# taz.de -- Kinostart „Findet Dorie“: Irrfahrt durch die Nassbereiche | |
> Ein Fisch sucht kein Fahrrad, sondern seine Familie: „Findet Dorie“ | |
> erzählt noch einmal die Geschichte seines Vorgängerfilms „Findet Nemo“. | |
Bild: Dorie (l.) und Hank (r.) | |
Es ist wohl nicht übertrieben, bei dieser Einstellung von der perfekten | |
Illusion zu sprechen: Sanfte kleine Wellen rollen den Sandstrand hinauf, | |
während die Sonne im Wasser kleine Prismen bildet und das Rauschen des | |
Meeres entspannt durch die Lautsprecher tönt. Sitze ich im falschen Film – | |
also in einem Realfilm? | |
Der erste Kameraschwenk auf eine Schar niedlicher, computergenerierter | |
Vögel schafft die Gewissheit, dass es sich bei den Bildern um Animationen | |
handelt, doch reißt das Erstaunen über die Finesse und den Fortschritt | |
dessen, was Heerscharen von AnimationsspezialistInnen an ihren Bildschirmen | |
in oft jahrelanger Arbeit für die Unterhaltungsindustrie programmieren und | |
rendern, auch später nicht ab. | |
Als fotorealistisch – ein Begriff aus der Malerei – könnte man zahlreiche | |
Bilder aus Andrew Stantons und Angus MacLanes Film „Findet Dorie“ oder dem | |
als Vorprogramm gezeigten Kurzfilm „Piper“ von Alan Barillaro bezeichnen. | |
Dieser Täuschungseffekt hält aber eben nur solange an, bis putzig | |
überproportionierte, in ihrem Wesen vermenschlichte und zudem sprechende | |
Meerestiere die Illusion zerstören. Aber um die soll es gehen. | |
Hauptprotagonistin Dorie ist [1][ein sogenannter Paletten-Doktorfisch] mit | |
Kurzzeitgedächtnis, den man als Side-Kick aus dem Vorgängerfilm „Findet | |
Nemo“ (2003) kennt. Nun begibt sich Dorie auf die Suche nach ihren Eltern, | |
die sie einst als Babyfisch verlor. „Nicht schon wieder“, heißt es an einer | |
Stelle des Films, was man als selbstironischen Verweis darauf lesen kann, | |
dass hier gar nicht erst versucht wurde, die Vorzeichen des Originals (er | |
zählt zu den 40 erfolgreichsten Filmen aller Zeiten und handelt von der | |
Suche eines Clownfisches nach seinem Sohn Nemo) zu ändern. | |
Tatsächlich ist es auch weniger das „Was“, als das „Wie“, auf das es d… | |
Machern ankommt und worin „Findet Dorie“ im Vergleich zu | |
Pixar-Meisterwerken wie „Oben“, „Wall-E“ oder „Alles steht Kopf“ ab… | |
## Aberwitzige Salven jenseits aller Plausibilität | |
Über Umwege gelangt Dorie zu einem meeresbiologischen Institut, das kranke | |
Tiere rehabilitiert. Wodurch sich der Film nun mit der Herausforderung | |
konfrontiert sieht, einen Fisch durch eine Vielzahl von | |
Forschungseinrichtungen und deren Aquarien, Becken, Eimer, Seen und | |
Container zu manövrieren. Zu diesem Zweck wird die eigentliche | |
Hauptattraktion des Filmes eingeführt: Hank, ein Oktopus, dem zwar ein Arm | |
fehlt, der sich aber farblich seiner Umgebung anpassen kann und auf der | |
Flucht vor den Tiermedizinern ist. Hier kommt das „Wie“ doppelt zum Tragen. | |
Zum einen nimmt das Drehbuch mit aberwitzigen Salven jenseits aller | |
Plausibilität derart an Fahrt auf, dass man sich entspannt und belustigt | |
zurücklehnen kann, um zu verfolgen, wie oft und mit welchen Hilfsmitteln | |
Dorie durch Nassbereiche geschleudert werden kann, bis sie schließlich in | |
einem spektakulär-anarchischen Finale einen Lkw kapern kann. | |
Zum anderen sind es die bildlichen Feinheiten von Texturen und Oberflächen, | |
Lichtstimmungen und farblichen Nuancen wie die glitschige Haut des Oktopus, | |
das Schimmern der Algen unter Wasser und die detailverliebt gezeichneten | |
Schauplätze von Produktionsdesigner Steve Pilcher, die das Publikum ein ums | |
andere Mal in ein ähnliches Staunen versetzen, wie es zu Beginn der | |
Filmgeschichte der Magier Méliès oder der einfahrende Zug der Brüder | |
Lumière getan haben mögen. | |
## „Believe-in-yourself“-Durchhalteformeln | |
Vom Kino als visuellem Schau- und Überwältigungsraum einmal abgesehen, | |
fällt „Findet Dorie“ aber ansonsten überraschend flach aus und vermag es | |
kaum, aus den sonst im Animationsbereich so smart gestreuten Verweise auf | |
Realpolitisches oder Soziales Funken zu schlagen. Die Behinderung aller | |
auftretenden Tiere, zusammen mit den üblichen | |
„Believe-in-yourself“-Durchhalteformeln mögen in Teilen emanzipatives | |
Potenzial besitzen, verlieren im Effekte-Karussell des Films jedoch schnell | |
an Dringlichkeit. | |
Auch der Nachhaltigkeitsaspekt des progressiv-ökologischen Meeresinstituts | |
(das an reale Vorbilder angelehnt ist), bietet nicht genug Reibungsfläche | |
für Spitzen gegen das „Tier Mensch“ und dessen Vernichtung der Meeresfauna | |
– von einer herrlich bösen „Streichelzoo“-Szene einmal abgesehen. Auch | |
verlieren Animationsfilme in der deutschen Synchronisation nicht selten an | |
Wort- und Sprachwitz, da die unterschiedlichsten regionalen, nationalen und | |
ethnischen Akzente und Dialekte, die die englische Sprache bietet, kaum | |
eine Entsprechung im deutschen Sprachraum finden. | |
Einzig eine alte, wienernde Auster, die ihren Verflossenen als Miesmuschel | |
beschimpft, sorgt für Lacher, in einem Film, der zwar liebevoll gestaltet, | |
aber sichtlich daran interessiert ist, in flacheren Gewässern zu schwimmen, | |
um seine Produktionskosten von 200 Millionen Dollar wieder einzuspielen. | |
28 Sep 2016 | |
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## AUTOREN | |
Toby Ashraf | |
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