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# taz.de -- Popmusikerin Sophie Hunger und Fußball: Fans sind manchmal dumm
> Die Schweizer Musikerin Sophie Hunger liebt Musik und Fußball. Auf ihrem
> aktuellen Album singt sie mit dem Exfußballer Éric Cantona.
Bild: Sophie Hunger bei den Swiss Music Awards 2016
In diesem Jahr gibt’s eine Fußball-EM, das heißt, es dürfte nicht mehr
lange dauern, bis die ersten Spaßkanonen ihre „Schland vor, noch ein
Tor“-Lieder ins Netz ballern. Wer so etwas für „Stimmung pur“ hält, kann
sich dazu noch eine CD-Compilation mit den besten Fußballsongs aller Zeiten
holen. Wobei beste in dem Falle immer Best-of-Schlimmste meint.
Aufmerksamen Beobachtern des Genres dürfte allerdings nicht entgangen sein,
dass von berühmten Sportlern kein Nachschub an Fußballhymnen kommt. Der
Promikicker singt nicht mehr, was zu den paradoxen, positiven Konsequenzen
der Vollprofessionalisierung und Kommerzialisierung des Fußballs gehört. Im
Zuge der Konzentration auf den Sport (gesunde Ernährung, keine Sperenzchen
abseits des Platzes, etc.) hat sich der singende Fußballer aus den TV- und
Plattenstudios verabschiedet. Dadurch fehlt’s auch den prominenten Musikern
an Kollaborateuren.
In dieser Situation offeriert ausgerechnet eine der klügsten und
niveauvollsten Popmusikerinnen der Gegenwart, Sophie Hunger, ein Duett mit
dem berühmten Exfußballer Éric Cantona. Sie hat mit dem Franzosen, der nach
seinem Karriereende 1997 ein erfolgreicher Schauspieler und Filmemacher
wurde, für ihr aktuelles Album „Supermoon“ den Titel „[1][Chanson
D’Helene]“ aufgenommen. [2][Das Originalduett] stammt von Romy Schneider
und Michel Piccoli aus dem Jahr 1970 und hat mit Fußball soviel zu tun wie
Sophie-Hunger-Musik mit Schunkeln. „Ich wollte das Lied gern neu aufnehmen,
aber das Problem ist, dass der Mann in dem Duett nur spricht“, erzählt die
momentan in Berlin wohnhafte Schweizerin beim Gespräch in der Kiezkneipe
„Kapitalist“.
„Wenn jemand nur spricht in einem Lied, ist das meistens sofort hinüber. Es
klingt doof und macht die Stimmung kaputt. Ich habe also überlegt, wen ich
nehmen kann, damit das nicht passiert. Mir fiel niemand ein.“ Bis sie auf
Cantona kam, den sie vor einigen Jahren kennenlernte, nachdem sie erfuhr,
dass er ihre Musik sehr mag und sie sogar für seinen Film über den
Migrationshintergrund der französischen Nationalspieler verwendet hatte.
„Cantona hat eine natürliche Autorität und berührt einen, wenn er redet. Er
war der ideale Partner.“
## Dribbeltricks durch Paris
Dass Cantona zur Zusammenarbeit bereit war, hat Sophie Hunger nicht nur
deshalb gefreut, weil sie ein Faible für interessante Menschen hat. Sie ist
auch ein Riesenfußballfan. Wobei sie das Spiel als solches liebt, nicht den
Bohei darum. Wenn sie über Fußball spricht – klar, ernsthaft und an keiner
Stelle kryptisch –, spürt man, dass ihre Begeisterung für den Sport
offenbar von denselben tiefen Gefühlen getragen wird wie ihre Beziehung zur
Musik. Das dürfte auch daher rühren, dass die 32-Jährige eine, früher hätte
man gesagt, absolute Sportkanone ist.
