# taz.de -- Ausstellung in Hamburg: Die Toilette als Lebensuhr | |
> Dixiklos in ihre Einzelteile zerlegt: Andreas Slominskis Alltagsskulptur | |
> „Das Ü des Türhüters“ ist in den Deichtorhallen Hamburg zu sehen. | |
Bild: Toilettenkabinen stehen Spalier | |
Für einen zeitgenössischen Künstler die Hamburger Deichtorhalle zu | |
bespielen ist eine fast nicht zu meisternde Herausforderung. Im Rahmen | |
einer Retrospektive – vielleicht. Aber mit einer einzigen Werkgruppe? Eine | |
riesige, helle Halle mit der soliden Autorität der Eisenarchitektur, | |
ungefähr viermal so groß wie ein großer Kunstverein? | |
Was Andreas Slominski daraus gemacht hat, verblüfft und verwirrt, obwohl es | |
zunächst einfach aussieht: ein Parcours von Toilettencontainern, die | |
aneinandergereiht sind wie Badehäuschen an englischen Stränden. Ein | |
repetitives Interieur mit einigen pfiffigen Varianten, das innerhalb der | |
Halle eine Innenarchitektur und ein Kojensystem darstellt. | |
Darin verbergen sich große, mittelgroße und kleine Arbeiten, die das | |
Grundmotiv variieren – so würde es Alfred Lichtwark gesagt haben. Schon als | |
junger Künstler hatte Slominski eine gewisse strukturelle Kälte in seinem | |
Zugriff. Dass es darin doch etwas Emotionales gibt, erscheint eher als | |
Sekundärgewinn. Die unmittelbar vorangegangene Gruppe beschäftigte sich mit | |
Särgen, die Slominski zu wüsten Metaphern zurechtgesägt hatte. Seine | |
künstlerische Disposition und Absicht ist dabei nicht ganz leicht zu | |
fassen, weil das nagelneue Material denken lässt, er komme aus der | |
Tradition des Readymade. Viel wichtiger ist aber dessen Verwandlung. Die | |
Materialflut der Hamburger Ausstellung verdeckt etwas die Signatur; man | |
denkt, das sei Konzept. Dahinter aber steht ein Bildhauer von böser | |
Eleganz. | |
Im Kern der Sache findet sich eine verquere Analogie, nämlich die | |
Ähnlichkeit der Toilettenbrille mit der Palette des Malers. Dazu gibt es an | |
der Stirnseite der Halle einige imposante Monochromien. Es sind geprägte | |
Plastikreliefs, von Nieten zusammengehalten, die Slominski in Serie als | |
„Moderne Kunst“ betitelt hat. Die Innenseite der Toilettentür ist | |
verwandelt in ein Stillleben, in dem das lange Sitzen mit der Grübelei vor | |
der Leinwand emblematisch kombiniert wird. Eine Erklärung findet sich | |
möglicherweise in Peter Handkes „Versuch über den Stillen Ort“. | |
Im labyrinthhaften Rundgang findet man die merkwürdigsten Exponate, zum | |
Beispiel „Die Milchkanne meiner Kindheit“ (wirklich so ein Ding aus Blech). | |
Oder eine sehr schlichte Blume des Bösen, die letztlich nur aus einer | |
Mineralwasserflasche und einem Preisschild mit Stiel besteht („1 €“). | |
Kleine Ermahnungen, bitte über den Kloschüsselrand hinausgucken. | |
Die Plastiktoilette selbst, abgeleitet von einer wohldurchdachten Keramik, | |
bleibt übrigens eine Rarität dieser Ausstellung, denn die Häuschen bestehen | |
fast sämtlich nur aus dem Container als solchem, in frischen | |
Elementarfarben, ohne jede Aufschrift – erweitertes Lego. Umso | |
erstaunlicher die wenigen Deutungen der kompletten Toilette als zu enges | |
Gehäuse. Erstes Beispiel: Ein weißes Häuschen, in der Horizontale | |
schwebend, ist von innen komplett schwarz. Nein, nicht ganz, der Deckel und | |
die Brille sind wiederum weiß (also moderne Kunst). Allerdings muss man | |
sich fast auf den Boden legen, um das widerspenstige Artefakt von innen zu | |
betrachten. Betitelt ist es „Die Nacht“. | |
## Vorklapp und Nachklapp | |
Eine Traumtoilette allemal, Grusel-Grusel. Zweites Beispiel: Ein schwarzes | |
Häuschen mit roter Tür hoch oben an der weißen Wand. Es dreht sich als | |
Minutenuhr, wobei die Tür sich auf 0’35 öffnet und auf 0’05 wieder | |
schließt, Klobrille und Deckel versetzt als Nachklapp oder Vorklapp. Das | |
Rums und Tack-tack ist der Soundtrack der gesamten Installation: Percussion | |
in Slow Motion. Die Toilette als Albtraumluftschiff und Lebensuhr: Wer | |
jetzt nicht beeindruckt ist, hat Vorurteile. | |
Damit ist das metaphorische Register noch lange nicht erschöpft. In einer | |
entlegenen Nische wurden unauffällig aalglatte Behälter an die Wand | |
gebracht, die an die New Yorker Übersättigungskunst der späten Achtziger | |
erinnern: Ashley Bickerton und Jeff Koons. Bei Andreas Slominski heißt die | |
Gruppe „Gurgel“ und repräsentiert den sonst komplett ausgesparten Unterbau | |
der Toiletten, hier mit Schläuchen und Messinganschlüssen. Ein Hauch von | |
Technischem Hilfswerk. Am selben Tag im noblen Stadtteil Harvestehude: Da | |
steht so eine Miettoilette auf dem Gehweg. Ein Schild daran: „Achtung! | |
Häuschen wurde heute Nacht wieder umgeworfen.“ Was dort fehlte, war „Das Ü | |
des Türhüters“. So, mit Kafka’schem Zwinkern, heißt Slominskis Arbeit, d… | |
in der Deichtorhalle zu sehen ist. | |
Natürlich darf man als steuerzahlender Mutbürger fragen, wovon das Ganze | |
denn nun handelt. Begonnen mit dem Frühwerk, die gefalteten und gestapelten | |
Staubtücher im MMK Frankfurt: Handeln sie vom Entstauben? Die lange | |
Frühphase mit den Tierfallen: Slominskis Tierschutzphase? Seine Rumpfsärge, | |
gedreht, halbiert und gestapelt: Ein mutiger Beitrag zur Sepulkralkultur? | |
Und nun dies! | |
## Fröhliche Demontage | |
Mehr als 40 Jahre sind Bildhauer und Skulpturschaffende in den Stadtraum | |
gezogen, um ihn zu kommentieren oder zu verschönern oder beides. Die | |
Kunstvereinsschau ist unterdessen ein soziologisch geprägtes Curriculum | |
geworden. Da kommt ein Andreas Slominski gewiss quer, und ist – aber nur im | |
Vergleich – gar nicht mehr so leicht zu verstehen. Die fröhliche Demontage | |
von industriellen Standards erscheint schon fast frivol. Dass es sich um | |
Kunstparaphrasen handelt, ist umso verwirrender. | |
Slominski steht zurzeit einsam zwischen sarkastischem Formalismus und | |
Gesellschaftscartoon. Und doch, das sitzt so gut wie der Besucher auf dem | |
Dixiklo. Glücklich, aber – objektiv gesehen – überhaupt nicht allein. | |
17 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Ulf Erdmann Ziegler | |
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Deichtorhallen Hamburg | |
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