# taz.de -- Geburtstag von Michail Gorbatschow: Kämpfer für Anerkennung | |
> Gorbatschow ist der erste und letzte Sowjet-Präsident, der mit Glasnost | |
> und Perestroika das System reformieren wollte. Nun ist er 85. | |
Bild: Michail Gorbatschow 2011 in Berlin. | |
Moskau taz | Es ist etwas ruhiger geworden um Michail Gorbatschow, den | |
ehemaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion - der | |
KPdSU. Am Mittwoch wird der erste und letzte Präsident der Sowjetunion 85 | |
Jahre alt. | |
Sein Projekt, das die Welt 1986 mit Schlagworten wie glasnost und | |
perestroika in ungläubiges Staunen versetzte, begeht ebenfalls in diesem | |
Frühjahr ein Jubiläum, das vierzigste. Offenheit (glasnost) und Umbau | |
(perestroika) hatte der kommunistische Generalsekretär der Staatspartei in | |
der Hoffnung verordnet, das marode sozialistische System noch vor dem | |
Siechtum bewahren zu können. Es waren Formeln der Verheißung. | |
„Gorbi“ wurde vor allem im Westen wie ein Messias gefeiert. Mit dem | |
freundlichen Funktionär betrat nach Jahrzehnten ein Russe die | |
internationale Bühne, den man nicht fürchten musste. Gorbatschow plädierte | |
für ein „Neues Denken“ und spielte mit dem Gedanken, ein „Gemeinsames Ha… | |
Europa“ zu errichten als Fundament einer neuen Sicherheitsarchitektur. | |
Die westlichen Eliten begegneten ihm anfangs mit Vorbehalten. Sollte es | |
wieder ein Propagandakrieg sein, auf den sich die Sowjets so trefflich | |
verstanden? Es dauerte jedoch nicht lange, da hatte sich das Verhältnis | |
gedreht. Der Westen schätzte und hofierte ihn. | |
## Tragik des Reformers | |
Die friedliche Grablegung des Kommunismus war ihm zu verdanken. Die | |
wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Umbaus und der Zusammenbruch der UdSSR | |
brachten hingegen die Mehrheit der Bürger im eigenen Land gegen ihn auf. | |
Das ist die Tragik des Reformers, der die Drohgestalt des gepanzerten | |
Russen im Westen und im sowjetischen Herrschaftsbereich demontierte. | |
Heute zählt wieder das Gegenteil: Macht und Militarismus, mit denen Moskau | |
den Nachbarvölkern droht. Viel Feind, viel Ehr, lautet die Devise des | |
Kreml. Das Lebenswerk des Reformers, die Ost-West-Entspannung, gehört schon | |
der Geschichte an. | |
Russland befindet sich wieder dort, wo Gorbatschow den Systemgegensatz | |
auflöste. Seit er 1991 notgedrungen vom Amt des Präsidenten zurücktrat, | |
gelang es ihm nicht mehr, eine politische Rolle zu spielen oder zumindest | |
als elderly statesman zuhause wahrgenommen zu werden. Als er 1996 zu den | |
Präsidentschaftswahlen antrat, erhielt er ein halbes Prozent. Ihm fällt es | |
schwer, die Ablehnung einzugestehen. „Ich habe nicht den Eindruck, dass sie | |
mich hassen“, sagte er über seine Landsleute. | |
Tatsächlich muss Gorbatschow für alle Übel herhalten. Das frühzeitige Ende | |
des Kommunismus, den Zerfall des Imperiums oder den Statusverlust in der | |
internationalen Politik. Russlands Gesellschaft spricht ihn in allen | |
Punkten für schuldig. Das liege an der fehlenden politischen Reife der | |
Gesellschaft, meinen russische Beobachter. Eine Gesellschaft, die vor | |
Verantwortung zurückschreckt, müsse auch Schuld delegieren. | |
## Nationalitätenkonflikt unterschätzt | |
Analytisches Denken war auch nicht Gorbatschows Stärke. Den | |
Nationalitätenkonflikt der UdSSR schätzte der Generalsekretär falsch ein, | |
auch die Reformierbarkeit der sozialistischen Wirtschaft hielt er für | |
möglich. Die Öffnung in Richtung westlicher Demokratie erfolgte erst, als | |
der Prozess nicht mehr aufzuhalten war. | |
Gorbatschow war ein Getriebener. Der Abwärtstrend der russischen | |
Staatlichkeit wiederholt sich gerade. Wieder wollen es die | |
Verantwortungsträger in Russland nicht wahrhaben. Wieder wird durch | |
Expansion und Militarismus versucht, den Autoritarismus zuhause zu | |
festigen. | |
Gorbatschow äußerte sich häufig kritisch über das System Putins. Vor allem | |
den Demokratieabbau im Innern bemängelte er scharf. Die Kremlpartei | |
„Einiges Russland“ nannte er gar einen Wiedergänger der KPdSU. Provokant | |
fragte er, ob Putin „sich gleich neben Gott“ sehe. | |
Im Unterschied zum Kremlchef Boris Jelzin, hatte Putin den letzten | |
Generalsekretär in den ersten Amtsjahren nicht übergangen. Das schmeichelte | |
ihm. | |
## Nicht gegen Ukraine-Abenteuer | |
Die Krim-Annexion schien unterdessen auch ihn in seinem Russischsein zu | |
überwältigen wie Millionen seiner Landsleute. Es entspreche dem Willen der | |
Bevölkerung dort, sagte er und schlug völkerrechtliche Bedenken in den | |
Wind. | |
Auch Moskaus Ost-Ukraine-Abenteuer lehnt er nicht ab. Die Ukraine gehört | |
demnach zur legitimen Einflusssphäre Moskaus. Entspannung hin oder her. | |
Gorbatschow war gar davon überzeugt,“ dass Putin besser als jeder andere | |
die Interessen Russlands verteidigt“. Hier schimmert das Grundmuster der | |
russischen Welt durch. | |
In dieser Atmosphäre stimmte er 2015 auch in den Hassfeldzug gegen die | |
„große Seuche USA“ ein. Selbst Deutschland verschonte er nicht. Mit Blick | |
auf die Ukraine wolle sich Berlin an der neuen Teilung Europas beteiligen. | |
„Hat es im Zweiten Weltkrieg nicht schon einmal versucht, seinen | |
Machtbereich nach Osten zu erweitern?“ | |
Das ist verstörend zu hören von einem der größten Reformer des 20. | |
Jahrhunderts. Er ist zwar nicht mehr bei bester Gesundheit, doch sein Geist | |
ist wach. Dutzende Male wurde er im hasserfüllten russischen Internet schon | |
totgesagt. | |
Das kann er sich gar nicht leisten, denn er muss Bücher schreiben, um Geld | |
zu verdienen. Sonst steht der Gorbatschow-Fonds vor dem Aus. Seit Putin | |
NGOs mit ausländischer Hilfe als „ausländische Agenten“ brandmarkt, geht | |
dem Reformer das Geld aus. | |
2 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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