| # taz.de -- Afroitaliener entdecken ihre Geschichte: Die Enkel Giulia de Medicis | |
| > Es ist ein mühsamer Prozess voller Hindernisse: Afroitaliener sind dabei, | |
| > ihre spezifische Geschichte zu entdecken und zu erzählen. | |
| Bild: Die Macher von Asmarina: Medhin Paolos (l.) und Alan Maglio | |
| „Schau mal da: Da ist Angela Davis, Medhin!“ Medhin Paolos, Mailänder | |
| Filmemacher eritreischer Herkunft, braucht ein paar Sekunden, um zu | |
| verstehen, dass das jetzt gerade wirklich passiert: Die schon fast | |
| sagenumwobene US-Afrofeministin ist nicht nur in Rom, im Viertel | |
| Garbatella, sondern sie ist in diesen Märztagen extra hierhergekommen, um | |
| Paolos Film zu sehen: „Asmarina“, eine Dokumentation über die eritreische | |
| Gemeinde in Mailand. | |
| Für Medhin und sein Team ist es ein bisschen so, als schlösse sich Angela | |
| Davis in diesem Moment dem Kampf der afroitalienischen Community an und | |
| fordere sie gleichzeitig auf, endlich sichtbarer zu werden. In der Tat ist | |
| „Asmarina“ wie ein Mosaikstein in der anstehenden Rekonstruktion der | |
| Geschichte der Afroitaliener, speziell der eritreisch-äthiopischen | |
| Gemeinschaft, die seit Jahrzehnten in Italien präsent ist und über die doch | |
| kaum gesprochen wird. | |
| Der Titel bezieht sich auf einen Kolonialschlager aus den 1930er Jahren, in | |
| dem die eritreische Hauptstadt Asmara besungen wird. Was den Film vor allem | |
| auszeichnet, ist, dass er überhaupt einmal Protagonisten der | |
| afrikanisch-italienischen Geschichte sichtbar macht, mit all ihren | |
| Erinnerungen, ihren Bildern und Fotografien. | |
| Ebendies hat man in Italien über Jahrzehnte erfolgreich vermieden. Man | |
| spricht nicht gern über das, was im letzten Jahrhundert in Afrika geschehen | |
| ist, schon gar nicht über die Brutalitäten des faschistischen Regimes. | |
| Somalia, Eritrea, Libyen und Äthiopien waren Italiens „Platz an der Sonne“, | |
| den es um jeden noch so abscheulichen Preis zu erobern galt. | |
| ## Kriegsverbrecher wurden nie belangt | |
| Die Zivilbevölkerung wurde gnadenlos niedergemetzelt, gegen sie wurde | |
| entgegen Bestimmungen der Genfer Konvention Senfgas eingesetzt. Folter, | |
| Lynchmorde und Vergewaltigung gehörten zum rassistischen System, mit dem | |
| die Italiener ihre kolonialen Untertanen regierten. Dieses Apartheidsystem | |
| in Libyen und am Horn von Afrika haben die Italiener in Schlagern wie dem | |
| berühmt-berüchtigten „Facetta nera“ (Schwarzes Gesichtchen), in zahlreich… | |
| Filmen und Büchern gefeiert. | |
| Ein „Nürnberg“ hat es in Italien nach Kriegsende und dem Verlust der | |
| Kolonien nie gegeben: Kriegsverbrecher wie die Militärs und Politiker | |
| Rodolfo Graziani oder Pietro Badoglio wurden nie belangt. Der Rassismus der | |
| italienischen Gesellschaft wurde schön unter den Teppich gekehrt. Dass ein | |
| Entkolonialisierungprozess nie in Gang gekommen ist, zeigt sich in aller | |
| Deutlichkeit jetzt, da in Zeiten von Massenmigration und Multikulturalismus | |
| die alten faschistischen Stereotype die Einwanderer und ihre Kinder | |
| treffen; und es sind vor allem die Schwarzen, die darunter zu leiden haben. | |
| Es genügt da schon der Blick auf die TV-Produktion, wo schwarze Männer fast | |
| ausschließlich als Dealer oder Kriminelle besetzt werden und schwarze | |
| Frauen als private Altenpflegerinnen oder als Prostituierte. Vor allem in | |
| der Popkultur findet eine Hypersexualisierung des schwarzen Körpers statt. | |
| In Italien kennt jeder den Spot der Firma „Coloreria italiana“, in dem eine | |
| Italienerin ihren weißen, unansehnlichen Mann in die Waschmaschine stopft, | |
| um ihn dann nach dem Waschgang unter Rap-Begleitung als schwarzes | |
| Muskelpaket wieder herauszuziehen: Die unterversorgte Ehefrau, man sieht es | |
| ihr an, kann sich kaum halten vor Begierde auf den frisch gefärbten Lover. | |
| Solche Werbespots liefen gleichzeitig mit dem Erwachen der | |
| afroitalienischen Community in den 1990er Jahren. Zum Geburtsort wurde eine | |
| Endhaltestelle der römischen Nahverkehrsbetriebe: Piazza Mancini in der | |
| Nähe des Olympiastadions. Der Platz wurde zum Treffpunkt der jungen | |
| Afroitaliener, die vor allem von einem träumten: vom Amerika des Rap, der | |
| Black Panther und von Malcom X. Die jungen Leute stammten zumeist aus | |
| Labaro im römischen Norden, dem traditionellen Viertel der Eritreer, aber | |
| auch aus sogenannten besseren Gegenden. | |
| ## Kampf um Anerkennung als italienische Bürger | |
| Sie waren Kinder von privaten Altenpflegerinnen, die als Gastarbeiterinnen | |
| nach Italien gekommen waren, aber auch Diplomatenkids, die sich in ihren | |
| weißen Eliteschulen nicht wohlfühlten und hier einen Zugang suchten zu dem, | |
