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# taz.de -- Religiöser Alltag in Usbekistan: Moscheen wie Potemkinsche Dörfer
> Samarkand ist das historische Zentrum des Landes. Die
> Sowjet-Vergangenheit und der sunnitische Islam ergeben eine eigene
> kulturelle Mischung.
Bild: Sightseeing in Samarkand
Die drei Schwestern aus dem Ferghanatal wollten schon lange nach Samarkand
fahren. Nun sitzen die Frauen und der Ehemann einer von ihnen erschöpft auf
einer Bank, im Innenhof der Ulug’bek-Medrese. Sie tragen lange Röcke, wild
bunt gemusterte Jacken dazu, die farbigen Kopftücher im Nacken gebunden.
Sie sind alle über fünfzig Jahre alt, und beim Reden glänzen ihre
Goldzähne. Sie wollen das Grab Tamerlans besichtigen, in Usbekistan Timur
genannt. Er ist der Held des Landes, islamischer Eroberer, gestorben 1405.
Aber dann kam ein aktueller Anlass dazu, und aus ihrer Fahrt nach Samarkand
wurde eine Pilgerreise: Außer Tamerlans schwarzgrünem Jadesarkophag haben
sie Islom Karimows Grab besucht. Der langjährige Staatspräsident starb
überraschend am 2. September dieses Jahres. Karimows Karriere hatte zu
Sowjetzeiten begonnen; seit der Unabhängigkeit Usbekistans regierte er
diktatorisch das zentralasiatische Land.
„Er war ein guter Präsident, wir leben im Frieden“, sagen die Frauen und
legen mit traurigem Blick die Hand aufs Herz. „Wir waren als Land ein Baby.
Jetzt sind wir 25 Jahre alt, erwachsen. Nun müssen wir sehen, wohin es mit
dem neuen Präsidenten geht.“ Unser Guide sagt, so denke die Mehrheit im
Land.
Der Reiseleiter möchte, dass wir ihn Sascha nennen. Das ist ein
unverfänglicher Name. Bis 2005 gab es viele deutsche Firmen im Land,
„Sascha“ hat als Übersetzer gearbeitet, spricht sehr gut Deutsch, aber mit
vollem Namen zitieren lassen möchte er sich nicht. Oppositionelle und wer
immer als solcher gelten könnte leben gefährlich in Usbekistan. Sascha
arbeitet nicht mehr als Übersetzer.
Im Mai 2005 kam es im Land zu einem Massaker, usbekisches Militär schoss
eine Protestkundgebung in Andijon nieder, bis zu 600 Menschen sollen
getötet worden sein, genaue Zahlen gab es nie. Es kam zum
Wirtschaftsboykott, viele deutsche Firmen zogen sich zurück.
Gemauerte Glaubensbekenntnisse
Im Hof der Koranschule setzen sich um die bunt gekleideten Frauen herum
Muster und Farben in den Mauern fort. Die Medrese, die Koranschule, ist
eines der drei Hauptgebäude auf dem Registan. Und der ist einer der
schönsten Plätze der Welt. Überragt von den mit türkisfarbenen Fliesen
bedeckten Kuppeln, mächtigen, bunt ornamentierten Toren, die Kacheln mit
ineinanderfließenden Majolika-Dekors – eine Musterflut.
Auf dem Platz selbst werden Menschen winzig, die religiösen Gebäude sind
schöne, gemauerte Glaubensbekenntnisse. Sie machen sprachlos, das sollen
sie auch. Wie der Petersdom in Rom oder gotische Kathedralen. Und auch wer
von Religion nichts hören mag, wird die schiere architektonische Anmut
überwältigend finden.
Taschkent ist die Hauptstadt Usbekistans, wirtschaftliches Zentrum,
Regierungssitz und dominiert von sozialistischer Architektur. Samarkand
jedoch, eine 2.700 Jahre alte Stadt, gilt als historisches Herz des Landes.
Die prächtigen Architekturdenkmäler entstanden zwischen dem 15. und 17.
Jahrhundert. Bilder mit in der Wüstensonne glänzenden Kuppeln, das Gold und
Türkis an den Mauern, sie prägen bis heute unsere Vorstellung vom Orient,
von den Orten entlang der Seidenstraße.
In der Stadt treffen wir immer wieder auf kleine Reisegruppen, großteils
Einheimische. Alle lassen sich mit ihren Smartphones auf dem Registan
fotografieren, wir ausländischen Gäste sollen immer mit aufs Bild. Und
immer wieder begegnen uns Bräute, bombastisch herausgeputzt. Usbekistans
Bevölkerung ist jung, zwei Drittel sind unter 30 Jahre alt, da wird viel
geheiratet.
