# taz.de -- Zum Tod von Guido Westerwelle: Der Spieler | |
> Guido Westerwelle war ein Unterhalter, ein gewandter Oppositioneller und | |
> einer, der der Versuchung des Rechtspopulismus widerstand. | |
Bild: Machte lange vor Beppo Grillo aus dem Wahlkampf eine Kirmes: Guido Wester… | |
Als er mit 39 Jahren Chef der ehrwürdigen FDP wurde, rief er den Liberalen | |
zu: „Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt es einen, der die Sache | |
regelt – und das bin ich.“ Das war 2001 und das Credo von Guido Westerwelle | |
– viel ich, viel Show. | |
Er kurvte mit dem Guidomobil durch die Republik und pinselte sich „18“ | |
unter die Schuhsohlen, die er in Talkshows präsentierte. Mit dem Projekt | |
„18 Prozent“ wurde es nichts, die FDP bekam 2002 kaum acht Prozent. Aber | |
das war nicht so schlimm. Hauptsache Aufmerksamkeit. | |
Westerwelle hat die Grenze zwischen Pop und Politik, zwischen U und E, | |
durchlöchert. Natürlich war er der erste Parteipolitiker bei Raab, Harald | |
Schmidt, Big Brother. Lange vor Beppo Grillo machte er aus dem Wahlkampf | |
eine Art Kirmes. Das hatte etwas Unernstes, leicht Pubertäres, etwas von | |
einem Schülerstreich, mit dem die sauertöpfische Lehrerschaft geärgert | |
werden sollte. | |
Guido Westerwelle war der Mann, den die Linken zu hassen liebten. Er | |
vertrat das ichsüchtige Anti-Egalitäre, das sozial Kalte und | |
Rücksichtslose. Aber insgeheim gab es auch so etwas wie Neid bei den | |
Linken. Denn die Rolle des Provokateurs, des Himmelstürmers, der die | |
Deutschland AG aufzumischen schien (wenn auch mit anderem Ziel), die hatte | |
Westerwelle von den Linken geerbt, deren Aufbruchselan schon länger | |
versiegt war. | |
## Aufstieg in der Dotcom-Blase | |
Westerwelle war ein Spieler. Er stieg nicht zufällig in den Zeiten der | |
Dotcom-Blase auf, als an der Börse Jongleure unbedeutende Kleinstfirmen in | |
Hunderte Millionen schwere Unternehmen verzauberten, die sich in der Baisse | |
vollends in Staub auflösten. So ähnlich machte es Westerwelle mit der FDP, | |
der er 2009 den größten Erfolg ihrer Geschichte bescherte, auf den umgehend | |
2013 das größte Desaster ihrer Geschichte folgte. | |
Seine Paraderolle war die des wortgewandten Oppositionspolitikers, des | |
brillanten Konterparts des christsozialdemokratischen Konsens. Diese | |
Brillanz und der Gestus des einsamen Kämpfers für Freiheit und | |
Steuersenkungen, um die geknebelten Leistungsträger zu retten, waren es, | |
die auch seinen politischen Untergang beschleunigten. | |
Im Februar 2010 polemisierte er gegen die „spätrömische Dekadenz“ des | |
Sozialstaates. Da redete noch immer der Oppositionsführer – doch | |
Westerwelle war damals Außenminister, Repräsentant Deutschlands in der | |
Welt. Außenminister müssen nicht viel tun, um in Deutschland beliebt zu | |
sein. Westerwelle ruinierte seinen Amtsbonus so zielsicher, wie er die FDP | |
in eine neoliberale Kampftruppe umgebaut hatte. Er hätte von seinem | |
Förderer Hans Dietrich Genscher wissen müssen, dass Außenminister keine | |
großen Redner sein müssen, dass sie keine begabten Selbstdarsteller sein | |
sollten – und dass sie keine neoliberalen Ego-Shooter, die das eigene Volk | |
