| # taz.de -- Wie schwarz ist Oberschwaben?: Hinter den Bergen | |
| > Es ist die Region in Baden-Württemberg, in der die CDU etwas weniger | |
| > Stimmen verloren hatte als anderswo. Doch auch hier ist die Ordnung weg. | |
| Bild: Oberschwaben: Die Region erstreckt sich vom Bodensee zum oberen Donautal.… | |
| Riedlingen/ Maselheim/ Weingarten taz | Oberschwabens Provokation ist 39 | |
| Jahre alt und bestellt sich um 8.23 Uhr ein Bier. Markus Mark, er trägt | |
| Uniform. Marine. Ein Kostüm. | |
| Es ist Karneval, der heißt hier Fasnet und das ist wichtig. Draußen zieht | |
| eine Polonaise vorbei, Markus Mark sitzt hinter den Fensterscheiben des | |
| Stadtcafés Reinke. Er schwänzt. | |
| Das gibt Ärger, sagt Mark. | |
| Strohblondes Haar. Die Mütze darauf, zu groß, macht ihn zum Spitzbuben. Die | |
| Männer der Stadt stutzen, als sie die Fotos sehen, die Mark an die | |
| Fensterscheibe geklebt hat. Er mit Narrenkappe, die nur der Narrenchef | |
| tragen darf, und das ist er nicht. Das macht 50 Euro, sagt einer von der | |
| Narrenzunft, Strafe. Mark zahlt. Er will ja noch Aufträge bekommen als | |
| Parkettverleger, so läuft das hier. | |
| ## Vom Bodensee bis zum oberen Donautal | |
| Oberschwaben. Eine Region, die sich vom Bodensee bis zum oberen Donautal | |
| erstreckt, bei gutem Wetter reicht der Blick auf die Voralpen. Statt einer | |
| Autobahn zerschneiden einspurige Bundesstraßen die Region und führen von | |
| barockem Münster zu barockem Kloster zu barockem Hochaltar. Lang hatte die | |
| CDU hier Rekorde aufgestellt, vielerorts holten sie 60, 70 Prozent der | |
| Wählerstimmen. Bei der letzten Landtagswahl sah das anders aus. Immerhin: | |
| Oberschwaben ist die Region, in der die CDU etwas weniger Stimmen verloren | |
| hat als andernorts. | |
| CDU, das war die Partei für die Industrie, die Grünen für die Ökos, FDP für | |
| Reiche und die SPD egal. Inzwischen aber ist nicht mehr viel Politik links | |
| von Angela Merkel, die FDP kämpft um jede Stimme. Und Baden-Württemberg | |
| wurde fünf Jahre lang von einem Grünen regiert und ist trotzdem nicht im | |
| Chaos versunken. Was macht das mit einer Region wie Oberschwaben, in der | |
| lange alles eindeutig war – eindeutig schwarz? | |
| ## Riedlingen | |
| 10.000 Einwohner. Fremdenzimmer im Gasthaus zum Hirschen, Jugendliche, die | |
| bei King Kebap den Abend verbringen. 2011: CDU 53,5 Prozent. Grüne 18,3 | |
| Prozent. Markus Mark, CDU-Mitglied seit 2002, Vorsitzender des | |
| Stadtverbands. Frau, Kinder, Haus. Er führt das Unternehmen Mark Parkett & | |
| Boden, weil es früher sein Vater geführt hat. Heute: Froschkuttelessen. | |
| Die Froschkutteln sind das Ereignis der Stadt, seit 1829. Die Männer der | |
| örtlichen Narrenzunft treffen sich früh am Morgen, ziehen in einer | |
| Polonaise durch die Stadt, trinken Rotwein und essen Innereien, erzählen | |
| sich schmutzige Witze. Die richtig schmutzigen kosten. Marks Spitzenwert: | |
| 30 Euro. Da ging es um Cem Özdemir und seine Mutter. Schreib den nicht in | |
| die Zeitung, sagt Mark. Und Kretschmann? Der hatte keine Miene verzogen | |
| damals, aber die Geldbuße gefordert. Ja, der Kretschmann. | |
| Ministerpräsident, der erste, den die Grünen haben. Der ist seit seiner | |
| Schulzeiten bei den Froschkutteln dabei und heißt bei allen hier nur | |
| Kretsche. Sein Herausforderer Guido Wolf ist auch gekommen, aber erst zum | |
| dritten Mal, das ist den Riedlingern wichtig. Klar, den wird Mark, der | |
| CDU-ler, wählen. Und Kretsche? „Super Typ“, sagt er. Das darf in der | |
| Zeitung stehen. | |
| Das mit der CDU läuft für Mark nicht mehr so gut, obwohl er dem | |
