| # taz.de -- Taz-Salon im Jubiläumsrausch: Ganz schön schön | |
| > Die taz.nord hat am Wochenende in Hamburg ihren 100. taz-Salon gefeiert. | |
| > Unter dem Titel „Ganz schön fremd hier“ wurde einenTag lang diskutiert, | |
| > gefeiert und getrunken. | |
| Bild: Nicht nur schrille Töne in den Diskussionsveranstaltungen, auch musikali… | |
| Im Eingangsbereich vom Kulturhaus 73 im Hamburger Viertel Sternschanze | |
| herrscht am Sonntag ein kleines Gewusel. Vor der Kasse hat sich eine | |
| Schlange gebildet, drinnen werden Stühle gerückt, taz-Redakteure laufen hin | |
| und her und erledigen letzte Kleinigkeiten. Drinnen teilen sich schon mal | |
| die Gäste auf die in verschiedenen Räumen – oben im großen Saal, im | |
| kleineren Salon, unten im Foyer und in der Bar Jolly Jumper – parallel | |
| stattfindenden Podiumsdiskussionen auf. | |
| Wird ein Mensch 100, darf die Geburtstagstorte auch mal dreistöckig sein. | |
| Zum einen käme man sonst mit den Kerzen in Platznöte, zum anderen ist | |
| dieser Ehrentag einfach etwas ganz Besonderes. Auch der taz Salon, der seit | |
| einem Jahrzehnt Themen, die Hamburg umtreiben, auf dem Podium diskutiert, | |
| hat zu seiner 100. Veranstaltung aufgestockt. Unter dem Titel „Ganz schön | |
| fremd hier“ geht es einen ganzen Abend auf allen Etagen des Kulturhauses 73 | |
| um die Themen Flucht und Einwanderung. Die Podien reichen von „Gutes | |
| Geschäft? – ‚Rechnen‘ sich die Flüchtlinge“ über „Falsche Herkunft… | |
| denen, die hier nicht willkommen sind“ bis zu „Nicht vor meiner Tür – wo | |
| die Flüchtlinge hinsollen“. | |
| Eine mit Wellen bemalte Treppe hinauf geht es in den Salon. Dort sind die | |
| Fenster nach der ersten Debatte „Familienkrach in der taz – dürfen Linke | |
| Obergrenzen fordern?“ weit geöffnet und frische, leicht regenfeuchte Luft | |
| strömt herein. Sie kühlt die mollige Wärme drinnen und mildert diesen | |
| Geruch, wie er nur durch einen Raum voller Menschen entstehen kann. Er | |
| vermittelt irgendwie Gemütlichkeit in all seiner Sauerstoffarmut. | |
| Auf den Stühlen und Barhockern tummeln sich bereits einige Gäste, die sich | |
| die Debatte „Ihr macht es uns schwer – von der Schwierigkeit, deutsch zu | |
| werden“ anhören wollen. Neuankömmlinge versuchen, noch einen Sitzplatz zu | |
| ergattern, nicht allen gelingt es. Die Gäste sind jeglichen Alters: vom | |
| Säugling bis zum komplett ergrauten Rentnerpaar. | |
| Auf der Bühne stehen ein Sofa und ein Sessel, die Gäste haben bereits Platz | |
| genommen. Unter ihnen ist die Autorin Rasha Khayat, die als Kind lange in | |
| Saudi-Arabien gelebt hat. Sie beschreibt, wie problemlos ihre Mutter dort | |
| als Araberin akzeptiert wurde, obwohl sie blond und blauäugig ist und | |
| natürlich wahnsinnig auffällt. „Sie wurde von Außenstehenden für ein | |
| angeheiratetes Familienmitglied gehalten, was sie ja auch war. Fragen nach | |
| ihrer Herkunft oder Komplimente, wie toll sie doch arabisch spreche, musste | |
| sie sich nie anhören.“ | |
| Schriftstellerin Lena Gorelik weiß auf die Frage, was denn deutsch sei, | |
| eine schlichte Antwort: „Die Frage ist es schon. Und, dass wir hier sitzen | |
| und darüber diskutieren.“ Lacher aus dem Publikum. Sie fügt auf Nachfrage | |
| hinzu, dass zum Beispiel Frankreich die Grenze zwischen dem Noch- und dem | |
| Nicht-mehr-Französischem viel genauer kenne, weshalb man Debatten wie diese | |
| hier dort gar nicht führe. Es herrscht eine schöne Atmosphäre, heiter und | |
| gelöst, das Gespräch auf dem Podium ist ebenso lebendig wie die Resonanz | |
| des Publikums. | |
| Ganz anders sieht es im großen Saal aus, es ist der größte Raum des | |
