# taz.de -- Roman über Flüchtlinge im 2. Weltkrieg: Die letzte Hafenstadt | |
> Nach 70 Jahren erscheint es auf Deutsch: Dola de Jong beschreibt in „Das | |
> Feld in der Fremde“ das Schicksal europäischer Flüchtlinge in Tanger. | |
Bild: Tanger in den 1930er Jahren | |
Im Jahr 1940 gelang es der damals 28-jährigen Journalistin Dola de Jong, | |
sich von Amsterdam über Marseille nach Tanger, in die internationale | |
Schutzzone, durchzuschlagen. Dort, in der damals als weltoffen und tolerant | |
geltenden Hafenstadt, hoffte die Niederländerin wie so viele andere | |
gestrandete Flüchtlinge auf eine Möglichkeit zur Ausreise nach Übersee – | |
während in der Heimat ihre Familie, assimilierte Juden aus Arnheim, vom | |
Einmarsch der Deutschen Wehrmacht überrascht und dann im Vernichtungslager | |
Sobibór ermordet wurden. | |
Ihnen widmete de Jong ihren Roman „Das Feld in der Fremde“, eine | |
berührende, im Ton gefasste Anklage gegen die Schrecken von Faschismus und | |
Krieg. Unter dem englischen Titel „And The Field Is The World“ erschien die | |
Erstausgabe 1945 in New York. Mit viel Glück war der Autorin 1941 die | |
Emigration in die USA gelungen. 1947 erhielt sie für die niederländische | |
Ausgabe „En de akker is de wereld“ den Prosapreis der Stadt Amsterdam. Nun, | |
siebzig Jahre später, liegt das Buch auch in deutscher Übersetzung vor. | |
Seine berührende Lebendigkeit hat der Roman bis heute bewahrt. | |
„Im Sommer wurden Pierre, Luba und Berthe morgens von der Sonne geweckt, | |
irgendwo neben der Hütte oder auf dem Feld, triefnass vom Tau, | |
durchgefroren, aber ansonsten restlos zufrieden.“ In dichten Szenen erzählt | |
„Das Feld in der Fremde“ von einer zusammengewürfelten Gruppe | |
Flüchtlingskinder – von Hans, Maria, Berthe, Rainer, Luba und Pierre, die, | |
dem Naziterror in Europa entkommen, mit ungebrochenem Überlebenswillen auch | |
den widrigen Verhältnissen in Tanger trotzen. | |
Der Roman beginnt, nachdem Aart und Lies, ein niederländisches | |
„Aussteigerpaar“ mit Baby, die fliehenden Kinder auf ihrer Reise im | |
klapprigen Lieferwagen unterwegs nach Marokko aufgelesen hat. Nun beackern | |
sie gemeinsam mit Aart erfolglos eine magere Scholle Land, dabei skeptisch, | |
aber nicht ohne Sympathie von den arabischen Nachbarn beobachtet. Die | |
Schicksalsgemeinschaft wird zu einer Art Ersatzfamilie. Auch wenn in der | |
Erzählung Lies später sagt: „Es wäre besser gewesen, wir hätten die Kinder | |
nicht mitgenommen.Besonders gut haben sie es bei uns nicht. Und uns | |
bereiten sie auch keine Freude.“ | |
## Das Misstrauen regiert | |
Stoisch begegnen die Heranwachsenden dem Hunger, der Armut und | |
Verwahrlosung in Nordafrika – als hätte es davor nie ein anderes Leben | |
gegeben. Der kleine Pierre verliert ein Bein, nachdem sein Hundebiss von | |
Lies nur notdürftig behandelt wurde. Die achtjährige Luba beschließt, in | |
die Hütte von Manus, einem undurchsichtigen Niederländer, zu ziehen. Ihr | |
Verschwinden bemerkt außer Maria, ihrer Schwester, zunächst niemand. In der | |
vom Weltkrieg bedrängten Schutzzone regiert das Misstrauen. | |
Längst haben die Bewohner – Einheimische, Flüchtlinge und Glücksritter – | |
ihre Aufrichtigkeit verloren. Doch die Kinder bewegen sich mit | |
Selbstverständlichkeit in den verschiedenen Welten. „Luba stellte sich auf | |
die Zehenspitzen und drückte ihre Ellenbogen in die weichen Leiber ringsum: | |
‚Sidi, khoubz.‘ Die Frauen lachten. Es gab kein Brot mehr.“ | |
Nach der Verhaftung Aarts übernimmt Hans die Verantwortung für die Gruppe. | |
Während der 17-Jährige in der Halbwelt der Hafenstadt endgültig die | |
Kindheit hinter sich lässt, beendet er das sinnlose Schuften der Jüngeren | |
auf dem verdorrten Feld. „Nächste Woche! Nächste Woche ziehen wir um, | |
beschloss er. Einerlei wohin, nur weg vom Acker.“ | |
## Kein Happy End wie bei Casablanca | |
Endlich bemüht sich der niederländische Konsul auf Drängen seiner Frau und | |
„mit schier übermenschlicher Kraftanstrengung“ um die Ausreisedokumente f�… | |
die Gruppe um Aart. Vor dem Hintergrund krimineller Machenschaften und | |
feindlicher Spionage entwickeln die Ereignisse jedoch bald eine | |
überraschende Dynamik. Dennoch: Ein Happy End wie in dem Filmklassiker | |
„Casablanca“ kann es nicht geben. | |
Vielmehr schuf Dola de Jong mit sprachlicher Präzision und Leichtigkeit das | |
überzeugende Porträt einer durch Gewalt, Willkür und Terror der Nazis | |
nachhaltig beschädigten und verlorenen Generation. Mit erschreckender | |
Aktualität richtet ihr Roman den Blick auf das historische Schicksal | |
derjenigen, die Jahre zuvor in umgekehrter Richtung aus Europa in | |
Nordafrika Zuflucht suchten. | |
21 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Eva-Christina Meier | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg | |
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