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# taz.de -- Bürgermeisterwahl in London: Busfahrersohn vs. Elite-Uni-Absolvent
> Am Donnerstag wählt London einen neuen Bürgermeister. Nach acht Jahren
> Tories könnte wieder ein Labour-Mann gewinnen.
Bild: Sadiq Khan (Labour, r.) und Zac Goldsmith (Tory)
London taz | Auf der Haupteinkaufsstraße des Westlondoner Stadtteils
Hammersmith ist die Stimmung eindeutig: „Ich wähle Sadiq“, sagt zum
Beispiel der 40-jährige Douglas Frank. Nur der setze sich für sichere
Wohnungen und Arbeit ein. Und der 51-jährige Altenpfleger Thomas Butler
bekräftigt: „Die Konservativen haben den Sozialwohnbau, in dem ich lebe,
verkauft, also wird meine Stimme nicht an die Tories gehen. Sadiq Khan
kommt aus einer Arbeiterfamilie, er ist ein Mensch wie ich!“
Am Donnerstag entscheiden die Londoner, wer ihr nächster Bürgermeister
wird. Nach acht Jahren Tory-Herrschaft könnte mit Khan wieder ein
Labour-Politiker die „Global City“ regieren. Bei den Buchmachern stehen die
Chancen 1 zu 12 für einen Sieg Khans. Er wäre nach Rotterdams OB Ahmed
Aboutaleb erst der zweite Muslim an der Spitze einer westeuropäischen
Großstadt.
Seit Wochen klopft Khan fast täglich an Haustüren und buhlt auf
öffentlichen Veranstaltungen um die Gunst der Stimmberechtigten. In einer
Mehrzweckhalle auf dem ehemaligen Olympiagelände in Ostlondon findet der
Höhepunkt des Wahlkampfs statt: 6.000 Zuschauer, so viel wie nirgendwo
sonst, sind zugegen, als Khan auf seinen stärksten Konkurrenten, den
konservativen Kandidaten Zac Goldsmith, trifft.
Der Werdegang der beiden Duellanten könnte unterschiedlicher nicht sein.
Der 45-jährige Khan ist Sohn eines aus Pakistan stammenden Busfahrers. Er
ging auf die öffentliche Schule, studierte Jura und wurde
Menschenrechtsanwalt. Zac Goldsmith, einen guten Kopf größer als Khan,
kommt aus einer Millionärsfamilie mit englisch-aristokratischen und
jüdisch-deutschen Wurzeln. Er genoss dieselbe Eliteausbildung wie die
Spitzen seiner Partei. Lange war er Herausgeber des Umweltmagazins The
Ecologist.
## Es wird ein Zweikampf
Die Veranstaltung auf dem Olympiagelände wird von London Citizens
ausgerichtet, einer Dachorganisation zivilgesellschaftlicher Akteure,
darunter vor allem religiöse Gemeinden. Außer Khan und Goldsmith bewerben
sich noch eine Grüne, eine Liberaldemokratin, ein Ukip-Mann sowie der
Sozialist George Galloway um das Amt des Stadtoberhaupts. Da die Umfragen
sie alle weit hinter den Kandidaten der beiden großen Parteien sehen, hat
man sie gar nicht erst hierher eingeladen.
In der Halle geht eher ein Theaterspektakel als ein Wahlkampf vonstatten.
Die Masse feiert sich selbst als Beweis für Londons Diversität: Mehr als
die Hälfte der Stadtbewohner bezeichnet sich selbst als „nichtweiße
Briten“, 37 Prozent der Londoner sind im Ausland geboren. Über den
Geländern der Tribünen hängen albanische und kolumbianische Fahnen, zu
sehen sind Verschleierungen in allen Nuancen. Der Chor einer schwarzen
Kirchengemeinde singt „We Shall Overcome“.
