# taz.de -- Sommerinterview (VI): „Wir sind keine Autofahrerpartei“ | |
> Hamburgs FDP-Partei- und Fraktionschefin Katja Suding über | |
> Staatsbetriebe, Marktwirtschaft und ihre Bundestags-Ambitionen. | |
Bild: „Wir müssen raus aus Hapag-Lloyd“: Katja Suding | |
taz: Frau Suding, finden Sie eigentlich, dass Sie sich Ihren Sommerurlaub | |
redlich verdient haben? | |
Katja Suding: Aber selbstverständlich. | |
Dabei hatten Sie zuletzt gar nicht so viel zu tun – außer den rot-grünen | |
Fraktionsvorsitzenden Andreas Dressel und Anjes Tjarks bei deren langen und | |
schwierigen Verhandlungen mit der Initiative „Hamburg für gute Integration“ | |
zuzusehen. | |
Wir haben das intensiv begleitet und immer wieder Druck gemacht, damit es | |
zu einer Einigung mit der Initiative kommt. Und wir haben immer wieder | |
darauf hingewiesen, dass die Pläne des Senats mit diesen | |
Riesen-Unterkünften für Flüchtlinge falsch sind. Leider konnten wir als | |
Opposition Rot-Grün nicht von diesem Kurs abbringen. Da musste erst die | |
Initiative kommen und mit einem Volksentscheid drohen. | |
Warum hat die FDP dann in der Bürgerschaft die Vereinbarung abgelehnt? | |
Weil sie uns erst 24 Stunden vor der Abstimmung vorlag. Wir hatten nicht | |
ansatzweise die Gelegenheit, diese komplizierten Unterlagen eingehend zu | |
prüfen, wir konnten sie gerade mal querlesen. Mit meinem Verständnis von | |
seriöser politischer Arbeit im Parlament ist es nicht vereinbar, einfach | |
abzunicken, was die Mehrheit uns auf den Tisch knallt. | |
Fühlen Sie sich ausgegrenzt? | |
Darum geht es nicht. Ich stimme nicht einfach einer Vereinbarung zu, die | |
ich inhaltlich nicht beurteilen kann. Da verlasse ich mich auch nicht auf | |
die Versicherungen der Fraktionschefs von SPD und Grünen, dass alles | |
wunderbar sei. Meine und unsere Aufgabe als Opposition ist es, die | |
regierende Mehrheit zu kontrollieren und nicht, ihr unbesehen alles | |
abzukaufen. | |
Sie hätten lieber eine Sondersitzung der Bürgerschaft in der Sommerpause | |
gehabt? | |
Ja, das wäre notwendig gewesen. Es wäre noch bis zum 30. August Zeit | |
gewesen für die Verständigung mit der Initiative. Eine Sondersitzung hätte | |
also locker stattfinden können. Wir mussten über eines der drängendsten | |
Probleme in Hamburg entscheiden. Da sollte es doch möglich sein, während | |
der Sommerpause eine Sondersitzung abzuhalten. Dazu war die Mehrheit leider | |
nicht bereit. | |
Inzwischen haben Sie die Vereinbarung vermutlich aufmerksam gelesen. Ihre | |
inhaltliche Kritik? | |
Problematisch ist, dass die ergänzenden Bürgerverträge nicht für alle | |
Stadtteile und alle Projekte gelten. Andere Anwohner, die munter weiter | |
gegen alles klagen können, was ihnen nicht gefällt, wurden nicht | |
eingebunden. Und es fehlt ein wirklich durchdachtes Konzept, das eine | |
dezentrale Unterbringung über die gesamte Stadt sicherstellt. Es ist nicht | |
gelungen, diese völlig falschen Expressbauten zu verhindern. Es ist nicht | |
gelungen, Großunterkünfte in etlichen Stadtteilen zu schließen. All das | |
sind Dinge, die eine dauerhafte Integration verhindern. | |
Dann ist das Thema Flüchtlingsunterbringung durch die Vereinbarung mit der | |
