| # taz.de -- Zum Tod Margot Honeckers: Niemand war so verhasst | |
| > Margot Honecker, Politikerin und Frau des letzten DDR-Chefs Erich | |
| > Honecker, ist im Alter von 89 Jahren in Santiago de Chile gestorben. Ein | |
| > Nachruf. | |
| Bild: Margot und Erich Honecker tanzen 1976 im Palast der Republik | |
| Unter den Opfern der DDR wird Freitagnacht eine Art mehr oder weniger | |
| stille Zufriedenheit eingekehrt sein: Margot Honecker, die prominenteste | |
| der noch lebenden DDR-Politiker*innen, ist in ihrer Exilheimat Santiago de | |
| Chile an den Folgen eines Krebsleidens gestorben. Sie war in den Augen der | |
| von ihr Gepeinigten ein politisches Scheusal, hart wie ein mit Holz | |
| überzogenes Wesen aus Stahl und, wenn dieser christlich grundierte Ausdruck | |
| nicht fehl am Platze wäre, unbarmherzig in einer Weise, die selbst für | |
| realsozialistische Verhältnisse bis in den Kader der SED hinein als | |
| ungewöhnlich empfunden wurde. Mit der Aversion, die sich Margot Honecker | |
| zuzog, konnte es nur noch ihr Parteigenosse Erich Mielke, Boss der | |
| Staatssicherheit, aufnehmen. | |
| Die in Halle an der Saale 1927 als Margot Feist zur Welt gekommene Frau | |
| wuchs in einer semiproletarischen Familie auf – Mitglieder der KPD und | |
| zugleich unzugänglich für reformerische Politiken wie die der SPD. Margot | |
| Feist war zeitlebens das, was Michael Rohrwasser in den siebziger Jahren | |
| als kulturellen Kern der proletarisch gesinnten Handlung deutscher | |
| Kommunisten umriss: „Saubere Mädel, starke Genossen“. | |
| Die Frau als Genossin: aufrecht, kämpferisch, aber sauber – der Mann als | |
| Genosse: stark, hart, kriegerisch. Er der Krieger, sie die | |
| Krankenschwester, die sich auf die Wiederherstellung der im Klassenkampf | |
| verwundeten verstand. Margot Feist, die während bis zum Ende des Krieges | |
| zwar Mitglied im nationalsozialistischen Bund Deutscher Mädel war, aber aus | |
| ihrer Familie kommunistische Arbeit im Untergrund – unter anderem als | |
| Kurierin – leistete, glaubte an die DDR wie an einen religiösen Staat: Jede | |
| Häresie wünschte sie hart bestraft, jeder Dissident galt ihr als Verräter | |
| und Schwächling. Ihren Mann Erich lernte sie in der Parteiarbeit früh | |
| kennen – als sie eine Tochter, Sonja, mit ihm bekam, musste dieser sich | |
| scheiden lassen: Die Partei duldete keine illegitimen | |
| Patchworkverhältnisse. | |
| Margot Honecker zog den Hass ihrer Gesellschaft aus naheliegenden Gründen | |
| auf sich. Als DDR-Bildungsministerin führte sie in den Siebzigern | |
| Wehrkundeunterricht in den Schulen ein. Als für die sogenannten Werkhöfe | |
| zuständige Politikerin war sie unzugänglich für Kritik an diesen | |
| kerkerhaften Einrichtungen, die der Brechung von straffällig gewordenen | |
| Jugendlichen diente. Klagen nach der Wende 1990 tat sie als „Einzelfälle“ | |
| ab. Und in puncto Wehrkunde fand sie die Einwände gegen das Training von | |
| Handgranatenwürfen irrig: Das sei eine gute Sache für den Fall der | |
| Landesverteidigung. | |
| ## Die Partei, die Partei, … | |
| Andererseits, in gewisser Weise zurecht, war Margot Honecker vielen in der | |
| DDR, vor allem in den Jahren danach, eine Heldin, eine Überlebende, die | |
| Haltung zu zeigen wusste. In einem Filmportrait Erich Fiedlers sagte sie | |
| aus dem chilenischen Exil heraus, der Sozialismus habe verteidigt werden | |
| müssen – und dafür, so musste sie verstanden werden, waren auch drakonische | |
| Mittel nötig. Honecker wich nie auch nur ein Gran von der zuletzt nur noch | |
| imaginierten Parteilinie ab: Die Partei, die Partei, die hat immer recht. | |
| Was sie nicht davon abhielt, nebenbei, sich gewisser Privilegien zu | |
| bedienen, die ihr als Spitzenfrau des DDR-Systems gewiss zustanden: | |
| heimliche Ausflüge zum Shopping nach Paris, exklusive Möglichkeiten zum | |
| Einkauf von qualitativ besserer Westware, das Leben in – ästhetisch zwar | |
| fragwürdigen – Siedlungen (Wandlitz) jenseits verrottender Viertel etwa in | |
| Ostberlin. | |
| Diese Politikerin, die Tausende von Schüler*innen zu fürchten hatten und | |
| dies auch taten, empfand die Erosion der DDR nicht als letztes Wort in | |
| Sachen Sozialismus. Der Keim werde eines Tages gewiss wieder aufgehen, | |
| hoffte sie gewiss bis zum Schluss. Orthodoxe Realsozialisten, die es in | |
| vielen Ländern noch gibt, trauern um eine Frau, die den Aufbau des | |
| Sozialismus als Krieg in jeder Hinsicht verstand – gegen den Kapitalismus, | |
| erwiesenermaßen auch gegen das eigene Volk: Sie verkörperte auch das, was | |
| man als proletarische Ministeriendiva deuten konnte. Eine Deutsche, die | |
| nicht das Gute wollte, sondern das Richtige. Das war in der DDR sehr vielen | |
| Menschen ein Grund, sich vor ihr sehr konkret zu fürchten. | |
| 7 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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