| Kulturzentrums, die Zuschauer sitzen und stehen dicht gedrängt. Es geht um | |
| die Silvester-Übergriffe in Köln, um das Schweigen der linken Szene, die in | |
| einem Konflikt zwischen Rassismus und Feminismus gefangen ist, und um die | |
| Suche nach einer gelungenen Aufarbeitung der Vorfälle. Doch das scheint | |
| nach wie vor heikel zu sein. | |
| Die beiden Gäste sind Feministinnen, Alexandra Eul schreibt für das Magazin | |
| Emma, Kübra Gümüşay engagiert sich als Bloggerin gegen Sexismus und | |
| Rassismus. Obwohl das eine ähnliche Grundhaltung vermuten lässt, wird die | |
| Debatte „Angst vorm fremden Mann? – Feministische Perspektiven auf die | |
| Silvester-Übergriffe“ zusehends aggressiver geführt. | |
| Es geht in der Debatte der beiden Frauen um die Gefahr, sich | |
| instrumentalisieren zu lassen, da die Männer, die in der Kölner | |
| Silvesternacht Frauen bedrängten und sexuell belästigten, zu großen Teilen | |
| muslimisch, geflüchtet oder beides waren. Aus Sorge, rechte | |
| Trittbrettfahrer anzuziehen, sei von linker Seite zu lange geschwiegen und | |
| zu wenig verurteilt worden. Dieser Unsicherheit innerhalb des Minenfelds | |
| falscher, unkorrekter oder zu schwacher Aussagen müsse man sich | |
| stellen,sagt Kübra Gümüşay. Alexandra Eul plädiert dafür, sexualisierte | |
| Gewalt auch als Terrorakt wahrzunehmen. | |
| Doch das emotionale Thema führt schnell zu gegenseitigen Anschuldigungen, | |
| innerhalb derer zwischenzeitlich vom Du zum Sie gewechselt wird. Viele | |
| Zuschauer verlassen den Saal und zurück bleiben leere Stühle. Inzwischen | |
| geht es auf dem Podium auch gar nicht mehr um Köln und die Silvesternacht, | |
| sondern um Alice Schwarzer, die Verlegerin und Chefredakteuerin von Emma. | |
| Als die Diskussion schließlich für das Publikum geöffnet wird, steht eine | |
| Frau in der ersten Reihe auf und kommentiert den Disput der beiden Frauen | |
| auf dem Podium über die Frage nach Sexismus im Islam mit den Worten: „Alle | |
| Weltreligionen sind patriarchisch organisiert.“ Dafür erntet sie Applaus. | |
| Nachdem die Mikrofone auf dem Podium ausgeschaltet sind und die Debatte | |
| beendet ist, sieht man die beiden Frauen ihre Diskussion gestikulierend | |
| fortsetzen. Wie schwer es ist, über die Silvester-Übergriffe zu | |
| diskutieren, ist an diesem Abend nochmal sehr klar geworden. | |
| Doch es wird nicht nur diskutiert beim 100. taz Salon. AktivistInnen kommen | |
| zu Wort, es wird getanzt und Theater gespielt, gesungen und musiziert. Im | |
| Jolly Jumper wird unter dem Titel „Unbekannte Tropfen“ auch Wein verkostet. | |
| Durch einen mit Schwarzlicht beleuchteten Gang gelangt man in den schwarz | |
| gestrichenen Raum. Die Wände sind mit lauter Stickern beklebt, in der Mitte | |
| warten gedeckte Tische mit weißen, gestärkten Tischdecken. Diese | |
| Kombination passt eigentlich überhaupt nicht und hat gerade deshalb | |
| seltsamen Charme. | |
| Der Autor und Weinkenner Christoph Raffelt schickt die Besucher mit Weinen | |
| aus dem Balkan auf eine geschmackliche Reise durch Osteuropa, dazu werden | |
| Oliven und Brot gereicht. Wenn jemand zu spät noch in den Raum gestolpert | |
| kommt, rutschen die Leute zusammen und machen Platz auf der Bierbank | |
| 3 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Sarah Mahlberg | |
| Miguel Ferraz | |
| ## TAGS | |
| Geflüchtete | |
| Kopftuch | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kopftuchstreit in der feministischen Szene: „Es geht um unsere Frauen“ | |
| In Hamburg haben sich die islamische Schura und die feministische | |
| Sisterhood vom Frauenmarsch der Kulturbrücke distanziert. Özlem Nas | |
| erklärt, warum. |