Initiative aus Ihrer Sicht nicht ein für allemal geklärt worden? | |
Soweit sind wir noch lange nicht. Mich überzeugt das Verhandlungsergebnis | |
überhaupt nicht. | |
Und wenn die Flüchtlingszahlen wieder steigen? Wenn Erdogan die Grenzen | |
wieder aufmacht? | |
Dann haben wir alle gemeinsam ein Riesenproblem. Deshalb haben wir mehrfach | |
den Bürgermeister aufgefordert, mit den anderen Bundesländern über die | |
Verteilung der Flüchtlinge in Deutschland nach dem Königsteiner Schlüssel | |
zu diskutieren. Danach werden die Flüchtlinge auf die Bundesländer verteilt | |
allein nach deren Wirtschaftskraft und Steuereinnahmen. Der Knackpunkt aber | |
sind die Flächen, und da haben Stadtstaaten wie Hamburg, aber auch Berlin | |
und Bremen, einen großen nachteil. Die Anwendung dieses Schlüssels ist | |
völlig unzureichend. Es tut sich niemand einen Gefallen damit, die | |
Metropolen über Gebühr zu belasten und letztlich dadurch Integration zu | |
verhindern. Ich hätte mir von einem Bürgermeister, der sich seiner | |
bundesweiten Kontakte und Bedeutung rühmt, erwartet, dass er das Thema | |
angeht und Änderungen herbeiführt. | |
Hätte es denn die Chance auf eine Einigung gegeben mit den Flächenländern? | |
Die hätten dann ja mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen. | |
Ich denke, die Chance wäre da gewesen. Aber selbst wenn es kurzfristig zu | |
keiner Änderung kommt, muss man doch erst mal mit den anderen | |
Ministerpräsidenten über das Thema sprechen. Und zumindest mit den | |
Nachbarländern, alle von der SPD regiert, zwei sogar von Rot-Grün, hätte | |
man doch eine bessere Verteilung vereinbaren können. | |
Ist denn die Einigung mit der Initiative und die Vermeidung eines | |
Volksentscheides mit hoher gesellschaftlicher Sprengkraft ein Erfolg für | |
die Demokratie? | |
So ein Volksentscheid hätte stark polarisiert. Das Problem lässt sich nicht | |
lösen mit der holzschnittartigen Argumentation der Initiative. Am Ende wäre | |
das herunter gebrochen worden: „Flüchtlinge – ja oder nein“. Das wäre h… | |
gefährlich geworden. | |
Geht Ihnen die Direkte Demokratie mit all ihren Volksinitiativen und | |
Volksentscheiden nicht inzwischen gehörig auf den Geist? | |
Nein. Es ist das gute Recht von Initiativen, Druck zu machen. Und dieser | |
Druck war ja offensichtlich notwendig, um die rot-grüne Koalition zu einer | |
Kurskorrektur zu bewegen. Es ist allerdings ein Armutszeugnis, dass es dazu | |
überhaupt kommen musste. Diese Koalition hat sich viel zu lange jeder | |
besseren Einsicht verweigert hat. | |
Aber gibt es nicht inzwischen eine gesellschaftliche Schieflage zugunsten | |
wohlhabender und gebildeter Schichten? | |
Das ist leider so, das ist leider auch bei der Wahlbeteiligung so, die in | |
sozial stärkeren Stadtteilen viel höher ist als in sozial schwachen. | |
Dagegen hilft nur mehr und bessere Bildung. | |
Oder Sozialpolitik? | |
Aus meiner Sicht gibt es keine bessere Sozialpolitik als Bildung. Der Weg | |
kann nicht sein, einfach die Sozialleistungen zu erhöhen. Denn das bedeutet | |
letztlich, ein Problem mit viel Geld zu zu kleistern, anstatt es zu lösen. | |
