Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- TV-Experiment Fußballgucken: Der tägliche Wahnsinn am Mikrofon
> Unser Autor hat sich eine Woche lang der Fußballdauerberieselung
> ausgesetzt. Fazit: Man kann auch mal aus dem Haus gehen am Freitagabend.
Bild: Stadionlaune auf der Couch
## Mittwoch. Atlético Madrid – FC Bayern München, 1:0
Atlético heißt jetzt Atléti. Das kann man bei der Übertragung des
Halbfinalhinspiels in der Champions League lernen. Der Reporter sagt es
immer wieder. Wahrscheinlich muss man wissen, warum man jetzt Atléti sagt.
Doch darüber denkt niemand für mich nach. Béla Réthy nicht und schon gar
nicht der Experte Oliver Kahn. Dafür beginnt die Woche des Nachdenkens über
die Hinterlassenschaft von Pep Guardiola nach drei Jahren Tätigkeit beim FC
Bayern. Kann einer ein guter Trainer sein, der Thomas Müller nicht
aufstellt gegen diese harte Truppe? Und Ribéry spielt auch nicht. Und nach
dem 1:0 für Atléti setzt das große Warten auf das Auswärtstor ein. Kann das
bitte mal einer nachzählen, wie oft das Wort Auswärtstor in dieser Woche
gefallen ist? Das Wort Balkanroute hatte seine Zeit, die Panama Papers
hatten fast zwei Wochen und Böhmermann sowieso noch viel mehr. Hinter uns
liegt die Woche des Auswärtstors. Dass die Null stehen geblieben ist bei
den Bayern, wirkt wie eine Staatsaffäre. War noch was wichtig in Madrid?
Eine Autobahn verläuft direkt unter den Tribünen des Atléti-Stadions
Vicente Calderón.
## Donnerstag. Villarreal CF – FC Liverpool, 1:0
Jürgen, Jürgen über alles. Aber auch seiner Mannschaft gelingt kein
Auswärtstor, und das Heimtor fällt in diesem Europa-League-Halbfinale so
spät, dass Tränen des Mitgefühls für Jürgen Klopp aus dem Fernseher laufen.
Wo doch der Ivorer so gut gespielt hat. Und auch der Waliser nicht schlecht
war, der jetzt auf der Position dieses deutschen Nationalspielers spielt
und ihn vielleicht aus der Mannschaft verdrängt. Ivorer und Waliser sind
die Lieblingsherkunftsbezeichnungen jedes Sportreporters. Das hat der
Ivorer clever gelöst. Früher hat immer der Leimener Tennis gespielt, wenn
man den Fernseher eingeschaltet hat, heute spielen Ivorer und Waliser
Fußball. Neben Auswärtstor ist „emotional“ das Wort dieses Spiels. Das hat
mit dem Viertelfinale zu tun und dem emotionalen Schlusspunkt eines ohnehin
emotional aufgeladenen Spiels, in dem der Dortmunder Extrainer gegen seine
Exmannschaft anzutreten hatte. Und jetzt geht es wieder gegen eine
Mannschaft in Gelb, lernt man vom Reporter. Und in der ganzen Stadt hängen
gelbe Fetzen aus den Fenstern. Wenn die Fans zu Beginn des Spiels das Lied
der Beatles „Yellow Submarine“ anstimmen, weil sich der Verein auch „Gelb…
U-Boot“ nennt, dann ist das natürlich eine hoch emotionale Angelegenheit.
Schließlich kommen die Gäste aus der Stadt, aus der die Beatles kommen,
auch wenn sie eigentlich Waliser oder Ivorer sind.
## Freitag. FC St. Pauli – TSV 1860 München, 0:2
Champions League kann man immer schauen. Da sagt niemand was. Europa League
kann man auch noch gut begründen – bei deutscher Beteiligung und ab dem
Halbfinale auch ohne Bundesligaverlierer. Bei der 2. Liga ist das schon
schwieriger. Mit wie vielen anderen Menschen sitzt man eigentlich vor der
Kiste bei so einem Spiel? Wie viele Plätze wohl frei blieben, wenn man die
alle in die Fröttmaninger Versicherungsarena setzen würde? Es geht um den
Bierofka-Effekt. 60 gewinnt, und es ist plötzlich vorstellbar, dass der
Klub doch nicht absteigt. Im Stile einer Spitzenmannschaft. Hat der das
wirklich grade gesagt? Ein gutes Zweitligaspiel. Das hat er ganz sicher
gesagt. Ob er recht hat, kann nur beurteilen, wer sich öfter in den
Zweitligaübertragungen bei Sky tummelt. Ob man das wirklich tun sollte?
