Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Papst spricht Mutter Teresa heilig: Auch nur eine arme Sünderin
> Am Sonntag ist Mutter Teresa heiliggesprochen worden. Gerade weil sie
> kein tadelloser Mensch war, taugt sie als Vorbild.
Bild: Nicht vollkommen und gerade deshalb gut. Mutter Teresa wurde in Rom heili…
Die meisten Menschen brauchen keine Heiligen – und die Mehrzahl der
heiligen Menschen ist, davon ist auszugehen, nie heiliggesprochen worden.
Unbekannt oder nur wenigen bekannt sind sie gestorben, Märtyrer des
Glaubens vielleicht, deren Tod niemand mitbekam oder weitererzählte. Manche
christliche Heilige wie Martin Luther King oder Dietrich Bonhoeffer hatten
nicht die richtige Konfession. Insofern ist es auch Zufall, wenn eine tote
Person, denn nur Tote können heiliggesprochen werden, von der katholischen
Kirche diesen Ehrentitel erhält. Am Sonntag hat Papst Franziskus Mutter
Teresa heiliggesprochen.
Ist das eine gute Wahl?
Ich glaube: ja. Denn es ist ein Missverständnis zu glauben, Heilige seien
stets tadellose und superfromme Menschen gewesen – im Gegenteil.
Mutter Teresa, geboren 1910 in Skopje, gestorben 1997 in Kalkutta, war
nicht zimperlich in ihren Ehrerbietungen zugunsten auch von Diktatoren,
wenn diese nur Geld oder Zugangschancen für die Arbeit ihres Ordens der
„Missionarinnen der Nächstenliebe“ gewährten. Ihre Hilfe für die Armen
änderte an den Strukturen nichts. Die Millionenspenden, die sie erhielt,
steckte sie freihändig in die Arbeit – da war viel (Gott-)Vertrauen in ihre
Redlichkeit angesagt, um nur einige der Kritikpunkte an ihr zu nennen.
## Faszinierend fehlbar
Dennoch halte ich ihre Heiligsprechung für sinnvoll und erfreulich. Denn
das Faszinierende an Heiligen ist ihre Fehlbarkeit, die sie menschlich
macht. Liest man Heiligenlegenden oder historisch seriöse Biografien dieser
Menschen, ist es oft frappierend, dass viele von ihnen nicht gerade
sympathisch, ja, wahre Kotzbrocken waren. Der Heilige Padre Pio von
Pietrelcina, der zwischen 1887 und 1968 lebte und der wohl populärste
Heilige Italiens ist, etwa scheint es geliebt zu haben, Leute vor den Kopf
zu stoßen. Ungeklärt bleibt auch: Hat er sich die an ihm so bewunderten
Wundmale Jesu – die Stigmata – eigenhändig beigefügt? Und hätte er es
selbst sagen können?
Es ist, als lebten manche Heilige in ihrer eigenen Welt. Aber dieses
Entrückt- oder Verrücktsein hat ja oft auch Charme. Viele Heilige waren
Sturköpfe, die sich nicht selten mit dem jeweiligen Ortsbischof anlegten.
Mutter Teresa etwa nervte ihren Erzbischof von Kalkutta, Ferdinand Perier,
mit einer kleinen Flut an Briefen („Wie lange muss ich noch warten?“), ehe
sie 1948 ihren ursprünglichen Orden der „Loreto-Schwestern“ verlassen und
sich der Pflege Sterbender in Kalkutta widmen konnte. Manche Heilige hatten
eine ziemlich unheilige Vergangenheit: Der große Kirchenlehrer und Heilige
Augustinus von Hippo (354–430) hatte rund 15 Jahre lang eine uneheliche
Beziehung mit einer Frau aus Karthago – er war erst 17 oder 18, als sie ihm
einen Sohn gebar.
Es gibt Tausende Heilige. Mutter Teresa wird nie meine Lieblingsheilige
sein, anders als Franz von Assisi (etwa 1181–1226), der lebensfroh in
völliger Armut für und mit den Armen lebte. Aber eindrucksvoll ist schon,
dass auch Mutter Teresa dorthin ging, wo niemand hinwollte: in den Gestank,
Dreck und Kot der Straßen Kalkuttas, um mit ihren Schwestern den Ärmsten
zumindest ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Was sie unerwartet modern
macht, sind ihre Glaubenszweifel, die sie mit vielen Heiligen teilt. Schon
im Kreis der Apostel wollte Thomas dem Neuen Testament zufolge nicht
glauben, dass sein Rabbi Jesus auferstanden sei, obwohl ihm das seine
Mitbrüder versicherten. Erst als er dem Auferstandenen in seine Wunden
griff, so steht es im Johannes-Evangelium, konnte er glauben.
2007, zehn Jahre nach ihrem Tod, veröffentliche Mutter Teresas Orden einen
Teil ihrer Korrespondenz und ihrer Tagebucheintragungen – vier Jahre nach
ihrer Seligsprechung. In diesen Texten offenbarte sich Mutter Teresa als
eine zwar irgendwie fromme Frau, die aber stark an Gott zweifelt, genauer:
daran, ob sie überhaupt glaubt. Jahrzehnte lang notiert sie immer wieder
Sätze wie diese: „Ich habe keinen Glauben“, „Der Platz Gottes in meiner
Seele ist leer. In mir ist kein Gott“, „Gott vernichtet alles in mir“,
„Dies furchtbare Leere“ oder „… nicht gewollt von Gott, abgewiesen, lee…
kein Glaube, keine Liebe, kein Eifer“.