Sie spielt Tennis, war Schweizer Juniorenmeisterin im Hallenhockey und hat
fast drei Jahre beim Basketballklub Bonn gespielt. Ihre Hauptleidenschaft
gilt jedoch dem Fußball, wie man auch im Musikvideo zu „[3][LikeLikeLike]“
sieht, wo sie sich geschickt mit allerlei Dribbeltricks und straffem Schuss
durch Paris bolzt. Ja, sie könne das schon ziemlich gut, sagt sie. „Wenn
irgendwo ein Ball rumliegt, kann ich stundenlang spielen und mich darin
verlieren.“ Das kann sie auch im Reden über Fußball, den sie wie Tennis zu
einer wichtigen Konstante in ihrem Leben zählt.
Auch den Kung-Fu-Tritt von Cantona im Trikot von Manchester United gegen
einen pöbelnden Fan während einer Premiere League-Partie 1995 hatte sie als
12-Jährige gesehen. Diese ikonografische Szene hinterließ bei ihr einen
bleibenden Eindruck. „Dass er in diesem Moment die Erniedrigung einfach
nicht ausgehalten hat und sich davon befreien musste – das verstehe ich.
Irgendwie muss man sich ja als Mensch gegen solche Erniedrigungen wehren,
und es gibt Situationen – ich will das eigentlich nicht aussprechen, weil
es ja um Gewalt geht –,in denen man sich befreien muss.“ Das gesteht sie
rückblickend auch Zinédine Zidane zu, der im WM-Finale 2006 den Italiener
Materazzi nach einer auf seine Mutter zielende Beleidigung per Kopfstoß
niedergestreckt hatte.
Man könne von einem Spieler nicht erwarten, keine Identität mehr zu haben,
findet sie. Auch wenn viele Fans meinten, der Provozierte hätte das einfach
von sich abprallen lassen müssen. „Nein, Zidane ist ein Mensch mit einer
bestimmten Geschichte, er ist in den Banlieues aufgewachsen, ohne seine
Familie wäre er nichts geworden. Seine Geschichte hat ihn in dem Moment
voll getroffen.“ Während 95 Prozent der Fußballfans an diesem Punkt ins
Stammtischpalaver einsteigen würden, nimmt Sophie Hunger ihn als Ausgang
für einen klugen Gedanken und frommen Wunsch, der über den Fußball hinaus
geht. „Ich will keine Spieler, ich will überhaupt keine Menschen ohne
Identität. Solche Menschen werden unter Umständen zu Killern und
Psychopathen und kalten Tieren, die keine Moral mehr kennen.“
## Spieler ohne Charakter
Im Nu ist man beim Thema Fußballtypen und warum es heute praktisch keine
mehr gibt. „Elf-, zwölfjährige Talente, die heute bei Spitzenklubs
trainieren, geraten in eine Fahrbahn, in der sie von der Welt außer Fußball
wenig mitkriegen. Die können eben nicht gleichzeitig Hunderte Bücher lesen
und in Kunstausstellungen gehen und was man sich alles so an Reichtum im
Leben aufbauen kann. Vielleicht ist es auch so, dass die Spieler im sehr
taktisch geprägten modernen Fußball gar nicht mehr zu viel Charakter haben
sollen. Der Mangel an Typen könnte also auch damit zusammen hängen, wie
sich das Spiel entwickelt hat. Die Trainer werden immer wichtiger, sie
operieren mit den Spielern auf dem Platz fast ein bisschen wie mit
Soldaten.
Gleichzeitig gibt es diese Momente, wo einer mit einer individuellen Aktion
einfach den Unterschied machen kann. Und diese Typen, glaube ich, wird es
immer brauchen.“ Leute also, die sich nicht nur als Fußballer verstehen,
sondern Fußball nur als Teil ihres Lebens sehen. Leute wie früher Cantona
oder auch der Schweizer Alain Sutter oder Mehmet Scholl. Leute, die in
ihrer Nonkonformität einen großen Widerspruch bei vielen Fußballfreunden
offenlegen. Vor allem die Spezies des erfolgsorientierten Fans möchte
einerseits Typen, und gleichzeitig natürlich erfolgreiche Spieler, was
immer mehr Anpassung im Fußballsystem erfordert.
