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# taz.de -- Wahl in Australien: Großparteien folgen der Kohlelobby
> Premier Malcolm Turnbull ist vor der Wahl weiter nach rechts gerückt. Er
> hat die Positionen des von ihm selbst gestürzten Vorgängers übernommen.
Bild: Setzt auf Kohle: Malcolm Turnbull
CANBERRA taz | Malcolm Turnbull ist verschnupft. Nur fiebersenkender
Hustensaft scheint Australiens Premierminister auf dem Stuhl zu halten, als
er sich im Fernsehsender ABC dem Publikum stellt. Doch die WählerInnen
haben mit dem 61-Jährigen kein Erbarmen. „Weshalb geben Sie reichen Firmen
Milliarden an Steuererleichterungen, während ich immer mehr für den Arzt
bezahlen muss?“, kritisiert eine Frau.
Umgerechnet 33,4 Milliarden Euro will Turnbull Unternehmen im Falle seiner
Wiederwahl schenken. Doch seine Erklärung, „weniger Steuern für Unternehmen
schaffen Arbeitsplätze und Wohlstand für alle“, kommt zumindest hier nicht
an.
Es sind vor allem wirtschaftliche Argumente, welche die AustralierInnen
überzeugen sollen, die seit 2013 regierende Koalition aus Liberalen und
Nationaler Partei wieder zu wählen. Das sei gerade nach dem
Brexit-Referendum der Briten entscheidend für einen guten
Konjunkturverlauf, so Turnbull.
Dank des Rohstoffbooms erlebte Australien ein Vierteljahrhundert
wirtschaftliches Wachstum und niedrige Arbeitslosigkeit. Doch als China vor
zwei Jahren begann, weniger Kohle und Eisenerz zu kaufen, machten Minen
dicht und Kumpel verloren den Job. Mit den Rohstoffpreisen brachen die
Steuereinnahmen ein, die zwei Jahrzehnte die Staatskassen gefüllt hatten.
## Der Kapitän in schwerer See
Nur ein „klar denkender Kapitän“ wie er könne das Schiff Australien durch
die schwere See führen, behauptet der frühere Investmentbanker, Staranwalt
und Multimillionär Turnbull.
Sein Widersacher, der 49-jährige ehemalige Gewerkschaftsführer Bill Shorten
von der sozialdemokratischen Labor-Partei, verspricht vor allem soziale
Sicherheit. Dem staatlichen Gesundheitssystem Medicare drohe unter Turnbull
die Privatisierung, warnt er. Auch die Ausblutung des öffentlichen
Schulsystems zugunsten privater und religiöser Institutionen werde mit den
Konservativen weitergehen.
Der Jurist Shorten schielte schon als Kind auf den Posten des Premiers.
Doch wirkt er hölzern. Turnbull dagegen macht in seinem 1-000-Euro-Anzug
selbst erkältet noch eine gute Figur.
Doch kann er nicht darüber hinwegtäuschen, dass er heute ein anderer Mensch
zu sein scheint als noch vor neun Monaten. Damals hatte er in einem
parteiinternen Machtkampf den unbeliebt gewordenen Premierminister Tony
Abbott gestürzt.
## Turnbull galt mal sozial fortschrittlich
Dessen Politik war so extrem konservativ geworden, dass er die
Regierungsmacht der Liberalen zu gefährden begann. Turnbull dagegen galt
als wirtschaftlich liberal und sozial fortschrittlich.
Doch der Enthusiasmus ist verflogen. Turnbull hat längst Abbotts Politik
adoptiert. Die von internationalen Organisationen als „inhuman“ kritisierte
Internierung von Asylsuchenden auf abgelegenen Pazifikinseln führt er
unbeirrt weiter – trotz Selbstverbrennungen und Suizidversuchen, sogar von
Kindern.
War er früher ein vehementer Verfechter des Klimaschutzes, steht Turnbull
heute hinter dem Ausbau der Kohleindustrie. Dass Berichten zufolge das
Barrier Riff wegen höherer Wassertemperaturen schon in wenigen Jahrzehnten
tot sein könnte, verdrängt er.
## Tony Abbotts langer Arm?
Kritiker sehen dahinter den langen Arm seines Vorgängers. Kommentatoren wie
die der unabhängige Nachrichten-Webseite AIM warnen, die alte Garde unter
Abbott könnte zurückkehren.
Doch jede Kritik an der Kohleindustrie, die pro Jahr bis zu 25 Milliarden
Euro Exporteinnahmen bringt, wäre politischer Suizid: Nur die Grünen, die
auch jetzt mit etwa 10 Prozent der Stimmen rechnen können, bringen das
Thema auf die Agenda.
Sie haben nichts zu verlieren: Australiens vom konservativen Amerikaner
Rupert Murdoch dominierte Medien beschimpfen sie ohnehin als „grüne Teufel“
und „Totengräber“ der Wirtschaft. Doch auch Shorten ist fast täglich Ziel
der Boulevard-Propaganda.
30 Jun 2016
## AUTOREN
Urs Wälterlin
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