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# taz.de -- AC/DC-Sänger kann nicht mehr singen: Die Passionsgestalt ist nicht…
> Lemmy ist tot, Tony Iommi hat Krebs und Malcom Young hat alle drei
> Akkorde vergessen. Und jetzt macht auch noch AC/DC-Sänger Brian Johnson
> schlapp.
Bild: Wechselte selten die Mütze: Brian Johnson
Wer AC/DC auf einer der letzten Stadiontourneen gesehen hat, wird sich in
den vorangegangenen Tagen gewundert haben. Brian Johnson, der Shouter und
Screamer mit dieser an den Nerven seiner Verächter nagenden Sägezahn-, fast
hätte ich Stimme gesagt, aber es ist längst keine Stimme mehr, es ist ein
Seinszustand – dieser Brian Johnson kann, soll und will nicht mehr den
Schmerzensmann geben. Aber nicht, weil seine rostigen Stimmdrähte dann doch
endlich den Geist aufgegeben und sich mit einem lauten „Fling“
verabschiedet hätten, nein, es sind die Ohren. Ausgerechnet die Ohren.
Lemmy ist tot. Tony Iommi hat Krebs. Malcolm Young hat alle drei Akkorde
vergessen. Langsam müssen wir Liebhaber einsehen, dass unser Genre in die
Jahre kommt. Aber vielleicht zeigt der Fall Brian Johnson, dass wir nicht
mehr in den vorlauten Achtzigern leben.
Damals durften Bands wie Def Leppard noch für ihren Namen ein grimmiges,
aber unbedingt zustimmendes Nicken erwarten, der Motörhead-Chorus „Stone
Deaf in the USA“ drückte nichts anderes als obsessive Daseinsfreude aus und
jeder zweite Metal-Sampler hatte ein Cover, auf dem ein vor Schmerz
schreiender Headbanger aus den Ohren blutete, weil er seinen Kopf einmal zu
oft und einmal zu tief in die Lautsprecherbox gesteckt hatte. Drohende
Taubheit war nie ein Problem und schon gar kein Hinderungsgrund, im
Gegenteil, sie gehörte unmittelbar zur Metal-Folklore. Die
selbstzerstörerische Attitüde war ein Ausweis der Stammeszugehörigkeit.
Wenn aus dem grobianischen Spiel plötzlich Ernst wird, hört der Spaß
allerdings auf. Schon vor einigen Jahre tat Johnson in einem Interview
kund, dass er „ganz offensichtlich nicht mehr gut hören“ könne, vor allem
auf seinem linken Ohr. Aber damals hatte er noch Skrupel, seine
Insuffizienz mit der Musik in Verbindung zu bringen. Er habe einmal ohne
Gehörschutz in einem Rennwagen gesessen. „Ich konnte hören, wie mein
Trommelfell platzte, weil ich vergessen hatte, die Stöpsel unter meinem
Helm zu benutzen. So ist das passiert. Musik hatte nichts damit zu tun.“
Vielleicht soufflierte ihm das der PR-Manager, um nicht irgendeiner
verkniffenen gesundheitsapostolischen Elternorganisation Angriffsfläche zu
bieten und dadurch die Wertschöpfungsmaschine zum Stottern zu bringen. Denn
vermutlich ist das genau so ein medizinischer Mumpitz wie die aktuelle
Pressemeldung, er dürfe nicht mehr auf der Bühne stehen, weil der
unglaubliche Schalldruck seinem akustischen Sensorium nicht zuträglich sei.
Warum denn? Jeder Sprengmeister kennt doch Ohrstöpsel!
## Nichtgesang von ganz tief unten
Hat es vielleicht eher etwas damit zu tun, wie dieser Mann seine Töne
erzeugt? Die Arme angewinkelt, eng an die Brust gepresst, um genug
Kompression aufzubauen, tief übers Mikro gebuckelt, mit schmerz- oder
wenigstens vor Anstrengung verzerrtem Gesicht. Gelegentlich sprechen
Unkundige von seiner Falsett- oder Kopfstimme. Dieser Ausdruck führt in die
Irre, denn der Kopf ist hier vielleicht als Resonanzraum beteiligt oder
vielmehr als Überdruckventil, das würde dann seine Trommelfellprobleme
schon eher erklären, aber dieser Nichtgesang selbst kommt von ganz tief
unten aus der Kehle.
