# taz.de -- Werders Klassenerhalt: Bastion gegen alles Böse | |
> Werder Bremen bleibt in der Ersten Fußball-Bundesliga – und das ist gut | |
> so, nicht nur für den Norden. Eine Hommage. | |
Bild: Bremens Katharsis: Nach dem Klassenerhalt stürmen Fans im Bremer Osterto… | |
BERLIN taz | Wir hielten uns fest an den Händen, der Kollege | |
Feuilleton-Redakteur und ich. Beide Bremer, beide im Berliner Exil. Vor uns | |
warf in einer Kreuzberger Kneipe der Beamer ein Spielfeld mit harten | |
Kontrasten auf die Leinwand. Der Strafraum in der Totalen so dunkel, dass | |
man fast nichts sah, der Rest des Spielfelds gleißend hell: letzter | |
Spieltag der Bundesliga, Abstiegskampf. | |
Von rechts nach links spielte Werder immer wieder bis in die Dunkelheit | |
hinein. „Welle nach Welle kamen sie“, würde später der Frankfurter Trainer | |
Kovac sagen. Welle nach Welle auf ein Tor. In der 88. Minute geschah es | |
dann (mal wieder): ein Wunder im Bremer Weserstadion. Denn Wunder passieren | |
hier oft, bestimmt öfter als in Lourdes. Claudio Pizarro verlängert einen | |
Freistoß mit dem Kopf, Anthony Ujah schnibbelt den Ball Richtung Tor, Papy | |
Djilobodji haut ihn rein. Der Klassenerhalt. | |
In solch einem kathartischen Moment hat Fußball etwas Erlösendes. Als | |
aufgeklärter Mitteleuropäer will man das meist nicht wahrhaben. Ist ja nur | |
ein Spiel, geht ja um nichts. Jedes Jahr wieder genau das Gleiche. Aber | |
mehr im Moment und im Einklang mit dem Universum sein als in dieser 88. | |
Minute, das geht halt nicht, das ist unmöglich, das war wunderschön. | |
Für seinen Verein wird man geboren, man kann ihn sich nicht aussuchen. Oder | |
man leidet. So wie mein Freund Malte, der damals Mitte der 2000er nach | |
Dortmunds erster Meistersaison auf gelb-schwarz umschwenkte und dafür | |
sicher in der Hölle landen wird. Es gibt Vereine für die Schickeria, für | |
Opportunisten, für Prolls, Volkswagen und entlassene Bergarbeiter. Aber es | |
gibt nur ein Werder Bremen. Ein Verein für Romantiker, die an den puren | |
Fußball glauben, die nicht pfeifen, wenn die Mannschaft mal (wieder) | |
verliert, sondern sie zu Tausenden, Stunden vor dem letzten Spiel der | |
Saison, begrüßt, als wäre man gerade Weltmeister geworden. Ein Verein wider | |
die Verbrecher der Fifa und des DFB, die Businesslounge- und | |
Schönwetterfans, das viel zu viele Geld im Fußball, die Söldner, Poser und | |
Schnacker aus dem Pay-TV. Die letzte aufrechte Bastion gegen alles Böse in | |
der Welt eigentlich. | |
Werder ist eine Mannschaft, die über die Jahre Spieler wie den | |
Balletttänzer Johan Micoud, den Türsteher Dieter Eilts oder den dicken | |
Kugelblitz Ailton auf den Platz schickte. Dessen prophetische Worte kann | |
man nicht vergessen: „Das Ailton ist gekommen, hat Tor gemacht, alles wird | |
gut“ – und es wurde gut. Bis er zu satt war und zu „scheiß Schalke“ | |
wechselte. Aber das ist längst vergeben. | |
Ich war vielleicht gerade 10 Jahre alt, als der legendäre Wynton Rufer in | |
Bremerhaven eine kurzlebige Mode-Boutique gleich gegenüber dem Café | |
National eröffnete und Autogramme gab. Das war, als käme Jesus persönlich | |
vorbei. Eine feine Boutique in Bremerhaven war Anfang der 1990er natürlich | |
eine dumme Idee. Was egal war, denn wenig später schoss Rufer Werder zum | |
Sieg im Finale des Pokal-der-Pokalsieger-Cups gegen Monaco in Lissabon. Ein | |
Wettbewerb, den es gar nicht mehr gibt, aber der der schönste von allen | |
war. | |
Dann in der Champions League das unglaubliche 5:3 gegen Anderlecht nach | |
einem 0:3 zur Halbzeit. Nach jedem Werder-Tor weinten mein Vater und ich | |
vor Glück, während mein bester Freund Giuseppe im Wohnzimmer fassungslos | |
neben uns saß. Waren zu diesen Emotionen doch eigentlich nur Italiener | |
fähig! | |
Zum Viertelfinale der Champions League sollte es für Werder nie reichen. | |
Aber wir hatten halt diese prägenden Momente, die das eigene Leben takten: | |
das 3:1 in München, das 2004 die Meisterschaft besiegelte, gesehen in einer | |
versifften Kneipe namens Kralli. Das Pokalfinale 2009 gegen Leverkusen, in | |
dem der großartige Diego dem noch jungen galaktischen Özil das | |
entscheidende 1:0 auflegte. | |
Hinter dieser Vorstellung vom ehrlichen aber trotzdem atemberaubenden | |
Fußball konnte man sich versammeln, verbünden, verbrüdern. Auch ohne | |
Dauerkarte. Werder war für mich immer eine Art Idee, die auf die Politik | |
und das Soziale übertragen, die beste aller möglichen Lebenswelten bedeuten | |
könnte. Klar ist das übertrieben, klar ist das bescheuert. Aber eine | |
Mannschaft, in der sich hohe Kunst, englische Tugenden und eine flache | |
Hierarchie so lange erfolgreich behaupten konnten, die gibt es eben nur | |
einmal. Sie gleicht einer Utopie. Jetzt bleibt sie erstklassig und das ist | |
gut so. | |
Als das Spiel gegen Frankfurt aus war, setzen wir uns raus in die Sonne. Es | |
war ein schöner Tag, der Kopf war jetzt frei. Wir tranken ein Beck’s, | |
vergaben der Mannschaft für ein hartes Jahr und spekulierten schon auf | |
Großes. Nächstes Jahr? Europapokal. Na klar! | |
17 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Ruben Donsbach | |
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