Manches würde einem vielleicht nicht auffallen, wenn man es nicht 90
Minuten vorgeführt bekäme. „Think Blue“ steht auf den Trikots der Münchn…
und ihr neuer Trainer heißt Bierofka. Es geht lustig zu im Unterhaus.
Danach meldet sich Fritz von Thurn und Taxis aus dem Erstligastadion in
Augsburg. Er moderiert das Spiel gegen Köln so an, als würde da um den
WM-Titel gekickt. Der Wahnsinn am Mikrofon und Grund genug zum Ausschalten.
Man kann ja auch mal aus dem Haus gehen am Freitagabend.
## Samstag. Eintracht Braunschweig – 1. FC Nürnberg, 3:1
Das Spiel gibt lange keine Antwort auf die Frage, ob der Klub ein Depp ist
oder nicht. Nürnberg spielt ganz gut und verliert trotzdem hochverdient mit
1:3. Eigentlich schon ziemlich deppert. Wieder soll es sich um ein gutes
Zweitligaspiel handeln, und man will sich gar nicht ausmalen, wie wohl ein
schlechtes aussieht. Es ist noch früh am Nachmittag, vielleicht noch zu
früh, um sich ein solches Spiel schönzutrinken. Der Braunschweiger Trainer
hat taktisch immer etwas auf Lager, sagt der Reporter, und dass der Spieler
Jan Hochscheidt, dessen Trikot schon in der ersten Minute durchgeschwitzt
ist, früher kein Innenverteidiger war. Vielleicht doch ein Bier?
## Samstag. FC Bayern München – Mönchengladbach, 1:1
Schön, dass es Andreas Ottl noch gibt. Bei Sky freut man sich, den
ehemaligen Ergänzungsspieler der Bayern als Spielfeldrandexperten
präsentieren zu können. Er glaubt, dass Bayern in diesem Jahr auf jeden
Fall die Meisterschaft gewinnen wird. Dass er mit dieser Meinung nicht ganz
alleine dasteht, wird er wissen. Ottl? Da war doch was. Genau, der ist doch
mal von der Polizei abgeholt worden, weil er seine Freundin angegriffen
hatte, woraufhin er im Suff die Beamten beschimpft hat. Quatsch, das war
Christian L., der bis vor Kurzen beim TSV Weyarn in der Kreisklasse
gespielt hat und jetzt Yachten vermietet. Auf dem Spielfeld passiert nicht
viel, sodass man ein wenig durch das eigene Fußballhirn spazieren kann, um
nachzusehen, was sich da so alles findet. Irgendwann ist Bayern Meister.
Und dann wieder nicht, weil Gladbach ein Auswärtstor schießt. Halt!
Auswärtstore gibt es nur bei K.O.-Paarungen mit Hin- und Rückspiel. Nein,
es ist wirklich nicht viel los auf dem Platz. Trotzdem ist wieder viel vom
Auswärtstor die Rede. Herr Fuß von Sky spricht vom Sandwichspiel inmitten
des Champions-League-Halbfinales. Vielleicht sind Sandwichspiele ja nie
gut. Dann hätten man vielleicht nicht eingeschaltet und wüsste nicht, dass
man mit Magenta-Tarifen dem Roaming die Rote Karte zeigen kann.
## Sonntag. FC Bayern München – Bayer Leverkusen, 5:0
Bayern wird doch noch Meister an diesem Wochenende. Die Frauen schlagen
Leverkusen mit 5:0 und freuen sich. Und der Reporter des Livestreams vom
Bayerischen Rundfunk kündigt an, dass man sich das nicht entgehen lassen
wolle. Normalerweise seien die Zuschauer gewohnt, dass die Übertragung mit
dem Schlusspfiff ende, sagt er. Aha. Die Feier ist ganz nett. Ein paar
Männer schreien von der Tribüne: „Ihr werdet nie Deutscher Meister!“ Sie
meinen wahrscheinlich Leverkusen. Andere klatschen einfach und singen. Ein
rot-weißes Transparent hängt einsam in der Ostkurve. „Euer Hass ist unser
Stolz“, steht darauf. An wen sich das wohl richtet? Eine Frau, die
interviewt wird, sagt, dass es im nächsten Jahr dann endlich auch im
Europapokal besser laufen soll. Auswärtstore wären in jedem Fall hilfreich.
## Montag. Werder Bremen – VfB Stuttgart, 6:2
Ein Erstligaspiel am Montag. Vielleicht besser als ein Zweitligaspiel, auch
wenn Bremen und Stuttgart vielleicht bald Zweitligisten sind. Ist man an
der weiteren Zerstückelung des Spieltags in der Bundesliga schuld, wenn man
sich das Spiel anschaut? 6:2. Tolle Bremer, unterirdische Stuttgarter. Wie
wäre das Spiel wohl verlaufen, wenn es an einem stinknormalen
Samstagnachmittag stattgefunden hätte? Die Partie wird jedenfalls schon mal
so präsentiert, als wäre sie Werbung für den Montagsfußball.