Die London-Citizens-Mitglieder haben seit Sommer 2015 in einem aufwändigen
Beteiligungsprozess eine Wahlagenda erarbeitet, auf die nun beide
Kandidaten eingeschworen werden sollen. Es geht um existenzsichernde Löhne,
gute Jobchancen für Berufsanfänger und ein Bleiberecht für Tausende junger
Immigranten.
Alle Themen werden szenisch dargestellt, und die beiden Kandidaten sind von
der strengen Choreografie dazu verdammt, knappe Stellungnahmen abzugeben.
Inhaltlich gleichen sie sich, doch weicht Goldsmith vom Tory-Kurs ab, indem
er etwa die Aufnahme von mehr syrischen Flüchtlingen fordert. So bleibt er
Parteirebell, einer, der sonst mit Umweltschutzanliegen die Konservativen
nervt. Und als Brexit-Befürworter macht er Cameron Sorgen, auch wenn er
damit derzeit im Tory-Mainstream schwimmt.
## Wohnungen für die Ärmeren
Das überragende Thema des Abends ist die Wohnungskrise. Die
Immobilienpreise und Mieten sind in London so hoch wie fast nirgendwo sonst
auf der Welt, während der Bestand an Sozialwohnungen seit Jahrzehnten
schrumpft. Die Zahl der Mieter auf dem freien Markt wächst, ohne dass diese
irgendeinen Schutz genießen. In die Halle ziehen symbolisch Pflegepersonal
und Feuerwehrleute ein. Lebensnotwendig für London, können sie sich das
Wohnen in der Stadt nicht mehr leisten.
Der 15-jährige Dylan Wiggan spricht auf der Bühne für diejenigen, die unter
der Krise leiden. „Seit meinem achten Lebensjahr musste ich schon fünf Mal
umziehen, weil meinen Eltern gekündigt wurde.“ Die Wohnungen, die gerade
gebaut würden, so Dylan, seien nicht für Leute wie ihn gedacht, und seine
Freunde lebten in Blocks, die zum Abriss vorgesehen seien.
Im Gegensatz zu Amtsinhaber Boris Johnson und auch zu dessen Vorgänger, dem
Labour-Mann Ken Livingstone, sind weder Goldsmith noch Khan charismatische
Redner. In der Wohnungsfrage aber nutzt Khan seine Chance, auf der Bühne
Volksnähe zu demonstrieren. Wie schon so oft im Wahlkampf betont er, wie
stolz er sei, in einer Sozialwohnung aufgewachsen zu sein. Und setzt sich
deutlich von seinem Rivalen ab.
Zwar wollen beide die Planungsverfahren transparenter machen, 50.000
Wohnungen jährlich bauen, dafür so viel kommunales Land wie möglich
erschließen und zuerst die Londoner in den Genuss der neuen Wohnungen
kommen lassen. Doch anders als Goldsmith will Khan die Forderung von London
Citizens erfüllen, dass 50 Prozent davon unter die Kategorie
„erschwinglicher Wohnraum“ fallen sollen, der nicht mehr als ein Drittel
des Einkommens kosten dürfe. „Hand in Hand, Schulter an Schulter –
gemeinsam können wir die Wohnungskrise lösen“, wendet er sich pathetisch
ans Publikum.
Dabei ist auch Khans Programm höchstens eine Modifizierung der erfolglosen
Strategie der bisherigen Bürgermeister, mit privaten Bauherren um
Zugeständnisse zu ringen. Und wie teuer „erschwinglicher Wohnraum“ sein
darf, wird noch immer auf nationaler Ebene definiert. Nach Ansicht der
Regierung darf er 80 Prozent des Marktwerts kosten. Für Londons
Feuerwehrleute und Krankenschwestern unbezahlbar.
