sie als | |
erpressbar galten und ihre NS-Belastung den BND angreifbar machte. | |
Das breite Echo, das die Aufarbeitungskommissionen bis heute erfahren, wird | |
nicht immer der Komplexität – und damit der Brisanz – ihrer | |
Forschungsergebnisse gerecht. Braune Wurzeln! Lange Schatten! Mehr Nazis | |
als erwartet! Soundso viel Prozent ehemalige NSDAP-Mitglieder! Die | |
Schlagzeilen ähneln sich. Es ist den AutorInnen des BND-Projekts zu | |
wünschen, dass die Rezeption in ihrem Fall anders verläuft. Um einen Anfang | |
zu machen, kommt dieser Artikel ganz ohne die Nennung von | |
NSDAP-Mitgliedschaftsanteilen aus. | |
9 Dec 2016 | |
## LINKS | |
[1] /!5133214 | |
[2] /!5296803 | |
[3] https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/Publikationsreihen… | |
## AUTOREN | |
Dominik Rigoll | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Journalist | |
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