Es spricht für Mutter Teresa, dass sie auch ihre öffentliche Rolle
reflektierte – die Erwartungen vieler Menschen, die sie mit ihrer Arbeit
und ihrer scheinbar ungetrübten Frömmigkeit erfüllen zu müssen glaubte:
„Die Leute sagen, dass sie sich näher zu Gott gezogen fühlen, wenn sie
meinen festen Glauben sehen. Ist das nicht ein Betrug an den Leuten?“ Sie
spitzte dies sogar noch zu. Die Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 1979
fragte sich: Sei nicht ihr viel bewundertes Lächeln eine Art „Waffe“, ja
ein „Deckmantel“?
## Ernsthaft gläubig
Dennoch wird Mutter Teresa jetzt heiliggesprochen. Und bei Papst Franziskus
kann man davon ausgehen, dass ihm diese Glaubenszweifel nicht als Hindernis
erscheinen, sondern eher als Ausdruck jedes Glaubens, der es ernst meint.
Jorge Mario Bergoglio sieht seinen eigenen Lebens- und Glaubensweg durchaus
kritisch, wie er immer wieder betont. Er weiß, dass er Sünden auf sich
geladen hat, nicht zuletzt als junger, herrischer Chef der Jesuiten in der
Zeit der argentinischen Junta.
Wenn Tote zu Heiligen gemacht werden, spielt oft Kirchenpolitik eine Rolle,
die Motive für eine Heiligsprechung sind nicht immer lauter: Da soll etwa
ein Flügel der Kirche gefördert werden, indem man eine Galionsfigur von ihm
heiligspricht, so wie im Falle des Priesters und Franco-Getreuen Josemaría
Escrivá (1902–1975), Gründer der erzkonservativen Vereinigung Opus Dei.
Papst Johannes Paul II. sprach ihn 2002 heilig, weil ihm Escrivás
kirchenpolitische Richtung zupass kam.
Ähnlich spielt auch Papst Franziskus auf der Klaviatur der
Heiligsprechungen: Eben jenen Johannes Paul II. (1920–2005) sprach er am
27. April 2014 heilig, was Konservative freute – am gleichen Tag aber auch
den Reformpapst Johannes XXIII. (1881–1963), was den Progressiven in der
Kirche die Herzen erwärmte.
In Heiligsprechungen spiegelt sich also immer ein Zeitgeist – weshalb man
zunächst einmal skeptisch sein sollte. Zum Beispiel Jeanne d’Arc
(1412–1431): Die Jungfrau von Orléans kämpfte im Hundertjährigen Krieg
gegen die Engländer. Sie hatte wesentlichen Anteil daran, dass der
französische König Karl VII. inthronisiert werden konnte, weshalb sie eine
französische Nationalheldin ist. Als Jeanne in englische Hände fiel,
machten ihr kirchliche Lakaien den Prozess. Als „notorisch rückfällige
Ketzerin“ wurde sie am 30. Mai 1431 auf einem Scheiterhaufen auf dem
Markplatz von Rouen verbrannt. Es dauerte fast 600 Jahre, ehe dieselbe
Kirche sie rehabilitierte und Papst Benedikt XV. sie am 16. Mai 1920
heiligsprach.
Wenn Mutter Teresa nun „zur Ehre der Altäre“ erhoben wird, habe ich all
dies im Kopf: Man kann sich in seinem Glauben an Heiligen orientieren. Denn
es waren auch nur einfache Kinder Gottes, arme Sünderinnen und Sünder. Wie
du. Wie ich.
4 Sep 2016
## AUTOREN
Philipp Gessler
## TAGS
Mutter Teresa
Papst Franziskus
Papst
Papst Franziskus
Papst Benedikt XVI.
Mutter Teresa
Mutter Teresa
Mutter Teresa
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neuer Chef von Opus Dei: Konservative Kontinuität
Fernando Ocáriz ist der neue Chef der katholischen Laienorganisation Opus
Dei. Die mag es konservativ und agiert gern im Verborgenen.
Buch vom ehemaligen Papst Benedikt XIV.: Hoffentlich wirklich das letzte
Joseph Ratzinger hat mit dem Journalisten Peter Seewald einen Interviewband
verfasst. Beim Lesen wünscht man sich, er hätte das nicht getan.
Mutter Teresa und ihre Heimat: Heilig, heilig, heilig
Als Papst Franziskus Mutter Teresa heiligsprach, feierten gleich drei
Heimatländer. Albaner sind muslimisch? Egal, nur das nationale Symbol
zählt.
Katholische Kirche ehrt Ordensfrau: Mutter Teresa ist „heilig“
Für viele war sie schon zu Lebzeiten eine Heilige, nun ist sie es
offiziell: Papst Franziskus hat Mutter Teresa heiliggesprochen. Doch der
Schritt ist nicht unumstritten.
Ehrung von Mutter Teresa: Heilige Abtreibungsgegnerin
Die Ordensfrau wird von Papst Franziskus am 4. September heiliggesprochen.
Sie unterstützte Arme in Indien, kämpfte aber auch gegen
Empfängnisverhütung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.