„In dem Punkt sind die Fans als Person sehr ungerecht und als Kollektiv
dumm“, sagt sie. „Dagegen bleibt der Spieler immer der Einzelne, der
funktionieren und möglichst wenig eigene Identität haben soll.“ Für die
Musikerin das große Dilemma, denn: „Erst durch das Entwickeln einer
Identität kriegst du die Freiheit, die du brauchst, um große Tore zu
schießen. Die schönsten Momente und unglaublichsten Tore, die einem die
Tränen in die Augen treiben, entstehen dadurch, dass die Spieler für eine
Sekunde die totale Freiheit in sich hatten. Diese Situation müssen sie
kreieren und provozieren, aber das geht nicht, wenn alle Spieler nur noch
Marionetten sind.“
## Muss Fußball wilder sein?
Trotzdem schwingt da keine billige Polemik mit. Fußball ist Freiheit – das
Bonmot von Bob Marley, das gelte in seiner Absolutheit heute eben nicht
mehr. Hunger ist keine Nostalgikerin, sie hält die Veränderungen für
normal. „Es gibt den Fußball der 50er, den der 60er, und der Fußball von
vor 20 Jahren hat auch nichts mehr mit dem heutigen zu tun. Es ist noch ein
Spiel, aber das Spiel kann irgendwann auch verloren gehen, wenn man es mehr
und mehr kontrollieren will.“ Der Fußball verändere sich mit der Rolle, die
er aktuell habe. Er werde fast zu einem anderen Spiel, zu einer Art
Strategiespiel, ähnlich wie American Football. „Vielleicht werden andere
Sportarten irgendwann interessanter, weil sie viel wilder und freier sind.
Am Ende sucht der Mensch immer nach der Freiheit.“
Da ist er dann doch – der kluge Link zwischen Kunst und Fußball, der so
gern gesucht wird, und meistens nur in der plakativen Verwandtschaft zweier
Massenpop-Phänomene gefunden wird. „Diese Idee von Der-Beste-sein gibt’s
aber nur im Sport, nicht in der Kunst.“ Manche Musiker würde sich zwar an
Chartplatzierungen messen, aber unter ernsthaften Musikern gäbe es diese
Vorstellung nicht. „Wir sind befreit von dem Problem, die Besten sein zu
müssen. Das ist eigentlich schön und gibt uns unsere Freiheit.“
Bei schönen Schlusssätzen sollte man eigentlich aufhören. Aber dann hat
Sophie Hunger noch eine kluge Erklärung, warum der Frauenfußball bei ihr
nicht verfängt. „Unsere Augen sind so sehr das Männerspiel gewohnt, dass
die Aufmerksamkeit sofort flöten geht, wenn die Pässe nicht klappen und das
Spiel nicht so perfekt ist. Das ist ungerecht, aber das ist leider auch in
der Musik so. Da kann ich mich auch über die Ungerechtigkeit aufregen, wenn
ich berühmte Bands sehe und was für schlechte Musiker die haben. Das ist ja
keine Geschmacksfrage. Ich selbst habe genug Liebe vom Publikum bekommen,
aber es gibt so viele unglaublich gute Kollegen, und wenn man dann hört,
was im Radio läuft …“
Apropos, ein Fußballsong von ihr, irgendwann? „Uninteressant wäre das
nicht. Allerdings ist es ganz schwer, einen Fußballsong zu schreiben, der
nicht peinlich ist.“
19 Mar 2016
## LINKS
[1] https://youtu.be/pXy-2-mObGo
[2] https://youtu.be/YEbQf14NgeA
[3] https://youtu.be/MzYRGfKm4f0
## AUTOREN
Gunnar Leue
## TAGS
Fußball
Frauenfußball
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