Der prächtigen islamischen Architektur zum Trotz ist Usbekistan kein streng
islamisches Land Zum Freitagsgebet geht man in der Mittagspause, der
Freitag ist kein Feiertag. Wir sehen Frauen mit Kopftuch, aber oft ist es
nur ein kleines, im Nacken gebunden. Viele Frauen tragen gar keines.
Wiederaufbau in Sowjetzeiten
Vor hundert Jahren, 1917, begann die sowjetische Phase Zentralasiens. „Die
Frauen mussten öffentlich ihre Schleier verbrennen“, erzählt Sascha, „die
Sowjets haben die Emanzipation über Nacht erzwungen.“ Eine Katastrophe –
für die Frauen. „Manche wurden daraufhin von ihren Männern gesteinigt.“ Um
Feminismus sei es ohnehin nicht gegangen, „das Land im Aufbau brauchte
Arbeitskräfte, Frauen sollten nun auch Traktor fahren und Eisenbahnschienen
verlegen“.
Auch Samarkand musste erst wieder aufgebaut werden. Um 1780 war die Stadt
verlassen und zerfiel. Hundert Jahre später gehörte sie zum russischen
Zarenreich, eine Eisenbahnlinie wurde gebaut, Samarkand kehrte zurück in
die Welt. In der Tillakori-Medrese, ebenfalls am Registan, sind Fotos
ausgestellt, sie zeigen den Platz zu Beginn der sowjetischen Zeit:
Die herrlichen Fliesen, die Kuppeln, die prächtigen Tore – alles farblose
Ruinen. Zur Sowjetzeit begann erstaunlicherweise der Wiederaufbau der
islamischen Baudenkmäler. Bis heute muss an allen Ecken und Enden renoviert
und restauriert werden. Unterstützung kam einige Jahre lang aus Potsdam,
dort gab es an der Fachhochschule einen länderübergreifenden Studiengang.
Der Usbekisch-Deutsche Masterstudiengang Bauerhaltung und Denkmalpflege war
Bestandteil eines Förderprojekts, doch die Quelle versiegte, der
Studiengang ist ausgesetzt.
Eine junge Bevölkerung
Ein Blick hinter die restaurierten Fassaden zeigt, wie viel hier noch zu
tun wäre. Manche Moschee wirkt wie ein Potemkinsches Dorf, dahinter ist
nichts renoviert, „aber woher das Geld nehmen?“, fragt uns Sascha. „Wofür
soll die Regierung das wenige Geld ausgeben? Für Schulen und Kliniken, für
Kindergärten oder für die Restaurierung von Denkmälern, damit wiederum
Touristen anreisen?“
Besucher lassen immerhin Geld da. Im Inneren der Medrese sitzt nun in jeder
ehemaligen Studentenstube ein Handwerksmeister. Wo früher der Koran gelehrt
wurde, kann man nun etwas über Handwerkskunst lernen. Ein Handwerksmeister
erklärt den Unterschied zwischen Mosaik, Keramik und Majolika. So manche
große Keramikschüssel wandert ins Gepäck.
Nebenan winkt uns Instrumentenbauer Babour Scharipov herein. Er kennt alle
usbekischen Saiteninstrumente, gebaut aus Maulbeerholz; und er kann sie
alle spielen. Kaum jemand kauft eine Dombra oder eine Dumbura, aber
immerhin gehen einige CDs weg. Die Währung ist nicht konvertierbar, man
zahlt mit dicken Bündeln von einheimischen Sum. Ordentlich bezahlte Arbeit
zu finden sei schwer, sagt Sascha. Viel zu viele Männer gehen als
„gastarbeitery“ nach Russland.
Der neue Präsident
Hinter dem Registan schließt sich eine Mahalla an; so werden die
historischen Wohnviertel genannt. Sie umfasst etwa 60 Häuser, darin leben
jeweils ungefähr zehn Leute, so jedenfalls erklären es die drei Männer, die
auf einer Bank sitzen und miteinander plaudern. Natürlich geht es nun auch
um den alten und den neuen Präsidenten. Es sei schon in Ordnung, wenn
jemand aus der herrschenden Klasse gewählt wird. „So einer hat die Taschen
schon voll, die Töchter sind reich. Ein Neuer muss erst wieder von vorne
anfangen.“ Und was erhoffen sich die Männer von dem neuen Präsidenten?
„Frieden“, das sei das Wichtigste. Und einer der drei sagt: „Vor der Wahl
klingen ja alle gut, aber wie einer regiert, wenn er Präsident geworden ist
– inschallah.“
10 Dec 2016
## AUTOREN
Barbara Schaefer
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