beschimpfen, sein dürfen. Denn so kam das damals an. | |
Es ist nicht ohne Ironie, dass einem gewieften Medienpolitiker wie ihm | |
dieser PR-GAU passierte. Eine doppelte Ironie ist es, dass er, vehementer | |
Gegner der etatistischen Linken, sich im Amt aufführte wie ein habitueller | |
Linker. Westerwelle konnte nicht von Oppositionspolemik auf Regierungsmodus | |
umschalten, auf das Moderate, Ausgleichende, Getragene. Er war ein | |
Schnelldenker, intelligent, aber nicht klug genug, um die Gefahr seiner | |
eigene Hybris zu erkennen. | |
Dieser Fauxpas war auch einer in der Defensive, unter Druck. Denn er hatte | |
mit der FDP vor 2009 der Klientel Steuergeschenken versprochen, die nicht | |
bezahlbar waren. Zu hoch gepokert, mal wieder. | |
## Solide Außenpolitik | |
Als Außenminister blieb er nach diesem Fehlstart ein Unterschätzter. Denn | |
die Außenpolitik von Schwarz-Gelb war nach dem Voluntarismus von Rot-Grün | |
solide gestrickt. Westerwelle zog aus dem Afghanistaneinsatz ganz | |
unideologisch die Konsequenz und wurde zum Antiinterventionisten. Als eine | |
mit Waffen und Moral hochgerüstete westliche Armada in Libyen das Gaddafi | |
Regime stürzte, blieb Deutschland mit Westerwelle skeptischer Zuschauer. | |
Die FDP hat Westerwelle auf das wirtschaftspolitische Gleis gesetzt, der | |
schwächelnde Bürgerrechtsflügel wurde unter ihm fast amputiert. In der | |
Grundfrage, ob die Liberalen, wie die in Österreich, es mal mit einem | |
rechtspopulistischen, europakritischen Kurs probieren sollten, war er | |
kristallklar – nicht mit ihm. | |
Vor vier Monaten veröffentlichte er ein Buch über den Kampf gegen die | |
Leukämie. Es war ein großer medialer Auftritt von einem, der im Rampenlicht | |
stehen wollte. Noch einmal. Der Spiegel schrieb im November 2015, dass | |
Guido Westerwelle den Krebs besiegt hätte. | |
Am Freitag ist er, 54 Jahre alt, gestorben. | |
18 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Guido Westerwelle | |
FDP | |
FDP | |
Guido Westerwelle | |
Hans-Dietrich Genscher | |
Guido Westerwelle | |
Guido Westerwelle | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Klaus Kinkel über Liberalismus und Tod: „Manche sind nicht ersetzbar“ | |
Drei sind 2016 gestorben: Genscher, Scheel, Westerwelle. Der vierte | |
Ex-FDP-Außenminister spricht über eine Welt, die aus den Fugen zu geraten | |
droht. | |
Trauerfeier für Guido Westerwelle: Letzter Abschied in Köln | |
Bei einem Gottesdienst haben viele Menschen des früheren Außenministers und | |
FDP-Politikers Guido Westerwelle gedacht. Er starb im März an Krebs. | |
Früherer deutscher Außenminister: Hans-Dietrich Genscher ist tot | |
18 Jahre lang war er Außenminister und trug maßgeblich zur deutschen | |
Einheit bei. Nun ist Hans-Dietrich Genscher im Alter von 89 Jahren | |
verstorben. | |
Nachruf auf Guido Westerwelle: Der verwundbare Neoliberale | |
Der ehemalige FDP-Chef war gelegentlich vorlaut und aufstiegsbewusst. Und | |
er wusste, wie man provoziert. Er machte eine überraschende Karriere. | |
Folge der Krebserkrankung: Guido Westerwelle gestorben | |
Der ehemalige Außenminister Guido Westerwelle ist tot. Der 54-Jährige starb | |
am Freitag an den Folgen seiner Leukämieerkrankung. |