# taz.de -- Reihe Perspektive Deutsches Kino: Die Diva ist knülle | |
> Von der Filmakademie Ludwigsburg kommen in der Reihe Perspektive | |
> Deutsches Kino diesmal die besten Filme. Daneben gibt es viel pralle | |
> Freakshow und blutarme Verkunstung. | |
Bild: Kräschboingpeng, so geht das in der Kinderkomödie. Still aus Martin Bus… | |
Da sitzt die 70-jährige Gitti dann doch wieder allein auf ihrem orangenen | |
Sofa, hinter dem in einer Stielvase rote Rosen stehen. Sie zupft sich den | |
pinken Pulli zurecht, legt neckisch die Beine hoch, greift nach ihrem | |
Gläschen Sekt und sagt: "Die Diva ist knülle." Damit liefert sie zum | |
Schluss, nach 35 Minuten dokumentarischer Begleitung ihrer Partnersuche, | |
zum wiederholten Male etwas ausgemacht Unterhaltsames. | |
Gitti hat man bis dahin fast zwangsläufig lieb gewonnen, so offenherzig hat | |
die Dame mit der Eloquenz, für die der Begriff "Berliner Schnauze" erfunden | |
wurde, vor der Kamera Zeitungsannoncen durchgesehen, zum Telefonhörer | |
gegriffen, Anwärter auf ihrem Sofa zum Vorstellungsgespräch empfangen. Dass | |
beim Sternzeichen der "Assistent" ganz wichtig ist und Widder zwar "keine | |
Dackelgrößen", dafür aber "geile Böcke" sind, hat man von der lebensfrohen | |
Seniorin gelernt. Dabei hat man sich erst noch amüsiert und war | |
hochachtungsvoll bezaubert - bis sich das Gefühl einschlich, dass man | |
zumindest das mit der Hochachtung nicht mit dem Film teilte. | |
Ein unverstellter, gutgläubiger, sehnsüchtiger Mensch mit einem unbedarften | |
Verhältnis zu einer Kamera ist gefundenes Fressen für ein filmisches | |
Porträt. Auf eine Gitti in all ihrer Unverblümtheit muss man eigentlich nur | |
draufhalten, und schon lachen die Zuschauer, um hinterher zu sagen: "Eine | |
tolle Frau!" Das ändert nichts daran, dass ein solcher Film- ungewollt | |
wahrscheinlich, wir sind ja nicht beim Privatfernsehen - ins unangenehm | |
exploitative Fach kippt. | |
Dieser besonderen Menschen, dieser Weirdos und Freaks, die sich recht | |
ahnungslos in ein als Porträtfilm maskiertes Kuriositätenkabinett | |
verfrachten lassen, haben sich gleich drei der vier dokumentarischen | |
Arbeiten in der diesjährigen Perspektive bedient. Neben Gitti marschieren | |
auf: Norbert Witte - Schausteller, Hochstapler, Kokainschmuggler, | |
Gefängnisinsasse, prominente Berliner Skandalnudel - und Hans Narva - | |
Musiker, Lebenskünstler, DDR-Dissident, achtmal wegen alkoholisierten | |
Fahrens ohne Führerschein Festgenommener. Ob Gitti in "Gitti", Witte in | |
"Achterbahn" oder Narva in "Hans im Glück": Diese Porträtierten eint, dass | |
sie Exzentriker sind, dass sie etwas Durchgeknalltes, unverkopft | |
Authentisches haben, dem die Filmemacher in einer Mischung aus Faszination, | |
Bewunderung und Wissen um die Kriterien von Publikumspreisen begegnen. Was | |
insgesamt entsetzlich durchsichtig und den Protagonisten gegenüber | |
ungewollt fürchterlich unfair ist. | |
Einzige Ausnahme bildet die Dokumentation "Wir sind schon mittendrin" des | |
Ludwigsburger Akademie-Absolventen Elmar Szücs. Er nutzt die Rolle als | |
Filmemacher, um mit seinen drei besten Schulfreunden, heute alle um die 30, | |
mal sehr persönliche, mal sehr allgemeindiagnostische Gespräche über die | |
Befindlichkeit seiner Generation zu führen und so eine Art empirische | |
Kulturwissenschaft mit der Kamera zu betreiben. | |
Aber schon bei den fiktionalen Beiträgen des diesjährigen | |
Perspektive-Jahrgangs sieht es wieder düster aus. "Jedem das Seine" erzählt | |
die Geschichte zweier Roma-Brüder in Deutschland, die als Polizist und | |
Kleinganove wieder aufeinander treffen. Wenn auch gut gespielt, in den | |
Dialogen nicht gänzlich artifiziell und im Einsatz der filmischen Mittel | |
instinktsicher, so ist das Thema - die so rosig aussehende Integration des | |
Polizisten scheitert schließlich, weil sich der abgespaltene Teil seiner | |
Identität in Form des Bruders zurückmeldet - nur in einer | |
betulich-gestrigen Art problembewusst. | |
Gänzlich bar einer tragenden narrativen Idee aber sind dann "Polar" und | |
"Distanz", die mit schwerblütigem, manieriertem Kunstfilmhabitus nicht über | |
ihre Null-Aussage hinwegtäuschen können. In "Polar" besucht ein junger Mann | |
seinen Vater und dessen neue Kleinfamilie auf einer Schweizer Berghütte. | |
Dort gibt es dann wenige sturzdämliche Wortwechsel und viele symbolistisch | |
überfrachtete Bilder von Nebeln, Holzscheiten und Kühen, die durch die Luft | |
fliegen. | |
"Distanz" wiederum wartet mit einem durchweg gleich ochsenhaft | |
geheimnisvoll dreinschauenden Ken Duken auf, der in mit fahlem Gelbfilter | |
belegten Bildern im Kreuzberger Görlitzer Park auf Jogger schießt. Ob man | |
sich hier im Genre des Horrorfilms versucht hat oder eine psychotische | |
Parabel auf die Einsamkeit in der modernen Welt schaffen wollte - es sei | |
dahingestellt. | |
Aber es führt dazu, dass im Spielfilm-Bereich ebenfalls Ludwigsburg am | |
besten dasteht. Auch Martin Buskers 30-minütiger "Höllenritt" hat zwar | |
nicht mehr zu erzählen als die Geschichte eines Scheidungskinds, das großen | |
Hass auf den Vater und dessen Neue hegt, tut das aber wenigstens in einem | |
angemessenen Format, nämlich als effektreiche | |
Kräschboingpeng-Kinderkomödie, die trotzdem keine Abstriche an dem Ernst | |
des 12-jährigen Protagonisten Jakob zulässt: "Wenn ich einen BH anziehen | |
will, dann geht dich das gar nichts an." | |
So häufig jüngeren Filmemacherinnen und -machern das allzu geneigte | |
Schöpfen aus der eigenen Lebensweltlichkeit vorgeworfen wurde: In diesem | |
Jahr sind die Filme, die genau das möglichst unverhoben tun und nicht in | |
die Fallen von Freakshow und Verkunstung tappen, die interessantesten. | |
5 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Risselmann | |
## TAGS | |
Grips Theater | |
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