Wir müssen das gesamte Bildungssystem verbessern – von der frühkindlichen | |
Bildung bis zur beruflichen und universitären Ausbildung. | |
Würde nicht billig werden? | |
Es war ein Riesenfehler, die kostenlose Kitabetreuung einzuführen und | |
zugleich zu sagen, für mehr Erzieher ist aber kein Geld mehr da. Unter | |
einem Bürgermeister Olaf Scholz benimmt sich diese Stadt wie ein | |
Staatsunternehmer. Es wurden Milliarden in die Reederei Hapag-Lloyd oder | |
die HSH Nordbank gesteckt, viel sinnvoller wären mehr Investitionen in die | |
Bildung gewesen. | |
Die Staatsreederei Hapag-Lloyd verliert zusehends an Wert, die Hamburger | |
Anteile entsprechend auch. Sind die 1,2 Milliarden Euro, welche die Stadt | |
in die Reederei gesteckt hat, verloren? | |
Wahrscheinlich zu einem erheblichen Teil. Wir haben damals schon vor diesem | |
unüberschaubaren Risiko gewarnt, leider wurden wir nicht gehört. Die | |
weltweite Schifffahrtskrise dauert weiter an, ein Ende ist nicht abzusehen. | |
Das wird teuer werden. | |
Die Milliarde aus Steuergeldern gibt es aber nicht zurück, obwohl der | |
Bürgermeister das versprochen hat. Hapag-Lloyd zahlt nicht mal Dividende. | |
Wir haben von Anfang an bezweifelt, dass der Bürgermeister sein Geld wieder | |
bekommt. | |
War nicht mal seines, sondern unser alles. | |
Steuergeld, ja. Umso schlimmer. | |
Aber immerhin konnte Hapag-Lloyd in Hamburg gehalten werden: der | |
Firmensitz, die Arbeitsplätze, der Umschlag im Hafen, die Steuereinnahmen. | |
Aber um welchen Preis? Dieses Geld wäre wie gesagt besser in die Bildung | |
oder auch in den Hafen investiert worden. Der muss modernisiert werden und | |
die Schlickberge in der Fahrrinne und vor den Kais müssen beseitigt werden. | |
Es darf nicht soweit kommen, dass Schiffe Hamburg nicht mehr anlaufen | |
können. | |
Würden Sie Hapag-Lloyd und andere städtische Unternehmen gerne | |
privatisieren, wenn Sie könnten? | |
Nicht jedes einzelne. Bei Hapag-Lloyd bin ich für den Verkauf der Hamburger | |
Anteile, da müssen wir raus. Ich halte auch den Verkauf der städtischen | |
Mehrheit am Hafenumschlagsunternehmen HHLA für notwendig. | |
Für beide würden Sie aber zurzeit auf dem Markt nur Tiefstpreise erzielen. | |
Natürlich muss man den richtigen Zeitpunkt abpassen. Es wäre aber ein | |
Fehler, die Beteiligungen dauerhaft zu behalten. Der Bürgermeister hat sein | |
Versprechen zu halten, das Geld wieder zu beschaffen, das er aus dem | |
Fenster geworfen hat. | |
Sie bevorzugen das freie Spiel der Kräfte auf dem Markt? | |
Das hat damit gar nichts zu tun. Die Stadt muss sich auf ihre ureigenen | |
Aufgaben konzentrieren. Dazu gehören in erster Linie gute Bildung, innere | |
Sicherheit und eine vernünftige Infrastruktur. Es ist nicht Aufgabe der | |
Stadt, Unternehmer zu spielen. | |
Der Staat sollte sich aus der Wirtschaft raushalten? | |
Er hat die Regeln zu setzen, wie das mit der sozialen Marktwirtschaft ja | |
auch geschieht. Und zu kontrollieren, dass diese Regeln eingehalten werden. | |
Aber auch das passiert nicht, ständig gibt es da Regulierungen: die | |
Mietpreisbremse, der Mindestlohn … | |
Es lebe das freie Unternehmertum? | |
Unternehmer und Märkte sind nicht frei, es gibt klare Regeln. | |
