# taz.de -- Die Wahrheit: Der Beinahüberfall | |
> Was tun, wenn frau nachts in einer dunklen Straße unterwegs ist und ihr | |
> ein Halunke nachstellt? Da gibt es nur eine Verteidigung: verwirren! | |
So beginnen Überfälle: Nachts auf einem besonders dunklen Abschnitt der | |
ohnehin schon dunklen Wiener Straße in Kreuzberg taucht aus dem Schatten | |
ein Mann auf und verlangt ziemlich aggressiv nach Zigaretten. Ich gehe | |
einfach weiter, aber er bleibt neben mir, und es ist niemand da, den ich um | |
Hilfe bitten kann. | |
Zum Glück hatte anderthalb Jahre zuvor eine Gang hoffnungsvoller | |
Nachwuchskrimineller nachts in der U 1 genau erklärt, was in solchen Fällen | |
zu tun ist. Nachdem sie die Passagiere offenkundig für nicht weiter | |
terrorisierenswert hielten, gaben sie einige Verhaltensregeln aus. | |
Wichtigster Punkt: „Wenn euch jemand nachts nach Zigaretten oder nach dem | |
Weg fragt, passt auf, denn dann werdet ihr gleich überfallen.“ | |
Zum Weglaufen sei es dann aber meist schon zu spät, deswegen müsse man den | |
oder die Fragesteller entweder umhauen oder verwirren. Okay, also | |
verwirren. Womit aber kann man jemanden, der so wirkt, als habe er in | |
seiner langen Karriere als Frauenüberfaller schon wirklich alles erlebt, | |
zuverlässig derart kirre machen, dass er sein Vorhaben aufgibt? Ich setze | |
also zu einem sehr lehrreichen Bildungsvortrag über den Holmenkollen, die | |
älteste Skisprungschanze der Welt, an. Auf Norwegisch. | |
„Holmenkollbakken ligger ved utkanten av Oslo“, beginne ich meine | |
Ausführungen, während ich den Mann sehr freundlich anlächle. „Bakken ble | |
ombyggt i alt 19 ganger“, fahre ich fort. Obwohl keine andere Schanze der | |
Welt schon neunzehn Mal umgebaut wurde, wirkt der Überfaller nicht | |
beeindruckt. Er verlangt erneut nach Zigaretten. Das ist nicht gut, denn | |
ich bin sehr aufgeregt und weiß deswegen gerade gar keine interessanten | |
Statistiken mehr über den Holmenkollen zu erzählen. | |
Daher nicke ich dem Mann erst mal wohlwollend zu und berichte ihm von der | |
Kongebjørka in Molde, die zum Symbol des Widerstands gegen die Nazis wurde, | |
weil der damalige Kronprinz Olav zusammen mit seinem Vater König Haakon im | |
Sommer 1940 unter dieser Birke Schutz vor den Bombardements der Wehrmacht | |
gesucht hatte. Der Mann guckt ein wenig irritiert, was sicher nicht nur | |
daran liegt, dass es jetzt im lehrreichen Vortrag anscheinend nicht mehr um | |
den Holmenkollen geht. Aber das stimmt auch gar nicht: Olav war auch als | |
Skikongen, Skikönig, bekannt, und am Holmenkollen steht ein Denkmal des Ski | |
laufenden Königs. | |
„Zigaretten, los jetzt“, sagt der Mann, aber das ist jetzt ein ganz | |
schlechter Zeitpunkt, denn nun ist es Zeit für ein Gedicht: „Nå skal vi | |
høre en dikt av Nordahl Grieg“, Nordahl Grieg hatte das in Norwegen | |
berühmte Foto von Vater und Sohn unter der Birke nämlich zu ausgesprochen | |
vielstrophiger Lyrik mit dem Titel „Kongen“, König, inspiriert. | |
Irgendwann hatte der Mann dann tatsächlich genug, obwohl ich ihm gern auch | |
noch die norwegische Nationalhymne vorgesungen hätte. Er sagte nur noch: | |
„Boah, bist du bekloppt“, und ging einfach weg. Glück gehabt. Beim nächst… | |
Mal wird es allerdings nicht so einfach werden. | |
30 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Elke Wittich | |
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