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# taz.de -- Ein Jahr nach dem Tod von Freddie Gray: Die Heilung von Baltimore
> Freddie Gray ist zum Symbol für Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA
> geworden. Ein Jahr nach seinem Tod buhlt die Polizei um Vertrauen.
Bild: „Nicht alle Cops wollen uns tot sehen“: Der Polizist Ken Hurst verste…
Baltimore ap | Ein Jahr ist es her, dass sich der Afroamerikaner Freddie
Gray bei einer Festnahme in Baltimore so schwere Verletzungen zugezogen
hat, [1][dass er eine Woche später starb]. Es folgten Monate der Proteste,
der Wut und der Vorwürfe der Gewalt von Polizeibeamten gegen Schwarze. Die
Polizei der US-Großstadt im Staat Maryland versucht seitdem, das fehlende
Vertrauen in der Bevölkerung wieder zu gewinnen.
Wie das funktionieren soll, ist unter anderem in einem Freizeitzentrum im
Süden der Stadt zu sehen. Sportschuhe quietschen dort über Parkettboden,
das Prellen von Basketbällen ist zu hören. Junge Schwarze in kurzen Hosen
und mit ordentlich Schweiß auf der Stirn werfen Körbe. Am Spielfeldrand
sitzt Ken Hurst, ein weißer Polizist. Hätte er nicht ein kaputtes Knie,
würde er mitspielen.
Hurst kommt jede Woche zu den Spielen in dem Zentrum – nicht, um jemanden
festzunehmen, sondern um Freundschaften zu schließen. „Ich muss dafür
sorgen, dass sie begreifen, dass ich nicht hier bin, um irgendjemanden
einzusperren“, sagt der Beamte. „Ich bin hier, um wieder Vertrauen
aufzubauen.“
Selten in der Geschichte Baltimores ist ebendieses Vertrauen so angeknackst
gewesen. Der Grund ist und bleibt der Tod des Freddie Gray. Der 25-Jährige
aus West Baltimore zog sich nach einer Festnahme am 12. April 2015 in einem
Polizeitransporter schwere Rückenmarksverletzungen zu. Am 19. April 2015
starb er. Proteste brachen aus. Lange schwelende Spannungen zwischen der
Polizei und den Einwohnern brach sich in den schlimmsten Unruhen seit mehr
als 40 Jahren Bahn.
## Polizeichef entlassen
In Baltimore und weit darüber hinaus wurde Grays Name zum geflügelten Wort
für Polizeigewalt gegen Schwarze, ebenso wie zuvor der Fall des
afroamerikanischen Teenagers Michael Brown, der im August 2014 in Ferguson
getötet wurde. In Grays Heimatstadt wurde sein Name auch zum Symbol für die
Versäumnisse der eigenen Behörden. Es folgten nächtliche Ausgangssperren,
der Aufzug der Nationalgarde, Ermittlungen des US-Justizministeriums, die
Entlassung von Polizeichef Anthony Batts. Einige fanden, es sei sicherer,
vor Polizeibeamten zu flüchten, als mit ihnen zu sprechen.
Das alles kann eine Stadt immens spalten. Nach Batts' Entlassung setzte
dessen Nachfolger und bisheriger Stellvertreter Kevin Davis auf
Wiedergutmachung. Viele sind weiter skeptisch, ob das klappt. Andere
sprechen bereits von kleinen Fortschritten.
Beamte werden nun explizit im Umgang mit der Bevölkerung geschult. Davis
hat nach eigenen Angaben damit begonnen, Polizisten wöchentlich für gute
Leistungen zu ehren, wenn sie echte Bindungen zu den Menschen in Baltimore
aufgebaut anstatt von ihren Handschellen Gebrauch gemacht haben.
„So weit sind wir in diesem Jahr bislang gekommen“, sagt der Polizeichef.
„Wir können nicht länger einfach nur eine arme Minderheiten-Nachbarschaft
besetzen und 300 Leute in der Hoffnung stoppen, zehn böse Kerle zu
erwischen.“ Bei Einstellungen werde nach Personen gesucht, die sich als
Diener der Bevölkerung verstünden und nicht „Leute, die zu viele
Räuber-und-Gendarm-Fernsehshows gesehen haben“, wie er sagt.