| was gerade angesagt war unter jungen Schwarzen. Nicht alle Anwohner | |
| verstanden das oder fanden es gut. | |
| Viele hielten diese schwarzen Jugendlichen schlicht für Kriminelle, auch | |
| wenn Drogen auf der Piazza Mancini nie eine große Rolle spielten. Aber die | |
| Jugendlichen machten wieder einmal die Erfahrung, dass sie in Italien | |
| letztlich rechtlos waren; und mit der gesamten zweiten | |
| Einwanderergeneration begannen sie in dieser Zeit den Kampf um Anerkennung | |
| als italienische Bürger wie andere auch. | |
| Der Weg zu einem modernen Staatsbürgerrecht ist lang und hart. Das Gesetz | |
| lag immer wieder auf Eis, vor allem weil die italienischen Parteien | |
| fürchten, die Zustimmung könnte ihnen an der Wahlurne schaden – gerade in | |
| Zeiten wie diesen, mit den Attentaten von Paris und Brüssel. Aber wenn das | |
| politische Italien auch herumeiert, die Gesellschaft ist so weit, zu sagen: | |
| „Italiener ist, wer hier geboren wird und hier aufwächst.“ | |
| Am 30. März dieses Jahres gab es eine Anhörung im italienischen Senat unter | |
| Beteiligung von Interessentengruppen wie dem Netzwerk „G2 – Die zweite | |
| Generation“; und es besteht Hoffnung, dass es nun endlich vorangeht. Die | |
| volle Gleichberechtigung der Kinder der Migranten hat starke Unterstützer | |
| gefunden, von der Bewegung „L’Italia sonoanch’io“ (Auch ich bin Italien) | |
| bis zur Parlamentspräsidentin Laura Boldrini und Exstaatspräsident Giorgio | |
| Napolitano. | |
| ## Eine neue Erzählung etablieren | |
| Die Afroitaliener haben im Kampf um die bürgerlichen Rechte dieselben | |
| Interessen wie die anderen Migranten, aber sie haben doch auch noch ein | |
| ganz eigenes Anliegen: gegen den Rassismus zu kämpfen, der sie auf | |
| spezielle Art trifft; und sie tun das, indem sie eine neue Erzählung zu | |
| etablieren suchen. Schriftsteller, Filmemacher und Künstler arbeiten daran, | |
| den Blick auf den speziellen und in der Tradition verankerten italienischen | |
| Rassismus zu lenken. | |
| Ein Veteran in diesem Kampf ist Jonis Bascir, 1960 geboren, Mutter aus | |
| Somalia, Vater Italiener. Er ist einer der produktivsten Schauspieler des | |
| italienischen Kinos. „Meine Identität ist Beige“, sagt Bascir. „Die | |
| Tatsache, dass sie das Produkt zweier Farben ist, Braun und Rosa-Gelb, hat | |
| bei mir das Gefühl verstärkt, dass ich einzigartig bin; und das ist ein | |
| Reichtum, den jedes Individuum für sich empfinden könne sollte.“ | |
| Das Wort „beige“ nimmt Bascir in seinem Theaterstück BEIGE –L’importan… | |
| essere diverso (Die Wichtigkeit, anders zu sein) auf, wo er mit viel Witz | |
| und Ironie all die Diskriminierungen und die Stereotype aufzeigt, die die | |
| italienische Identität so komplex machen. | |
| Ähnliches unternimmt Fred Kuwornu, Sohn einer italienischen, jüdischen | |
| Mutter und eines Chirurgen aus Ghana. Kuwornu ist viel unterwegs, vor allem | |
| in den USA, und sein Projekt „Blaxploitalian: 100 Years of Blackness in The | |
| Italian Cinema“ will die Geschichte der schwarzen Präsenz im italienischen | |
| Kino erzählen, etwas, was parallel auch auf der Website | |
| cinemafrodiscendente.com von Leonardo De Franceschi geschieht. | |
| ## Spezifisch afrikanische Geschichte | |
| Die Afroitaliener graben ihre Geschichte aus wie Archäologen – und es ist | |
| kein Zufall, dass sich dieses Revival gerade jetzt abspielt. Denn für viele | |
| ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, eine spezifisch afrikanische Geschichte | |
| aus dem hervorzuheben, was bisher nur als Geschichte Italiens zählte und | |
| erzählt werden durfte. | |
| Was kaum jemand in Italien weiß: Für diese Aufgabe haben die | |
| afroitalienischen Künstler eine Art Maskottchen, das über den neuen | |
| schwarzen Protagonismus wacht. Sein Name ist Giulia, Sprössling der | |
| weltberühmten Familie Medici. Ihr Vater Alessandrode’ Medici (1510–1537), | |
| genannt „Il Moro“ war der Sohn einer afrikanischen Sklavin. In einem | |
| Porträt Pontormos sieht man, wie die kleine Giulia die Hand ihrer | |
| Verwandten Maria Salviati hält, die sie nach der Ermordung ihres Vaters | |
| aufzog. | |
| Das Gemälde, das sich heute im Walters Art Museum von Baltimore befindet, | |
| ist die erste bekannte bildliche Darstellung eines afroitalienischen | |
| Kindes, wahrscheinlich die erste Darstellung eines Kindes mit afrikanischen | |
| Wurzeln in Europa überhaupt. Der Kampf der Afrikastämmigen hat also einen | |
| kleinen Schutzengel. Die Beatles würden sagen:„I’ve found a driver and | |
| that’s a start.“ | |
| Aus dem Italienischen von Ambros Waibel | |
| 9 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Igiaba Scego | |
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