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# taz.de -- Jazz-Festival: A l’arme! 2016: Zwischen Kontemplation und Explosi…
> Heute startet die vierte Ausgabe des A l’arme! Festivals. Und scheut
> weder Melancholie noch die Attacke auf abendländische Hörgewohnheiten.
Bild: Sofia Jernbergs Auftritt mit dem Quintett Seval zählt zu den Höhepunkten
Die Zahl Vier steht in der Musik für Ebenmäßigkeit, für ausgewogene
Verhältnisse zwischen Grundschlag und Fortdauer eines Musikstücks.
Abendländisch sozialisierte Ohren vernehmen beim gleichmäßigen Wechsel von
betonten und unbetonten Tönen in einem Viervierteltakt einen Wohlklang, die
Viererschemata sind für den Aufbau von Melodien und Strophen eines Popsongs
essenziell.
Louis Rastig, künstlerischer Leiter des A l’arme! Festivals, verbindet mit
der vierten Ausgabe eine Art Einkehr bei elementaren Wegmarken von
KünstlerInnen, deren Projekte in einem von Katastrophen überschatteten Jahr
zu sinnlicher Versenkung und Lust an Entgrenzung einladen.
„Viele Programmpunkte sind von einer kontemplativen Grundstimmung geprägt“,
erzählt Rastig im Gespräch. „Die melancholisch anmutenden Klänge fand ich
passend zur Zahl Vier. Andere Konzerte werden aber auch kraftvoll und
explosiv.“ Während das A l’arme! Festival 2015 KünstlerInnen aus 17 Länd…
versammelte, werden in diesem Jahr vornehmlich musikalische Strömungen aus
Europa zu hören sein.
Nicht der produktive Lärm, der sich im Namen des Festivals manifestiert,
steht dieses Mal im Fokus, sondern das unbedingte Verfechten der Freiheit
mit den Waffen der Kunst, die ebenfalls im Festivalnamen aufblitzen.
„Die Musik jeder und jedes Einzelnen als Waffe für die Freiheit zu
begreifen bleibt in einer Welt der Digitalisierung und des Überangebots ein
Leitfaden. Der Waffengang von A l’arme! steht daher nach wie vor im
kategorischen Imperativ“, erklärt Rastig mit hörbarem Schmunzeln.
Wer die höchst beachtliche Entwicklung des Festivals über Genregrenzen
hinweg in den letzten Jahren verfolgt hat, ist nicht mehr versucht, es mit
dem Etikett Free Jazz zu versehen. „Es geht eher darum, diesen
Platzhirschen Free Jazz bei den Hörnern zu packen und den Begriff zu
entschlacken. Denn gerade die Diversität zeichnet das Festival aus.“ Die
weitsichtige Programmplanung mit dem untrüglichen Gespür für zwingende
Performances ist einmalig in Deutschland und ein Glück für Berlin.
Rastig ist für 2016 bewusst ein Wagnis eingegangen: „Ich persönlich hatte
mich bislang nicht so häufig mit SängerInnen befasst. Aber das
Spannungsverhältnis zwischen inneren Vorgängen und gemeinsamen äußeren
Räumen beschäftigt mich intensiv. Beim Singen tritt die Körperlichkeit eben
radikal zutage. Deshalb ist es eine Herausforderung, nun das vielschichtige
und facettenreiche Wesen zeitgenössischen Gesangs zu präsentieren.“
Die Stimmen der kanadischen Geigerin [1][Sarah Neufeld] und der irischen
Musikerin Clodagh Simonds mit ihrer Band [2][Fovea Hex] läuten das Festival
prominent ein und aus. Zur Eröffnung am 27. Juli im Berghain wird Neufeld,
die Bandmitglied von Arcade Fire ist, ihre repetitiven Geigen-Patterns, die
ohnehin hohes Suchtpotenzial verströmen, mit der eigenen Stimme umwehen und
kontrastieren.
Am gleichen Abend beschwören Daniel O’Sullivan, Mitglied u. a. von Sunn
O))) und Ulver, und François Testory im Projekt [3][Laniakea] mit
atmosphärischen Gesangspassagen zu Streicherklängen und dem Bass von
Massimo Pupillo das einstige Reich des Künstlers und Verbündeten der Band
Coil, Ian Johnstone.
Die Spoken-Word-Performance des französischen Sound-Poeten Anne-James
Chaton verwebt sich in Transfer am zweiten Abend im Radialsystem mit Andy
Moors Gitarre und den Visuals der iranischen Filmemacherin Bani Khoshnoudi,
die eskapistische Trompete von Roy Paci und eine Rhythm Section schlagen
Haken durch das audiovisuelle Geflecht.
Der Auftritt der Sängerin [4][Sofia Jernberg] im schwedischen Quintett
[5][Seval] des Chicagoer Cellisten Fred Lonberg-Holm zählt zu den
Höhepunkten des Festivals, unmittelbar danach singen Ingrid Helene Håvik
und Kari Eskild Havenstrøm im Kreis der außergewöhnlichen MusikerInnen des
[6][Trondheim Jazz Orchestra].
Håvik begleitet sich dazu auf dem Harmonium, wie auch Clodagh Simonds, die
am 1. August mit ihren sehr individuellen WeggefährtInnen auf
Streichinstrumenten, Tasten, mit Electronics und Gesang ein zwangloses
Manifest zeitgenössischen Experimental Folk zelebriert.
Weitere Instrumente, in deren Konzertgenuss man sonst eher selten kommt,
sind die Pedal-Steel-Gitarre in Händen von Heather Leigh, die im Duo mit
Saxofon-Urschrei-Koryphäe Peter Brötzmann brilliert, gewaltige Luftmassen
bewegen der Dudelsackspieler Erwan Keravec und der Saxofonist [7][Mats
Gustafsson].
BerlinerInnen sollten sich das erste Gastspiel der Saxofonistin [8][Anna
Högberg] mit ihrem komplett weiblichen Sextett Attack! keinesfalls entgehen
lassen. Zum erhabenen Pflichtprogramm gehört auch The Great Hans Unstern
Swindle, in welchem Els Vandeweyer auf dem Vibrafon und Pauline Boeykens
auf dem Sousafon bewundert werden können.
Wie bei jeder vorherigen Ausgabe des Festivals werden sich für die
BesucherInnen auch diesmal von Tag zu Tag neue Querverbindungen zwischen
Spielpraktiken und sehr unterschiedlichen MusikerInnenpersönlichkeiten
auftun und einander ähnliche Ästhetiken mit überraschend konträren
musikalischen Ansätzen wohltuende Verwirrung stiften.
Dieser Text erschien im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
27 Jul 2016
## LINKS
[1] http://sarahneufeldmusic.com/
[2] https://foveahex.bandcamp.com/
[3] https://www.facebook.com/Laniakeaishome/timeline
[4] https://sofiajernbergsingercomposer.bandpage.com/
[5] https://www.facebook.com/Seval-119159904807715/
[6] http://www.trondheimjazzorchestra.no/
[7] /Free-Jazz-Saxofonist-Mats-Gustafsson/!5327331
[8] https://soundcloud.com/anna-h-gberg-attack
## AUTOREN
Franziska Buhre
## TAGS
Jazz
Musikfestival
Europa
Free Jazz
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