## Dienstag. FC Bayern München – Atlético Madrid, 2:1
Atléti heißt heute wieder Altético – wenigtens auf Sky. Sebastian Hellmann
ist wie immer gut informiert: „Bayern will ins Finale, Atlético aber auch.“
Das macht es natürlich besonders schwer. Für beide wahrscheinlich. Ein
lustiger Holländer will Taktikspaß vermitteln, und am Mikrofon im Stadion
ist wieder der Herr Fuß. Er sieht den Bayern sofort an, dass sie wirklich
gewinnen wollen. Sebastian Hellmann schien also recht zu haben. Vielleicht
liegt es ja doch an der Qualität des Spiels, wenn man nicht so sehr auf die
Bandenwerbung achtet. Bei so einem Spiel will man sich ja nun wirklich
nicht mit Gazprom beschäftigen. Die Elfmeter entscheiden das Spiel nicht,
sondern das Auswärtstor. Gut, dass wir uns eine Woche lang intensiv mit
diesem Phänomen beschäftigt haben. Am Ende diskutieren weise Fußballmänner
an einem kreisrunden, weißen Tisch, der so aussieht wie man sich einen
Miniaturteilchenbeschleuniger vorstellen könnte. Wenn sie Durst haben,
dürfen sie an einem Glas Wasser nippen. Selbst militante Nichtraucher, die
sich überreden haben lassen, das Spiel in einer überfüllten Raucherkneipe
anzuschauen, dürften beim Anblick dieses aseptischen Fußballreinraums
glücklich über jede Nikotinwolke sein, die ihnen in die Nase weht. Das hat
der Fußball überhaupt nicht verdient. Und dieses Spiel schon gar nicht.
Wie geht es eigentlich in der Ligapause weiter? Bis zur Europameisterschaft
und danach? Ein paar Testspiele wird es geben. Auf Eurosport wird
regelmäßig die Major League Soccer aus den USA übertragen. Und am 5. August
fängt dann die 2. Liga auch schon wieder an. Das ist zu schaffen.
7 May 2016
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Fußball
Fußball-Bundesliga
Champions League
Fußball-WM
Fußballweltmeisterschaft
Eintracht Braunschweig
Champions League
FC Bayern München
Deutscher Meister
Europa League
Pep Guardiola
Leicester City
Fußball-Bundesliga
## ARTIKEL ZUM THEMA
Theaterstück in Braunschweig: Inszenierte Eintracht
Das Staatstheater Braunschweig bringt Fans der Eintracht auf die Bühne.
Laiendarsteller sprechen von goldenen Zeiten – und von Rassismus.
Champions-League-Playoffs: Gladbach will golden glänzen
Borussia Mönchengladbach geht am Mittwoch als Favorit ins Rückspiel der
Champions-League-Playoffs gegen Bern. Der Klub hat sich klug verstärkt.
Der letzte Auftritt von Marcel Reif: Auch guter Rotwein hält nicht ewig
Lange war Marcel Reif der einzige Feuilletonist unter den
Fußball-Kommentatoren. Nun hat er sein letztes Spiel absolviert. Das ist
okay so.
Bayern München will noch mehr Geld: Gute Freunde kann was trennen
Der Bayerische Rundfunk hat die Double-Feier des FC Bayern München nicht
live übertragen. Was ist da los im Freistaat?
Fußball-Bundesliga am Samstag: Die Bayern sind durch
Für viele Vereine heißt es aber: weiter zittern. Die Entscheidungen über
den zweiten Direkt-Absteiger und die Relegation fallen erst beim Finale.
Europa-League-Halbfinale: Schreie in der Kabine
Der FC Liverpool erreicht durch ein 3:0 gegen Villarreal das Finale – und
trifft dort auf den FC Sevilla. Englische Medien feiern Jürgen Klopp.
Kolumne Pressschlag: Mittelfeld für Guardiola
Pep Guardiolas versöhnlicher Abgang steht beim Duell gegen Atlético auf dem
Spiel. Die Fans werden ihm nicht nachtrauern.
Leicester City ist englischer Meister: Das Märchen der Füchse
Der Papst tritt einem Protestantenklub bei? Das Ungeheuer von Loch Ness
wird entdeckt? Beides schien denkbarer als Leicesters Titelgewinn.
Montagsspiel der Fußball-Bundesliga: Sieben Punkte für Werder
Im sogenannten 6-Punkte-Spiel schlägt Bremen den VfB Stuttgart mit 6:2 und
tut damit was für die Tordifferenz. Das könnte im Abstiegskampf
entscheidend sein.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.