## „Besser das Übel, das man schon kennt“
Goldsmith lächelt gequält bei den Versprechungen Khans. Die
50-Prozent-Quote für erschwinglichen Wohnraum im Neubau sieht er als Bremse
für eine erhöhte Bautätigkeit. Ausgerechnet Robert, der Vater von Dylan,
der sich abseits der Bühne stolz über den Auftritt seines Sohnes zeigt,
will ihm trotzdem seine Stimme geben. Goldsmith habe nichts versprochen,
von dem er wisse, dass er es nicht halten könne. „Wo soll das Geld
herkommen für Khans Pläne? Also: besser das Übel, das man schon kennt“.
Goldsmiths Berater stammen aus dem Team des Wahlkampfstrategen Lynton
Crosby, der David Cameron zum Überraschungssieg bei der vergangenen
Unterhauswahl verhalf. Ihren Schützling wiesen sie an, die aristokratische
Höflichkeit abzulegen. Im März erhielten Londoner mit Hindu-Namen ein
Anschreiben von den Tories, in dem diese davor warnen, dass Khan sie zu
„Laborratten“ für Labours Jeremy-Corbyn-Experiment mache. Und tamilischen
Haushalten sandte die Partei Post, in welcher die Steuerpolitik von Labour
als Gefahr für den „Familienschmuck“ beschrieben wurde. Persönlich warf
Goldsmith Khan mehrmals vor, er hätte schon öfter das Podium mit
Extremisten wie etwa dem radikalen Prediger und angeblichen
IS-Sympathisanten Suleiman Gani geteilt.
Khans Parteifreunde unterstellen Goldsmith und den Tories, eine islamophobe
Kampagne zu führen. Der Labour-Kandidat, dessen Unterstützung der Homo-Ehe
ihm schon eine Fatwa durch einen Imam eingebracht hat, kontert, dass er als
Menschenrechtsanwalt und Politiker öfter mal mit Leuten auftrete, mit denen
er nicht übereinstimme. Und Suleiman Gani verlautbarte, dass er gar kein
Isis-Freund sei. Vor der Unterhauswahl habe er vielmehr auf Anfrage
Wahlkampf für die Konservativen gemacht, erklärte er und twitterte ein
Foto, dass ihn mit Goldsmith zeigt.
## Lieber Mr Nice Guy
Die Attacken der Tories zielen nicht zuletzt auch auf Labour-Führer Jeremy
Corbyn ab. Ihm würde ein Sieg Khans innerparteilich Luft verschaffen. Doch
genauso wenig, wie Goldsmith ein Mann Camerons ist, ist Khan ein Corbynist,
auch wenn er dem Vertreter des linken Flügels vergangenes Jahr die
Kandidatur zur Parteispitze ermöglicht hatte. Im Wahlkampf traten sie nur
zweimal gemeinsam auf. Aktuell wirft Khan seinem Parteichef vor, nicht
entschieden genug gegen Exbürgermeister Livingstone und dessen jüngste
Auslassungen über Hitlers Sympathien für den Zionismus vorzugehen.
Öffentlich sorgt er sich, dass jüdische Wähler deswegen zögern könnten, ihr
Kreuz hinter seinen Namen zu setzen.
Bei der Veranstaltung von London Citizens in der Halle auf dem
Olympiagelände haben spalterische Worte allerdings keinen Platz.
Muslimische und jüdische Geistliche sprechen simultan ein Gebet. Und Zac
Goldsmith tritt als der Mr Nice Guy auf, der er trotz der ihm von seinen
Wahlstrategen verschriebenen Aggressivität offensichtlich auch lieber ist.
Am Ende scheint es, als sei er gar erleichtert darüber, in der Inszenierung
des Abends nur die zweite Hauptrolle gespielt zu haben. Nach der
Veranstaltung wollen zahlreiche Besucher jeglicher Hautfarbe und Religion
ein Selfie mit Sadiq Khan ergattern. Der Tory-Kandidat hat da den Saal
schon längst wieder verlassen.
4 May 2016
## AUTOREN
Oliver Pohlisch
Daniel Zylbersztajn
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