Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Russland-Erklärer „dekoder.org“: Integrationshindernis Ei
> „Dekoder“ übersetzt russische Medien ins Deutsche. Oft wird jedoch
> „Russland verstehen“ mit „Russland entschuldigen“ gleichgesetzt.
Bild: Bringt „dekoder.org“ Deutsche und Russen wirklich einander näher?
„Auf diesen Augenblick habe ich die ganzen 15 Jahre meines Lebens hier in
Deutschland gewartet“, schreibt neulich eine russische Freundin auf
Facebook. „Gestern war es endlich so weit. Ein Nachbar klopfte an der Tür
und wollte zwei Eier für seine Torte haben.“ Wem der Sarkasmus der
Botschaft entgangen ist, der sei auf die Webseite [1][Dekoder] verwiesen.
Diese erklärt dem deutschen Publikum seit einem knappen Jahr, wie die
Russen ticken. Im Juni hat das Team dafür [2][den Grimme Online Award
eingeheimst].
Die Eiergeschichte ist natürlich nichts weiter als ein unter Russen weit
verbreitetes Vorurteil. Ein Dutzend russischsprachiger Kommentatoren unter
dem besagten Facebook-Eintrag schrieb, wie hilfsbereit, nett und offen ihre
deutschen Nachbarn seien. Dafür gibt es seit Neuestem auch einen
statistischen Beleg: Die neueste Umfrage der Hamburger Körber-Stiftung
besagt, dass Deutsche viel aufgeschlossener den Russen gegenüber seien als
umgekehrt. Die Mehrheit der Deutschen (61 Prozent) wünscht sich eine
intensivere Auseinandersetzung mit der russischen Kultur und Geschichte,
während nur 28 Prozent der Russen mit den Deutschen gern mehr zu tun
hätten.
Gegen Fakten kann man nicht anstinken. Gegen einzelne Artikel schon. In
unseren turbulenten Zeiten allemal. Dekoder probiert das aus. Das Team
übersetzt ausgesuchte Texte aus unabhängigen russischen Medien ins Deutsche
und garniert das Ganze mit appetitlichen Häppchen, den sogenannten Gnosen,
von Wissenschaftlern verfassten, aber leicht bekömmlichen Kommentaren. Der
Leser entscheidet selbst, ob er bei einem der Haupttexte hängen bleibt oder
in die unendliche Tiefe der Definitionen und Exkurse hineintaucht. Laut
Herausgeber Martin Krohs würde ein solches Rezipieren unserem Geist und
unserem Hirn optimal entsprechen.
Die Idee zu Dekoder kam dem Berliner Publizisten, der zehn Jahre in Moskau
gelebt hat, als er eine kontroverse Diskussionsrunde im unabhängigen
Internetsender Doschd sah. Genau die Art der konstruktiven Debatten wollte
er in Deutschland abbilden. Die Themen der Artikel, die alle paar Tage
erscheinen, reichen vom Dopingskandal bis hin zum kaukasischen Dschihad.
Kritisch, investigativ, kontrovers. Eine Vielfalt an Ansätzen und
Meinungen, von deren Existenz ein deutscher Leser nicht mal ahnt.
## Fakten gegen die Wut
Wichtig sei, in die emotional total aufgeheizte Debatte Fakten
einzubringen, sagt Chefredakteurin Tamina Kutscher, Journalistin, Slawistin
und Historikerin. Russland sei in vielen Dingen anders als Deutschland,
besonders kompliziert aber trotzdem nicht. Viele Erfahrungen, Codes und
Geschichten würde man hier einfach nicht kennen. Diese versuche Dekoder zu
erklären und zu zeigen. Die Zahl der Leser behält Kutscher allerdings für
sich.
Dekoder sei an Russland-Experten und -Touristen genauso gerichtet wie an
jemanden, der einen russischen Nachbarn hätte. Auch an die politischen
Entscheider im Land? Sicherlich, denn Russland sei viel zu wichtig und viel
zu eng mit uns verbunden, um es zu ignorieren. „Russland verstehen“ würde
leider inzwischen oft mit „Russland entschuldigen“ gleichgesetzt. Ein
politisches Statement?
Einer der letzten Artikel heißt „Russlandphobie-ologie“. Er handelt vom
russischen Kulturministerium, das einen Forschungswettbewerb zu
„Technologien der Russlandphobie“ ausgeschrieben hat. „Leider sind dabei
auch die Antworten schon vorgegeben“, bedauert Olga Filina in ihrem Beitrag
auf Kommersant-Ogonjok – und analysiert Karriere und Wirkung des Begriffs
„Russlandphobie“, das stellt Dekoder vorab. Und bezieht allein dadurch
Position.
Auch wenn Dekoder für seinen Ansatz viel Lob bekommt, ist die Idee,
Feindbilder zwischen Russen und Deutschen abzubauen, nicht neu. Der
russische Schriftsteller Lew Kopelew hatte sie sich zur Lebensaufgabe
gemacht. Vor 30 Jahren schrieb er: „Bücher sind die sichersten Bausteine
für die Brücken, die die Völker miteinander verbinden. Es ist der Sinn
unseres Lebens, diese Brücken zu bauen.“ Dekoder hat eine Webseite gebaut
statt einen Bücherhaufen. Ansonsten hat sich nicht viel getan, oder?
12 Aug 2016
## LINKS
[1] http://www.dekoder.org/
[2] http://www.grimme-institut.de/html/index.php?id=2072&no_cache=1#c15415
## AUTOREN
Irina Serdyuk
## TAGS
Russland
Übersetzung
Medien
Russland
Wladimir Putin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Petersburger Dialog: Höflich distanzierte Grußworte
Deutsche und Russen verstehen sich derzeit nicht. Das wurde auf dem
Petersburger Dialog deutlich: Wladimir Putin und Angela Merkel fehlten.
Russlands Rolle beim G7-Gipfel: Das unsichtbare Hauptproblem
Wladimir Putin ist nicht eingeladen, ohne ihn geht es aber nicht. Wie
Kanzlerin Merkel versucht, ein unlösbares Dilemma zu bewältigen.
70 Jahre Kriegsende in Russland: Merkel und Putin legen Kränze nieder
Gemeinsam haben die Bundeskanzlerin und der russische Präsident der
sowjetischen Opfer gedacht. Die offizielle Feier zum Sieg der Sowjetunion
hatte Merkel boykottiert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.