## Einer der Guten
Eine andere Initiative ist die, die Hurst zu den Basketballspielen gebracht
hat. Sie zielt darauf ab, mehr Polizisten aus ihren Streifenwagen heraus
und auf die Straße zu bekommen. Sie sollen auch mal zu Fuß durch die
kriminellsten Nachbarschaften der Stadt laufen.
In einem dieser Viertel ist der 22-jährige Afroamerikaner Howard Hood
großgeworden. Jeden Dienstagabend sieht er den Beamten mit dem
unbeschwerten Lächeln und den blauen Augen in dem Freizeitzentrum. Hood
sagt: „Nicht alle Cops wollen uns tot oder im Gefängnis sehen. Wir brauchen
mehr Polizisten, die rausgehen und sich dabei wohlfühlen, um uns herum zu
sein.“
Auf dem Weg ins Zentrum kommt Hurst im Viertel Irvington an billigen
Restaurants und Alkoholläden vorbei. An einer Bushaltestelle hängt eine
Gruppe junger Männer ab, die Hurst behutsam, aber mit Nachdruck bittet, den
kleinen Unterstand zu verlassen.
Während der Polizist den Block entlangspaziert, hält mitten auf der Straße
ein Auto an. Ein junger Mann streckt seinen Kopf aus dem Beifahrerfenster.
„Was geht, Hurst?“, ruft er. Zwischen seinen lächelnden Lippen blitzen
goldverzierte Zähne. In einem Handyladen sagt später ein 45-Jähriger in
einem Rollstuhl: „Hurst braucht hier keine Waffe und kein Abzeichen. Er ist
einer der Guten.“
Das sind interessante Worte, führt man sich vor Augen, dass 2015 das
gewalttätigste Jahr in der Geschichte von Baltimore gewesen ist. Im
Distrikt von Hurst kam es zu 51 Morden – nur im westlichen Bezirk, in dem
Gray festgenommen wurde, waren es mehr.
## „Null Toleranz“ ist vorbei
Das Misstrauen der Gemeinde gegen die Polizisten in Baltimore gibt es
allerdings schon seit Jahrzehnten. Marylands Ex-Gouverneur Martin O'Malley,
von 1999 bis 2006 Bürgermeister von Baltimore und zuletzt
Präsidentschaftsbewerber der Demokraten, führte im Kampf gegen Kriminelle
eine „Null-Toleranz“-Strategie ein, die spontanes Anhalten und Durchsuchen
sowie hartes Vorgehen wegen kleinerer Straftaten wie öffentlicher
Trunkenheit förderte. 2005 wurden mehr als 100.000 Menschen festgenommen –
ein gutes Sechstel der städtischen Bevölkerung. Die meisten davon waren
Afroamerikaner.
Diese Tage sind laut Polizeiangaben vorbei. Beamte wie Hurst tragen dazu
bei. Die 58 Jahre alte Gemeindechefin von Irvington, Dorothy Cunningham,
sagt, der Polizist habe in dem Viertel dafür gesorgt, dass sich die Leute
sicherer fühlten. „Vielleicht hat die Polizei aus den Unruhen im Frühjahr
gelernt“, sagt sie.
Aber nicht alle Cops können sich in ihren Gebieten so gut unter die Leute
mischen wie Hurst. Jordan Distance zum Beispiel. Der schwarze Polizist sagt
bei der Patrouille durch einen Teil am anderen Ende der Stadt, viele
Einwohner seien nach wie vor misstrauisch und ängstlich gegenüber der
Polizei. In seinem Revier wurden am Vortag fünf Menschen angeschossen,
einer davon starb. Ein Verdächtiger wurde noch nicht ermittelt. Niemand
sage ihm, ob er etwas gesehen habe, erzählt Distance.
„Es gibt diese Trennung zwischen uns und der Bevölkerung“, sagt er. „Ich
weiß nicht, ob sie Angst haben oder es etwas anderes ist.“
12 Apr 2016
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## AUTOREN
Juliet Linderman
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