# taz.de -- Australiens neuer Premier: Turnbulls Zeit ist gekommen | |
> Der Mulitmillionär hätte es gar nicht nötig, Politiker zu sein. Sein | |
> Problem: In seiner Partei ist er vielen viel zu liberal. | |
Bild: Malcolm Turnbull bei seiner Vereidigung als australischer Premierminister… | |
CANBERRA taz | Der 60-jährige Malcom Turnbull hat am Dienstag seinen | |
Amtseid als 29. Premierminister Australiens abgelegt. Er ist bereits der | |
vierte Regierungschef des Landes in etwas mehr als zwei Jahren. | |
Für einen Multimillionär ist Turnbull bemerkenswert bescheiden. Seit Jahren | |
trägt er am Handgelenk keine in seinen Kreisen übliche Rolex, sondern eine | |
einfache Uhr der Schweizerischen Bundesbahnen. „Ich mag das minimalistische | |
Zifferblatt“, hat er mir einmal gesagt. | |
Die Zeit ist gekommen für Malcolm Turnbull. Am Montag hatte er in einer | |
parteiinternen Revolte den bisherigen Premierminister Tony Abbott abgelöst. | |
Der hatte ihn 2009 von der Spitze der Liberalen Partei geputscht hatte, | |
weil er den Ultrakonservativen in der damaligen Opposition zu moderat | |
gewesen war, weil er sich für Klimaschutz einsetzte und für eine humanitäre | |
Lösung des Flüchtlingsproblems. | |
Der überzeugte Monarchist Abbott dagegen war ein Leugner des Klimawandels, | |
als Katholik strikt gegen Abtreibung und Homoehe und zugleich vom | |
Devisenbringer Kohle als billigem Energielieferanten überzeugt. Er schaffte | |
es auch später als Premier, mit einer perfekten Mischung aus Rassismus und | |
Angst vor einer Invasion durch Asylsuchende die Bevölkerung in Dauerpanik | |
zu versetzen. | |
## Zum Warten verdammt gewesen | |
Derweil wartete im Hintergrund Kommunikationsminister Turnbull. Warten und | |
Zuschauen ist dem leistungsbewussten Mann schwer gefallen – immer wieder | |
zeigte er verhalten seinen Unmut über die oft extreme Politik seines | |
Widersachers und Chefs. | |
Er wuchs in Sydney auf und besuchte dank Stipendien dort gute Schulen. | |
Später studierte er Politikwissenschaft und dann Jura im britischen Oxford. | |
Er machte Karriere als Journalist, dann als Rechtsanwalt. Immer brillierte | |
er. Sein Intellekt sei überragend, sagt jeder, er mit ihm zu tun hat. | |
Dann wurde Turnbull Investmentbanker. Er übernahm Goldman Sachs in | |
Australien, ein Jahr danach war er Partner. Sein größter Anlagecoup war | |
Ergebnis seiner Weitsicht, das Internet als ultimative | |
Kommunikationsplattform der Zukunft zu erkennen. 1999 verkaufte er seinen | |
fünf Jahre zuvor für 500.000 australische Dollar (315.143 Euro) erworbenen | |
Anteil am Internet-Anbieter OzEmail. Profit: 57 Millionen australische | |
Dollar. Heute wird sein Vermögen auf rund 200 Millionen australische Dollar | |
geschätzt. | |
## Macht ist ihm wichtiger als Geld | |
Turnbull ist ein Politiker, der es eigentlich gar nicht nötig hätte, | |
Politiker zu sein. Doch das Amt des Premierministers war ihm immer | |
wichtiger als finanzieller Erfolg. | |
Seinen ersten ernsthaften politischen Einfluss hatte Turnbull als | |
Umweltminister 2007 unter dem konservativen Premier John Howard. Er setzte | |
sich vehement für effektiven Klimaschutz ein. | |
Ein paar Jahre später, wieder in der Opposition, sah sich Turnbull dem Amt | |
des Premierministers nahe. Doch der konservative Flügel machte dem zu | |
liberalen Liberalen einen Strich durch die Rechnung. Herausforderer Abbott | |
gewann die Führung der damaligen Opposition mit einer Stimme Vorsprung. | |
Dann kam Abbotts Wahlsieg vor zwei Jahren. Turnbull setzte sich auf die | |
Wartebank. | |
Der neue Regierungschef ist mehr Unternehmer als Politiker. Die Probleme | |
der Welt sehe er nicht als solche, sondern vielmehr als Herausforderungen, | |
Chancen. Er stellte eine Neuorientierung der Wirtschaftspolitik in | |
Aussicht. | |
## Verhasst bei Ultrakonservativen | |
Wer aber eine Revolution erwartet, wird enttäuscht sein. Denn Turnbull | |
sieht sich heute mit demselben Problem konfrontiert wie damals: einem | |
dominanten ultrakonservativen Parteiflügel, der ihn hasst. Wenn er es nicht | |
schafft, diese klimaskeptischen, pro-Kohle, gegen Asylsuchende agierenden | |
Parlamentarier in einer gewissen Zeit auf seine Seite bekommen, ist die | |
nächste Rochade vorprogrammiert. | |
Turnbull wird pragmatisch agieren, sogar frühere Prinzipien kippen. Er wird | |
die im internationalen Vergleich minimalistische Klimapolitik Australiens | |
nicht abrupt über Bord werfen. Die unmenschliche Politik gegenüber | |
Asylsuchenden wird bestenfalls langsam gelockert. | |
Und die mächtige Kohleindustrie – der Hauptverursacher der rekordhohen | |
Klimagasemissionen Australiens – wird vorerst ruhig schlafen können. Eine | |
radikale Abkehr von dieser zerstörerischen, aber lukrativen Industrie | |
zugunsten sauberer Energieformen ist kein primäres Thema für Turnbull. Bis | |
die Zeit kommt. | |
15 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
## TAGS | |
Malcolm Turnbull | |
Australien | |
Australien | |
Australien | |
Australien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wahl in Australien: Großparteien folgen der Kohlelobby | |
Premier Malcolm Turnbull ist vor der Wahl weiter nach rechts gerückt. Er | |
hat die Positionen des von ihm selbst gestürzten Vorgängers übernommen. | |
Australiens konservative Regierungspartei: Malcolm Turnbull stürzt Tony Abbott | |
Der erzkonservative Abbott verliert das Vertrauen der Liberalen Partei. Das | |
Amt des Regierungschefs geht an den moderaten Malcolm Turnbull. | |
Australiens Premierminister: Alle gegen Abbott | |
Die Liberal Party steckt in einem internen Machtkampf. Premier Tony Abbott | |
kämpft um sein Amt, seine Kritiker werfen ihm eine schwache | |
Wirtschaftspolitik vor. |