Ein Schweinebauer erzählte mal, seine Lieblingssau in froher Erwartung der
baldigen Fütterung hätte eine vergleichbare Intonation. Johnson pumpt
diesen nur teilweise menschlichen Sound mit einer fulminanten
Energieleistung nach oben. Und gerade in den letzten Jahren, als man ihm
ansah und häufig genug auch anhörte, wie sehr er sich dafür quälen musste,
wuchs seiner Darbietung eine ganz eigene Dignität zu.
Man musste davon gerührt sein, denn er quälte sich schließlich nur für das
Publikum. Insofern verlor Johnsons Performance nie an Qualität, er schmolz
seine stimmlichen Defizite in Charisma um. Wie soll es weitergehen bei
AC/DC ohne ihn? Wer kann diese Passionsgestalt auch nur ansatzweise
ersetzen? Niemand natürlich. Aber einer muss nun mal an seine Stelle
treten, denn es stehen zu viele Arbeitsplätze auf dem Spiel.
Der Name Chester Bennington von Linkin Park fiel, aber ihn auszusprechen
heißt auch schon, die Sache nicht ernstzunehmen. AC/DC-Mitgründungsvater
Dave Evans, der 1974 ein paar Monate den Platzhalter spielen durfte, bis
die Gebrüder Young mit Bon Scott einen richtigen Sänger gefunden hatten,
warf seinen speckigen Hut in den Ring und wollte es hinterher nicht gewesen
sein.
## Stimmbänder mit Guinnessbädern vorbereitet
Und dann ist man auch schon bei den AC/DC-Plagiatoren. Krokus sind die
erfolgreichsten. Sie bieten mit Marc Storace einen Schreihals auf, der in
der gleichen Tonlage marodiert und als Textdichter durchaus ähnlichen
Vorlieben frönt. Auch Airbourne machen als Quasi-Covertruppe einen ganz
guten Schnitt, aber Sänger Joel O’Keeffe ist ein zu großer
Alleinunterhalter, der erst einmal jede Scheinwerfertraverse hochgekraxelt
sein muss, bevor er sein Publikum entlassen kann. Außerdem spielt er
ebenfalls Leadgitarre.
All das dürfte Angus kaum gefallen. Der Phlegmat Hell Hofer von Bullet wäre
da schon eher zu gebrauchen, aber keiner der genannten Herren kommt
ernsthaft in Frage – bei AC/DC herrscht das genealogische Prinzip. Irgendwo
in einem abgedunkelten Hinterzimmer in London sitzt noch irgendein
Johnson-Großneffe, der seine Stimmbänder mit Guinnessbädern auf die
anspruchsvolle Aufgabe vorbereitet.
## Die letzte Bastion nehmen
Warum nicht mal eine Frau? Clare Cunningham von Thundermother etwa hätte
sicherlich nichts dagegen einzuwenden, aber wenn es nicht anders geht, soll
meinetwegen auch Brians Großnichte ran. Man muss sich mal vorstellen, was
sie mit diesen Songs anstellen könnte. „She was a fast machine, she kept
her motor clean / Was the best damn woman that I ever seen“. Oder: „Let me
put my love into you babe / Let me put my love on the line / Let me put my
love into you babe / Let me cut your cake with my knife“.
Eine Frau würde aus diesem Schlicht-und-Simpel-Sexismus ein polyvalentes,
mehrfach kodiertes Queer-Gender-Dingsbums machen. Oder in schöner Ironie
offenlegen, dass diese Texte nichts weiter sind als großmäuliger,
hirnverbrannter, nichtsnutziger, aber eben doch auch ganz hübsch klingender
Quatsch. Und AC/DC würden damit auch noch die letzte Bastion nehmen – Spex,
Emma und all die anderen.
28 Mar 2016
## AUTOREN
Frank Schäfer
## TAGS
AC/DC
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Rock
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Motörhead
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