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# taz.de -- Viet-Pop-Konzert in Berlin: Dissidentinnen im Duett
> Mai Khôi trat ohne BH auf und kandidierte füs Parlament. In Vietnam hat
> sie deswegen Auftrittsverbot. In Berlin spielte sie gemeinsam mit Jazzy
> Da Lam.
Bild: Big in Hanoi: Mai Khôi
Berlin taz | Das Publikum im Kulturzentrum Wabe besteht an diesem Sonntag
vor allem aus Vietnamesinnen und Vietnamesen jenseits der 40. Dabei hat
sich die 33-jährige Sängerin Mai Khôi im eher prüden Vietnam zunächst einen
Namen damit gemacht, dass sie die strenge Sexualmoral herausforderte.
Mai Khôi machte Schlagzeilen, weil sie ohne BH auftrat und zum
traditionellen langen, geschlitzten Kleid, Áo dài genannt, Leggings trug.
Auch mit ihrem Song „Selfie Orgasmus“ von 2014 provozierte sie. In dem
dazugehörigen Video ist eine nackte Frau im Bett zu sehen. Und es werden
zwei in Vietnam bekannte Künstler gezeigt, die sich küssen und dabei ein
Selfie machen.
Wenn westliche Medien die Sängerin zu Vietnams Lady Gaga erklärten, ist das
ein naheliegender Vergleich, der aber nicht erfasst, wie skandalös ihre
Interventionen Hanois Sittenwächtern erscheinen. Ihnen gilt Mai Khôi als
Ausdruck von Unmoral.
Doch als die Sängerin, die inzwischen in der Heimat Auftrittsverbot hat, in
Berlin auf der Bühne steht, geht es nicht um Grenzüberschreitungen. Sie hat
eine Botschaft, die Hanois Zensoren aber genauso wenig gefallen dürfte.
## Der Áo dài ist schnörkellos rot
Für Mai Khôi, die schon als Zwölfjährige mit ihrem Vater im
zentralvietnamesischen Nha Trang in einer Hochzeitsband spielte, ist es die
erste Deutschlandtournee. Dafür hat sie sich mit der seit 1992 in München
lebenden vietnamesischen Jazzpianistin Jazzy Da Lam zusammengetan. Während
diese einen glitzernden Áo dài aus Samt trägt, ist der von Mai Khôi
schnörkellos rot. Die beiden beginnen mit einer Schnulze im Duett, dann
folgt eine Coverversion des bekanntesten vietnamesischen Antikriegslieds,
„Auf den Leichen singen“, von Trinh Công San.
Mai Khôi hat sich zur politischen Liedermacherin gewandelt. Zwar kritisiert
sie immer noch, dass zwei nicht verheiratete Liebende in Vietnam nur dann
zusammen eine Nacht im Hotel verbringen können, wenn sie das Personal
schmieren. Aber darüber hinaus geht es ihr und ihrer Künstlerkollegin nun
auch um politische Freiheit, um die Überwindung von Ängsten, Agitation
gegen Gewalt gegen Demonstranten, um politische Gefangene, Kritik am
übermächtigen Nachbarn China. Mai Khôi fordert ihr Publikum auf, sich
politisch einzubringen.
Jazzy Da Lam, die in Moskau zur Jazzpianistin ausgebildet wurde, räumt ein,
dass sie ihre Partnerin erst seit Kurzem kennt. Im Frühjahr erklärte Mai
Khôi ihre Kandidatur für die Nationalversammlung. Vietnams Kommunisten
brüsten sich damit, dafür auch Unabhängige zuzulassen. Doch als Mai Khôi
sich bewarb, wurde sie wie Dutzend andere nicht zugelassen. Die Folge war
ein Auftrittsverbot – ihr letztes Konzert in Vietnam brach die Polizei ab.
Das machte Mai Khôi über die Landesgrenzen hinaus bekannt und führte zu
einem Treffen mit US-Präsident Barack Obama bei dessen Vietnambesuch im
Mai.
Die beiden Frauen beeindrucken durch die Stilbandbreite ihrer Musik.
Klassik, Jazz, Blues, Folklore und bewusst dissonantes Spiel wechseln sich
ab. Mai Khôi spielt Gitarre, Jazzy Da Lam Flügel und Keyboard. Bei drei
Liedern werden sie vom Cello begleitet. Ihre Stimmen sind wandlungsreich.
Doch vor allem bei Mai Khôi steht der kräftige Gesang im Kontrast zu der
zarten Mädchenstimme bei den Ansagen. Ihre Mimik, die anfangs nur ein
Grinsen zu kennen scheint, wirkt angesichts der eher harten Themen für
westliche Augen befremdlich.
## Das Publikum geht nicht mit
„Wenn jeder von uns seine Stimme erhebt, haben wir zusammen größere Macht.�…
Das ist nicht nur der Tenor eines der Songs, sondern die Botschaft des
Abends. Das Publikum geht aber nicht mit. Denn es kennt fast keines der
Lieder, die hier erstmals vorgetragen werden.
Dennoch wird später Zustimmung in Form von Geldscheinen ausgedrückt, die
den Künstlern per Kuvert zugesteckt werden. Der Eintritt war frei, aber
verbunden mit der Bitte um Spenden. Es wird auch noch um ein Selfie mit den
berühmten Sängerinnen gebeten, die von Mai Khôi in „Selfie Orgasmus“
formulierte Kritik geflissentlich ignorierend. Die Sängerin spielt lächelnd
mit.
Ihre Deutschlandtour wertet Mai Khôi positiv, Angst vor einer Festnahme bei
der Rückkehr hat sie nicht: „Ich kritisiere die Regierung ja nicht, ich
sage ihr nur, was die Bevölkerung denkt“, sagt sie lächelnd. Ihre Musik
aber kann sie nur noch über soziale Medien und im Ausland veröffentlichen.
Ihren Wandel zur politisch aktiven Sängerin erklärt sie damit, dass
Vietnamesen heute mehr protestieren als früher: „Ich will, dass die
Zivilgesellschaft Gehör findet.“
21 Nov 2016
## AUTOREN
Sven Hansen
## TAGS
Vietnam
Pop
Pop
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