# taz.de -- Premiere im Grips-Theater: Brisant, aber es funktioniert | |
> Das neue Stück „Inside IS“ des verdienten Regisseurs und Autors Yüksel | |
> Yolcu am Berliner Grips-Theater überzeugt. | |
Bild: Drei junge Leute, die aus Deutschland nach Syrien gehen | |
Warum verlassen Jugendliche dieses Land und sprengen sich für den IS in die | |
Luft? Was finden sie dort, was sie hier nicht finden können? Wichtige, | |
drängende Fragen sind es, die Yüksel Yolcu umgemünzt hat zu einem | |
Theaterstück, das sich an genau diese Jugendlichen wendet. | |
„Altersempfehlung: ab 15 Jahren“, sagt das Grips-Theater am Hansaplatz, das | |
seinen verdienten, mehrfach ausgezeichneten Regisseur und Autor mit der | |
Stückentwicklung betraut hat. Thema also: gesellschaftspolitisch angeraten, | |
aber mit Fettnäpfchen vermint. | |
Was tut Yolcu, um sich der Komplexität seiner Aufgabe zu stellen? Er nimmt | |
sich den Anfang 2015 veröffentlichten Bestseller „Inside IS – 10 Tage im | |
‚Islamischen Staat‘“ von Jürgen Todenhöfer vor, jenem ehemals stramm | |
rechten CDU-Bundestagsabgeordneten, der im Anschluss an die politische | |
Laufbahn die großformatige Wandlung zum Investigativreisenden, | |
Rambo-Interviewer (Taliban! Al Qaida! Assad! IS!) hingelegt hat und zum auf | |
„Wahrheit“ nicht weniger als auf Schauwerte abzielenden Versteher des | |
Mittleren Ostens. | |
Also jenem Mann, der mit seinem Mantra „Man muss seine Feinde kennen, wenn | |
man sie besiegen will“ und hin und wieder journalistisch fragwürdigen | |
Methoden Interviews erwirkt und der viel Kritik bekommen hat für | |
Selbstverliebtheit, eindimensionalen Antiamerikanismus und dafür, der | |
Terrormiliz IS unreflektiert eine Bühne zu bieten. | |
## Todenhöfers „Inside IS – 10 Tage im ‚Islamischen Staat‘ | |
Yolcu aber holte sich von Todenhöfer „exklusiv die Rechte an der | |
Dramatisierung“ von „Inside IS“ und machte dessen Buch zur motivischen | |
Grundlage für sein Stück. Brisant. Aber: Es funktioniert. Denn: Dieser von | |
Christian Giese gespielte Todenhöfer holt mit seiner Entschlossenheit, | |
seinem leicht naiv-bekloppten Drive („Ich rede mit allen Seiten!“) und | |
natürlich auch mit der Abenteuerlichkeit seiner Unternehmung Jugendliche | |
ganz sicher ab. | |
Social-Media-unerfahren (Lacher) und damit als Übervaterfigur gebrochen | |
(geschickt) braucht er seinen Sohn Frederic (Andockpunkt fürs junge | |
Publikum), um über Facebook und Skype Kontakt herzustellen zu deutschen | |
IS-Kämpfern. Bewaffnet allein mit Mut zum Risiko, Korankenntnis und | |
Lebkuchen (schmeckt auch IS-Fuzzis) stürzt er sich im Buch und auf der | |
Bühne in die vom IS kontrollierten Gebiete. Gebanntheit garantiert. | |
Fünf Schauspieler und eine Schauspielerin spielen sich mit Verve durch die | |
17 Szenen. In wechselnden Rollen, vor schlichtem Bühnenbild und mit wenigen | |
Requisiten hantierend, Bärten vor allen Dingen. Im Wechsel geht es darin um | |
den Trip von Vater und Sohn Todenhöfer sowie um die fiktiven Figuren | |
Fabian, Said und Melanie, die Yolcu in die Todenhöfer-Story einflicht: drei | |
junge Leute, die aus Deutschland nach Syrien gehen, um dort | |
unterschiedliche Schicksale zu erleben. | |
## Der Komplexität des Themas wird angstfrei begegnet | |
Fabian stirbt als Selbstmordattentäter, Melanie will als konvertierte | |
Muslimin Frau eines IS-Kämpfers werden, und Said kehrt ernüchtert nach | |
Deutschland und damit ins Gefängnis zurück. Ferner treten auf – und sorgen | |
in ihrer nah an der Schmerzgrenze operierenden, karikaturhaften | |
Überzeichnung für viele Lacher im Publikum: Hassprediger, gemäßigte Imame, | |
Deutsche, die als IS-Frauen an der Seite ihrer „Löwen“ das Glück gefunden | |
zu haben scheinen (obwohl Babycreme fehlt), der IS-Kämpfer Christian Emde, | |
Kampfname „Abu Qatada“ – und in einer delirant-guten Nukleusszene im Hamam | |
(!) auch IS-Kalif al- Baghdadi. | |
Man kann vieles kritisch finden an diesem Stück: Fabian, der zum | |
Märtyrertod entschlossene nette Sanfte, wird latent entschuldet, darf ein | |
bisschen zu sehr Opfer sein, Todenhöfer darf sich selbst beweihräuchern – | |
„Ich habe mehr als die Hälfte meines Vermögens für Kriegsopfer gespendet!�… | |
Aber: Das Stück hat ein gutes Tempo, es begegnet niemandem von oben herab, | |
bricht über die Nebenstränge auch die allzu selbstgewissen Einschätzungen | |
Todenhöfers. Der Komplexität des Themas wird angstfrei begegnet, die | |
Verführungskraft des radikalen Islamismus in vielen Facetten erklärlich als | |
Problem der Adoleszenz, die sich nach einfachen Antworten auf komplexe | |
Fragen sehnt. Gegen die Brutalität des IS wird die Idee eines Islam in | |
Stellung gebracht, der der IS-Ideologie mit den gelebten Werten von | |
Menschlichkeit und Barmherzigkeit gegenübertritt. | |
Todenhöfer rezitiert dazu Koransuren – was leicht albern-didaktisch hätte | |
werden können, aber am Schluss mit einem guten Move aufgefangen wird. Denn | |
nicht der Oberlehrer, sondern Fabian hat das letzte Wort, wenn er im | |
Abschiedsbrief schreibt: „Was ist das? Ein gelungenes Leben? Ich weiß | |
nicht. Aber ich weiß jetzt, dass man mutig sein muss, selber über sein | |
Leben entscheiden.“ Das Stück traut seinem jugendlichen Publikum zu, selbst | |
Entscheidungen zu treffen – lässt ihnen diese Entscheidung auch. Argumente, | |
sich eher nicht für die einfachen Antworten zu entscheiden, liefert das | |
Stück zur Genüge. | |
13 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Riesselmann | |
## TAGS | |
Grips Theater | |
Klaus Lederer | |
Schwerpunkt Syrien | |
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