Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kriminalroman „Schwarze Seelen“: Männer, die Ziegen hüten
> Gioacchino Criaco erzählt vom Machismo und von der Armut der Berge, die
> zum organisierten Verbrechen führen. Helfen kann nur der Feminismus.
Bild: Männer und Ziegen sind manchmal eine ungesunde Mischung
Es ist eine durch und durch archaische Welt, in die uns der italienische
Autor und gelernte Rechtsanwalt Gioacchino Criaco in seinem ersten Roman
entführt. In den Bergen des Aspromonte, in der äußersten Stiefelspitze
Italiens gelegen, leben Menschen, die die größten Härten des Lebens gewohnt
sind. Männerfreundschaften gelten hier mehr als alles andere, Frauen
existieren in einer Prinzessinnen- und einer Prostituiertenvariante,
jedenfalls als bloße Randfiguren.
Wichtiger noch sind die Ziegen, denn das Ziegenhüten, seit jeher die
Bestimmung der männlichen Bergbewohner, konstituiert einen wichtigen Teil
ihrer Identität. Manche verdienen sich noch etwas hinzu mit dem Hüten
sogenannter Schweine, die in Wirklichkeit Menschen sind, Entführungsopfer
also, die in einsamen Berghütten gehalten werden, bis jemand bereit ist,
Lösegeld für sie zu zahlen.
In dieser Welt voller Armut und Kriminalität und vor einer grandiosen,
urtümlichen Bergkulisse wachsen der namenlos bleibende Ich-Erzähler und
seine Freunde Luigi und Luciano heran. Von ihren Vätern durch das Hüten der
„Schweine“ in die Segnungen unrecht erworbenen Geldes eingeführt, machen
die drei sich noch als Schüler selbstständig und begehen Raubüberfälle. Als
Studenten in Mailand schließlich steigen sie in den Drogenhandel ein …
Durch die Ich-Perspektive des Romans wird die klaustrophobische Atmosphäre
der in sich geschlossenen Welt, die Criaco beschreibt, noch verstärkt.
Selbst in Mailand scheinen die Protagonisten ihre kalabrische Bergwelt
allein im geografischen Sinn verlassen zu haben, nicht aber mental. Ihre
einzigen engen Bezugspersonen sind nach wie vor sie selbst, abgesehen von
einem arabischstämmigen Freund, der so sprachbegabt ist, dass er bald
akzentfrei den Dialekt des Aspromonte spricht. Mit dem Erwachsensein
gehören derweil nicht mehr nur Raubüberfälle, Entführungen und Drogenhandel
ins Repertoire der Freunde, sondern auch hin und wieder ein Auftragsmord.
Der radikal lakonische Gestus, mit dem auch diese extremen Taten wie
nebenbei dahererzählt werden, ist hauptsächlich dafür verantwortlich, dass
Criacos Roman das Label noir angeheftet wurde. Letztlich aber ist diese
Erzählhaltung wohl vor allem als Versuch des Autors zu werten, die
kriminelle Karriere eines Menschen zu begreifen, der ihm selbst nahesteht:
Gioacchino Criacos Bruder Pietro gehörte zu den meistgesuchten Kriminellen
Italiens, bevor er inhaftiert wurde.
## Nur Feminismus hilft
Tatsächlich erscheint die Laufbahn der Protagonisten beinahe zwangsläufig,
die Entstehung des organisierten Verbrechens in der bitteren Armut vieler
süditalienischer Landstriche gut begründet. Das Aufgehobensein in der
Machogemeinschaft, die Unverbrüchlichkeit der Männerfreundschaften sind
starke Anker im Leben dieser jungen Männer, die im Grunde ihres Herzens
immer jene Ziegenhirten geblieben sind, als die sie von Alters her bestimmt
waren. (Und auch beim Schlachten einer Ziege wird es schließlich blutig.)
Es war vermutlich nicht seine Absicht, diese geschlossene
Männergesellschaft zu verklären; doch gleichsam nebenbei tut Criaco genau
das. Es ist nicht schwer, seine Protagonisten zu verstehen; es sind ja ganz
einfache junge Männer. Wenn das Bild, das Criaco zeichnet, auch nur
annähernd stimmt, so kann vermutlich nur eins dem organisierten Verbrechen
in Italien ein Ende bereiten: ein nachhaltiges Erstarken des Feminismus.
So oder so ist „Schwarze Seelen“ eine eindrucksvoll düstere Innenschau
einer archaisch organisierten Parallelgesellschaft. Auch verfilmt wurde
Criacos Roman bereits. „Anime nere“ von Franceso Munzi lief 2014 auf dem
Filmfestival von Venedig. Als der Film in Italien auf Sky gezeigt werden
sollte, versuchten die Bürgermeister mehrerer kalabrischer Gemeinden, seine
Ausstrahlung zu verhindern.
6 Jun 2016
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Mafia
Italien
Männlichkeit
Machismo
Mafia
Mafia
## ARTIKEL ZUM THEMA
Politiker über die italienische Mafia: „Das Spektakel muss aufhören“
Francesco Forgione über korrupte italienische Eliten, Kampagnen gegen die
Anti-Mafia-Bewegung und die Nachwehen des Berlusconismus.
Buch über römische Mafia: Besser als Keynes
Neofaschisten, Berlusconi und Kommissar Zufall: In De Cataldos und Boninis
Krimi „Suburra“ läuft die Mafia zur Hochform auf.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.