Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Nicht durch die Mohnblume!
> Am „Poppy Day“ gedenken die Briten ihrer gefallenen Soldaten. Und wer
> sich keine Mohnblume ans Revers heftet, ist inzwischen ein
> Landesverräter.
Fußball-Brexit wegen Pflanzenmissbrauch? Die Nationalmannschaften Englands
und Schottlands setzen ihre Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2018 in
Russland wegen Mohn aufs Spiel, und dabei rauchen sie das Zeug nicht mal.
Beide Teams treten am Freitag zu einem Qualifikationsspiel gegeneinander an
– ausgerechnet am „Armistice Day“, an dem es 1918 zum Waffenstillstand von
Compiègne kam.
An diesem „Poppy Day“, der englischen Variante des Volkstrauertags, wird
der Commonwealth-Soldaten gedacht, die im Ersten Weltkrieg und allen
folgenden Kriegen mit britischer Teilnahme ums Leben gekommen sind. Der
gedenkende Brite steckt sich eine Poppy, also eine Mohnblume, ans Revers.
Die ist aus Plastik, weil sie von der Royal British Legion verkauft wird.
Die variiert sie jedes Jahr, damit Menschen, die sie im nächsten Jahr
wiederverwenden, als Volksverräter entlarvt werden.
Auch die Fußballer sollen sich an dem Tag gefälligst Mohn ans Trikot
kleben, aber das ist verboten, sagt die Fifa: Politische, religiöse oder
persönliche Botschaften gehören nicht auf Fußballtrikots. Mohn sei nicht
politisch, meinen die Verbände in London und Edinburgh, doch Theresa May
strafte sie umgehend Lügen. Die blasse Premierministerin witterte ihre
Chance, ein paar Schleimpunkte zu sammeln. „Ungeheuerlich“, rief sie in
Richtung Fifa. „Die sollen doch erst mal ihr eigenes Haus in Ordnung
bringen, bevor sie uns Vorschriften machen.“ Dafür bekam sie von der
Fifa-Generalsekretärin Fatma Samoura die gelbe Karte. Eine Einmischung von
Politikern ist laut Fifa-Statuten ebenfalls verboten.
Samoura fügte hinzu, Engländer und Schotten sollten sich schon mal auf
Sanktionen einstellen, falls sie das Poppy-Verbot missachten.
„Großbritannien ist nicht das einzige Land, das Kriegsopfer zu beklagen
hat“, sagte die Senegalesin. „Da ist zum Beispiel Syrien. Und mein eigener
Kontinent ist seit Jahren von Kriegen zerrissen.“
Die Gruppengegner Slowakien und die Slowenei können sich freuen, wenn
England und Schottland Punkte abgezogen werden. Oder sind es Slowonen und
Slawaken? Wer weiß das schon. Die Fifa jedenfalls nicht. Sie kündigte vor
dem Spiel Englands gegen Slowenien eine Pressekonferenz in slowakischer
Sprache an.
Das verordnete Gedenken gibt es erst seit 2002. Mohnlose Zeitgenossen
hatten es seitdem nicht leicht, aber seit dem Brexit-Votum hat eine
Hetzjagd eingesetzt. Die Boulevardpresse fällt täglich über diese
Landesverräter her. In Talkshows quatschen sich selbst ernannte Patrioten
mit Schaum vorm Mund in eine debile Entrüstung. Der BBC-Journalist Jon Snow
nannte das „Poppy fascism“.
Der Mohnblumenfaschismus beruht auf dem blutrünstigen Gedicht „In Flanders
Fields“ des kanadischen Feldwebels John McCrae, das er im Ersten Weltkrieg
nach dem Soldatentod seines Freundes geschrieben hatte. Damals, als
Zigtausende in Flandern abgeschlachtet wurden, gab es noch ein britisches
Weltreich. Davon ist nur die Mohnblume übrig.
7 Nov 2016
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
Großbritannien
Schwerpunkt Brexit
Großbritannien
Schwerpunkt Brexit
Irland
Minderjährige Geflüchtete
Irland
Schottland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Petitionen für Petitessen
Großbritannien ist das Land unendlicher Bittschriften. Kein Thema ist zu
abseitig und eine Handvoll Unterstützer findet wirklich jede Eingabe.
Die Wahrheit: Bruchlandung im fliegenden Zirkus
Natürlich werden aus Helden früherer Tage manchmal verbohrte alte Männer.
Aber um John Cleese ist es besonders schade.
Die Wahrheit: Irische Bratverbotszone
Clownsfilialen und fetttriefende Hühnerbräter: Die grüne Insel kommt in
diesen weltbewegten Tagen aus ganz anderen Gründen nicht zur Ruhe.
Die Wahrheit: Ihr Kinderlein, kommet
Minderjährige Flüchtlinge, die in Großbritannien stranden, können froh
sein, wenigstens nicht ihre Kleidung ausziehen zu müssen.
Die Wahrheit: Ins Exil auf die Shetlands
Auch wenn die irische Polizei unbewaffnet ist, sollte man sie in
Verkehrskontrollen nicht unbedingt mit Anekdoten über schneckenhafte
Inselbewohner reizen.
Die Wahrheit: Haggis mit Rheuma
Aus den Innereien ihrer Nationalspeise wollen die Schotten das Fundament
für den Schoxit bauen – den Austritt Schottlands aus Großbritannien.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.