# taz.de -- Abschiedsstück in Hannover: Einmal nur die Berge sehen | |
> Florian Fiedler, Leiter des Jungen Schauspiels in Hannover, wird | |
> Intendant am Theater Oberhausen. Zum Abschied bringt er „Heidi“ auf die | |
> Bühne. | |
Bild: Traum von einer anderen Welt: Die Berge bleiben in Fiedlers „Heidi“ e… | |
HANNOVER taz | Heidis Welt sind bekanntlich die Berge. Zumindest sehen | |
möchte sie sie natürlich auch am Schauspielhaus in Hannover, wo Florian | |
Fiedler, Leiter des dortigen Jungen Schauspielhauses, die beiden berühmten | |
Kinderbücher der Schweizer Autorin Johanna Spyri jetzt als Familienstück | |
auf die Bühne gebracht hat – und als Abschiedsgruß: In der Spielzeit | |
2017/18 wird Fiedler Intendant am Theater Oberhausen. | |
Die Berge, sie bleiben in Fiedlers „Heidi“ über weite Strecken denn nur ein | |
Sehnsuchtsbild. Gemeinsam mit ihrer im Rollstuhl sitzende Freundin Klara | |
fliegt Heidi zu Beginn im Traum immer höher, um sie zu sehen. Aber auf den | |
weißen Bühnenwänden steigen keine Berge, sondern funkelnde Banken-Türme | |
empor. „Du, Klara“, sagt Heidi, „hier sieht man ja auch wieder nur Häuse… | |
Später, als das Berg-Mädchen in seinem ausklappbaren Bett unter kaltem | |
Neonlicht liegt, flackert der Traum von einer anderen Welt wieder nur als | |
Videoprojektion über die Wände. Da ragt er dann auf, der Berg, mit einer | |
kleinen Almhütte ganz oben, dem winkenden Großvater – und dem etwas | |
schusseligen Freund Peter. | |
Die Bühnenrealität aber wird zum Albtraum. Da ist Klaras Vater ein | |
gefühlloser Workaholic, der immerzu umherreist, um seiner Tochter nicht in | |
die Augen blicken zu müssen. Die blinde Großmutter verfolgt keifend und | |
zeternd von einer Galerie die beiden verstörten Mädchen. Der Bergjunge | |
Peter wird zum angepassten Butler, der in der blitzblanken Wohnung das | |
Essen auftragen muss. | |
Bald weiß niemand mehr, welche der Welten echt ist – die Bergwelt in Heidis | |
Träumen oder das Zerrbild einer kapitalistisch durchökonomisierten | |
Gesellschaft? In der Buchvorlage kehrt Heidi irgendwann in ihre Heimat | |
zurück. In Hannover gibt die Drehbühne kurzzeitig den Blick aufs | |
beeindruckende Berg-Panorama frei, aber die Szenerie bleibt unwirklich. Am | |
Ende fällt der rote Vorhang zwar vor einer Szenerie der Glückseligkeit, | |
aber der können zumindest erwachsene Zuschauer nicht wirklich trauen. | |
## Traumweltenentwerfer | |
Solche Traumwelten hat Florian Fiedler am Schauspiel Hannover oft | |
entworfen. Er erzählt filmisch, ohne Brüche, quer durch die | |
unterschiedlichsten Gattungen. Bilder beginnen vor den Augen zu flimmern | |
und sich immer wieder neu zusammenzusetzen. | |
Vor rund zwei Jahren brachte Fiedler einen funkelnden „Sommernachtstraum“ | |
zur Premiere, den er in einen heruntergekommenen, morbide schönen Ballsaal | |
verlegte. Mit Video-Projektionen und geschickten Lichteffekten verwandelte | |
er auch das Liebeswirrwarr im Wald in ein Traumspiel, das in seinen besten | |
Momenten an die erotischen Auseinandersetzungen in Stanley Kubricks „Eyes | |
Wide Shut“ erinnerte – und den gar nicht pittoresken Kern von Shakespeares | |
Text freilegte. | |
Zwei Jahre zuvor erzählte er in seiner Bühnenadaption des schwedischen | |
Spielfilms „Zusammen!“ eine Geschichte im Stil des Filmemacher-Manifests | |
„Dogma 95“, für die er die Trennung zwischen Zuschauerraum und Bühne | |
aufhob. Zwischen Küchenplänen und politischem Sex konnte jeder auf Sofas | |
und Sitzkissen verfolgen, wie die Ideale von freier Liebe und Mitbestimmung | |
in der Praxis scheitern. | |
Ideale, die Fiedler während seiner Kindheit in einer Kommune nahe Hamburg | |
selbst miterlebt hat. Zum Abschluss des Abends öffneten sich dann | |
folgerichtig die Türen zum Ballhof-Vorplatz, wo der Regisseur höchstselbst | |
an einem riesigen Suppentopf für alle Besucher kochte. Denn der | |
Gruppen-Gedanke ist dem streitbaren Regisseur wichtig. Auch am Theater | |
Oberhausen, wo Fiedler nun in der Spielzeit 2017/18 Intendant wird, hat er | |
sich mit seinem gesamten Dramaturgie-Team gemeinsam beworben. | |
## Politisch engagiert | |
In der Gruppe zu arbeiten, bedeutet für Fiedler immer auch, sich gemeinsam | |
politisch zu engagieren. Bevor er begann, Theater zu machen, habe er Demos | |
organisiert, erzählte Fiedler einmal in einem Interview. Die Lust an der | |
performativen Protest-Bekundung brachte er nach Hannover mit, wo er ganz zu | |
Beginn mit einem Hüttendorf gegen Atomkraft auf dem Ballhof-Vorplatz auf | |
sich aufmerksam machte. Die mehrtägige Aktion mit Hüttenbau-Workshops für | |
Jugendliche führte zu einer regen Diskussion darüber, was eigentlich die | |
Aufgabe von Theater sei. Böse Stimmen sprachen damals von einem | |
Nachwuchscamp für angehende Demonstranten. | |
Auch in „Mythen der Freiheit“ zog Fiedler gegen den ungeliebten Staat zu | |
Felde. Für das musikalische Projekt mit der Agitprop-Band Rainer von Vielen | |
kutschierte der Regisseur sein junges Publikum mit Bussen bis ins Wendland, | |
dem fast mythischen Landstrich der außerparlamentarischen Protestbewegung. | |
Fast so idyllisch wie in Heidis (geträumter) Bergwelt ist es dort – wenn | |
gerade keine Castor-Transporte rollen. | |
Auffallend ist allerdings, das Fiedlers Abende vor allem dann stark sind, | |
wenn es weniger um politische Manifeste als um komplexe menschliche | |
Beziehungen und die Liebe geht. Wie in der Geschichte von Heidi, die der | |
Regisseur denn auch eine „Anarchistin der Liebe“ nennt. Hier darf sich der | |
große Träumer ungehindert vom politischen Über-Ich austoben und findet im | |
Einklang mit den eigenen, starken Emotionen zu erstaunlichen Kompositionen. | |
So, 27.11., 17 Uhr, Schauspiel Hannover. Aufführungen bis März 2017 | |
27 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Alexander Kohlmann | |
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