Wirtschaftsminister Gabriel will, anders als das Bundeskartellamt, die | |
Fusion von Edeka und Tengelmann durchdrücken – langfristig zum Schaden der | |
Verbraucher. Ich befürworte deshalb klare Regeln, aber eben auch ihre | |
Einhaltung. | |
Ende Juli hat das Verwaltungsgericht ein Zwangsgeld gegen Hamburg verhängt, | |
weil der rot-grüne Senat einen wirksamen Luftreinhalteplan seit Jahren | |
verweigert. Was ist zu tun? | |
Der Plan muss schnellstmöglich vorgelegt werden. | |
Lehnen Sie dennoch Maßnahmen wie Fahrverbote, Umweltzone und City-Maut | |
weiterhin ab, weil die FDP eben eine Autofahrer-Partei ist? | |
Wir sind keine Autofahrerpartei, aber auch keine Verbotspartei. Die Aufgabe | |
lautet jetzt, möglichst rasch wirksame Anreize zu schaffen, das Auto öfter | |
mal stehen zu lassen. Dazu muss der Öffentliche Nahverkehr gestärkt werden, | |
auch der Radverkehr muss weiter ausgebaut werden. | |
Wir warten seit eineinhalb Jahren vergebens auf ernste Konflikte in der | |
rot-grünen Koalition: Ist da aus Ihrer Sicht alles wirklich pure Harmonie? | |
Die Grünen haben schon im Koalitionsvertrag jede Kröte geschluckt. Bisher | |
haben sie die immer retten wollten. Aber das ist nicht unser Problem. Wir | |
warten nicht täglich auf eine Regierungskrise, sondern machen unsere | |
Arbeit. | |
Dann haben Sie keine Zweifel, dass diese Koalition bis zum Ende der | |
Legislaturperiode Bestand haben wird? | |
Die Grünen wollen um jeden Preis auf den Regierungsbänken sitzen. Die | |
bringen den Senat nicht in Gefahr. | |
Und der Erste Bürgermeister Olaf Scholz hält auch durch? | |
Muss er. Selbst wenn er nächstes Jahr als SPD-Kanzlerkandidat antreten | |
würde, hätte er keine Chance. Also muss er in Hamburg bleiben. | |
Sie jedenfalls wollen nach der Bundestagswahl nach Berlin? | |
Ich habe erklärt, dass ich mich in der Hamburger FDP um die | |
Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl bewerben werde. | |
Ab in den Bundestag und möglichst gleich in die Bundesregierung? | |
Wir kämpfen für eine möglichst starke FDP und vor allem für unsere | |
inhaltlichen Schwerpunkte. Nach der Wahl können wir sehen, ob und welche | |
Regierungsbeteiligung möglich ist. | |
CDU, SPD, Grüne: Alle drei koalitionsfähig für Sie? | |
Es ist müßig, darüber zu diesem Zeitpunkt zu spekulieren. | |
Glauben Sie wirklich, dass die FDP in Hamburg ohne Katja Suding | |
überlebensfähig ist? | |
Das wird sie gar nicht müssen, denn ich will auch als Bundestagsabgeordnete | |
Hamburger Landesvorsitzende bleiben und hier starke Präsenz zeigen. Die | |
Fraktion ist personell und inhaltlich sehr gut aufgestellt. Was meine | |
Nachfolge angeht, haben wir da ein Luxusproblem. | |
Das müssen Sie jetzt ja sagen. | |
Ich meine das auch so. | |
28 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
## TAGS | |
FDP Hamburg | |
Flüchtlingspolitik | |
Marktwirtschaft | |
Mindestlohn | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Höherer Mindestlohn: Rot-roter Knatsch | |
Die Linke fordert höheren Mindestlohn für öffentlich Bedienstete und beruft | |
sich auf Olaf Scholz. Doch die Koalition will nicht über das linke | |
„Stöckchen“ springen |