# taz.de -- Polarkunst in Norddeutschland: Auftauende Bedeutungsebenen | |
> Mehrfach hat die Fotografin Nathalie Grenzhaeuser die Arktis bereist. In | |
> Delmenhorst und, demnächst, in Bremerhaven zeigt sie großformatige | |
> Arbeiten. | |
Bild: Die Hinterlassenschaft in Szene gesetzt: „Global Seed Vault“ (2011) | |
DELMENHORST taz | Nordpolarmeer. Ein Inselarchipel hält sich wacker über | |
Wasser, auf dem idyllisch Eisschollen treiben. Schneegeschmückte Gebirge | |
glitzern, Eisbären tapsen majestätisch durch die Permafrost-Prärie, um die | |
Ohren pfeift ein auf minus 25 Grad Celsius runtergekühlter Wind. Den | |
stürmischen Soundtrack bereichert der Polarfuchs noch mit seinem mit | |
gottesanbeterischem Geheul. Zu hören und zu sehen ist das alles in – | |
Delmenhorst: In der dortigen Städtischen Galerie zeigt die Fotografin | |
Nathalie Grenzhaeuser ihr Spitzbergen. | |
Ein unberührter Sehnsuchtsort? Ein von Mythen umschwirrtes Faszinosum, | |
aufwartend mit dem Abglanz der Zeitlosigkeit: nachtlosem Sommersonnenlicht? | |
So in etwa werben Kreuzfahrtanbieter für ihre Arktisreisen. So wird der | |
norwegische Außenposten auch in Reiseführern präsentiert, während Literaten | |
eher vom „Schrecken des Eises und der Finsternis“ (Christoph Ransmayr) | |
berichten. All das, zwischen Buchdeckeln verpackt, ist in Delmenhorst nun | |
auch zu sehen, auf einer Fensterbank der Galerie. Es sind die Vor-Bilder, | |
mit denen Grenzhaeuser seit 2005 mehrmals die Region zwischen Nordkap und | |
-pol bereiste, ausgerüstet mit Mittelformatkamera und Weitwinkelobjektiv. | |
Anfangs ertappte sie sich dabei, solch klischiertes Erhabenheitspathos | |
nachzubilden, und suchte nach Entsprechungen der historischen Aufnahmen der | |
Arktisabenteurer. Von denen wird nun auch eine Sammlung gezeigt, in einem | |
Wandregal und ein wenig wahllos wirkend. Wie Gebetsteppiche davor | |
platziert: Rentierfelle. Und daneben Grenzhaeusers Impressionen – wie ihr | |
die noch lebendigen Rentiere in die Kamera glotzen. | |
Die Ausstellung „The Artic Series Part I“ zeigt an sanft gebläuten Wänden | |
eisig gebläute Fotos, zumeist menschenleer: Nichts ist zu sehen vom Leben | |
der Touristen, Robbenjäger, Grubenarbeiter, Meeresbiologen oder | |
Meteorologen. Obwohl die Künstlerin in Forschungsstationen, Bergwerken oder | |
bei Wanderungen durch die polaren Landschaften auf sie getroffen sein | |
dürfte. Sie zeigt lieber das frostig Abweisende der Natur und rückt die | |
Hinterlassenschaften der mal wissenschaftlichen, mal imperialen | |
Erschließung des Polarkreises in den Fokus. Manchmal erscheint Spitzbergen | |
wie die Kulisse eines James-Bond-Films: Hier könnten die Bösewichter ihre | |
Kommandozentrale zur Welteroberung/-zerstörung errichten. | |
Auf ihrer jüngsten Expedition verweigerte sich Grenzhaeuser dem eher | |
Journalistischen, Dokumentierenden, um exemplarische Motive zu Bildikonen | |
zu gestalten. Und es so den Landschaftsmalern gleichzutun: Ein Caspar David | |
Friedrich kopierte ja Rügens Kreidefelsen auch nicht präzise auf die | |
Leinwand, sondern idealisierte sie so, dass der Betrachter mit romantischen | |
Empfindungen reagiert. Grenzhaeusers „Konstruktion der stillen Welt“ will | |
eine eher meditative Stimmung beschwören. Dazu manipuliert sie ihre Fotos – | |
verrät das aber nur im Kleingedruckten eines Katalogs. Nur in sehr | |
kontraststarken Bereichen und bestenfalls auf dem dritten, vierten Blick | |
zeigt sich, dass digital ins analoge Ausgangsmaterial eingegriffen wurde. | |
Objekte wurden eliminiert, andere reincollagiert, auch bei der Farbgebung | |
wurde nachgeholfen. Das wirkt schon mal höchst irrealisierend: „Der Schmale | |
Grat“ etwa zeigt eine mit dem Lineal gezogene Horizontlinie, darunter tobt | |
das dramatisch verfinsterte Meer, darauf klebt silhouettenhaft ein Gebirge, | |
überformt von graublau drohendem, metaphysisch aufgerissenen Himmel. | |
Aber die Dramatisierung wirkt eher ent- als verzaubernd. Zu sehen ist: In | |
Sachen Realismus stimmt hier was nicht, zu erkennen ist aber nicht, wie das | |
Simulationsspiel funktioniert – oder worauf es hinaus will. Denn wer noch | |
nie in der Hauptstadt Spitzbergens, Longyearbyen, dem internationalen | |
Forscherzentrum in Ny-Ålesund oder bei den Förderanlagen in Svea war, dem | |
sind die Bedeutungsebenen zwischen Wirklichkeit und Fantasie unentwirrbar | |
verwoben. | |
Da helfen auch die Videoarbeiten nicht, schlicht gefilmt, schlicht | |
aneinandergereiht und in einer schlichten Black Box präsentiert: Hütte im | |
Schnee, Rentier mit Schnee, Vollmond über’m Schnee, Teleskop vor Schneeberg | |
... Von einem Sitzkissen in Eisberg-Anmutung aus ist zu erleben, was | |
Grenzhaeuser mit wackeliger Kamera eingefangen hat wie beim ersten Betreten | |
eines fremden Planeten – von der Tonspur tönt dazu eine Kakophonie aus | |
hochfrequentem Knarzen, Zischen, Knistern, Knacken. | |
Dass mit dieser Ausstellung nicht jeder schnell warm wird, liegt unter | |
anderem wohl am eisigen Wind, der akustisch durch die Galerie weht. Mehr | |
aber an der nur kunstwilligen Gestaltungskraft: einer Überästhetisierung, | |
mit der Grenzhaeuser die winterlichen Schnee- und sommerlichen Geröllwüsten | |
neu erfindet, aber nicht über sie hinausweist. Allerdings ist bisher auch | |
nur die Hälfte des Konzepts zu erleben: Auf die Delmenhorster Ausstellung | |
folgt Teil II in Bremerhaven. | |
„The Arctic Series. Part I“: bis 28.3., Städtische Galerie Delmenhorst; | |
„Part II“: ab 17.4., Kunsthalle Bremerhaven | |
18 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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