| Stadtverband vorsitzt. Weil er mal gegen die Krankenhausschließung | |
| mobilisiert hatte, sagt er. Am Ende standen Dutzende Oberschwaben mit | |
| Trillerpfeifen auf der Straße. „Stell dir das mal vor“, sagt Mark. Eine | |
| Demo, in Oberschwaben! Jetzt bekommt Riedlingen ein neues Krankenhaus und | |
| Mark Zweifel an seiner Partei. Die wollten nichts verändern, sagt er. | |
| ## Maselheim | |
| 4.400 Einwohner. Das Ortszentrum ist eine Kreuzung, Rathaus, Kirche und | |
| Hotel stehen sich hier gegenüber. 2011: CDU 51,1 Prozent, Grüne 20,6 | |
| Prozent. 1991: Elmar Braun wird der erste grüne Bürgermeister Deutschlands. | |
| Ministerpräsident Kretschmann sagt, ohne Braun würden die Grünen im Land | |
| heute nicht regieren. Braun findet, Kretschmann ist der beste | |
| Ministerpräsident, den das Land je hatte. Mancher würde also sagen, hier | |
| hat das Ende der Schwarzen begonnen. Aber was denkt ein Grüner über | |
| Oberschwaben? „Bei uns ist es hügelig“, sagt Bürgermeister Braun, „wir | |
| sehen nicht so weit.“ | |
| Elmar Braun regiert Maselheim seit einem Vierteljahrhundert. An einer Wand | |
| in seinem Büro hängt eine Holzplanke. Er hat sie aus einem Baum | |
| geschnitten, sie ist an einigen Stellen aufgesprungen, das wollte Braun so. | |
| Er mag es, das Holz dabei zu beobachten, wie es sich verändert. Heimat, | |
| sagt Braun, das ist für ihn ein Ort, an dem er einen Baum pflanzen möchte. | |
| Oberschwaben, das ist dort, wo man bleibt. Braun besitzt einen ganzen Wald. | |
| Braun sagt, und dabei gibt er sich nicht einmal Mühe, hochdeutsch zu | |
| sprechen, Oberschwaben, „desch war denen ihr Land“. Desch der CDU. Das | |
| Parteibuch war Pflicht für jene, die etwas werden wollten, aber das ist | |
| längst vorbei. Braun erzählt von zwei Männern die sich lieben, die ersten, | |
| die hier im Rathaus geheiratet hatten. Das war vor zwei Jahren. Ganz | |
| normal, sagt Braun. Ganz normal, sagt Brauns Mitarbeiterin. Gemeinsam haben | |
| sie aus dem Fenster geguckt. Hinter Brauns Schreibtisch steht ein Foto vom | |
| Papst. | |
| ## Die Generation Shareholder Value | |
| Braun sitzt in einem Restaurant, nach Rotbarsch und Mineralwasser. Spricht | |
| er über Politik, benutzt er gerne Worte wie Verlässlichkeit. Leben, leben | |
| lassen. Warum scheint die Zeit der Schwarzen hier vorbei? Ein Gast hört die | |
| Frage und sagt: „Hauptsache Profit, das geht eben nicht mehr.“ Das habe in | |
| eine Zeit gepasst, als Industrieunternehmen in die Landwirtschaftsregion | |
| kamen, so erfolgreich, dass heute mancherorts von Vollbeschäftigung | |
| gesprochen werden kann. „Wir“, sagt der Mann in tiefem Schwäbisch, „die | |
| Generation Shareholder Value, haben dazugelernt.“ Werte, Nachhaltigkeit – | |
| er wählt Begriffe, wie von Braun eingeflüstert. Der guckt zufrieden. | |
| Einmal, erzählt Braun, habe ihn Kretschmann, gerade Ministerpräsident, | |
| gefragt, was er für die Gemeinden tun könnte. Nichts, hatte ihm Braun | |
| geantwortet, lasst uns bloß in Ruhe. Nur nicht noch mehr Regeln. Braun hält | |
| nichts von den Veggie-Day-Grünen in Berlin. Er glaubt, dass der Mensch das | |
| Richtige tut, wenn man ihn lässt. Und wenn sich doch einmal einer irrt, | |
| kann er ja Buße tun. Das meint Braun vielleicht sogar ernst. | |
| ## Weingarten | |
| 23.600 Einwohner. Eiscafé Venedig, Coiffeur und Metzger. Mehr als 6.000 | |
| Studierende. Über der Stadt erhebt sich ein Kloster. 1715 hatten die Welfen | |
| versucht, einer Reliquie – Erde, auf die Jesu Blut getropft sein soll – | |
| eine angemessene Stätte zu bauen. Ein österreichischer Architekt mit | |
| schwäbischem Selbstbewusstsein orientierte sich dafür am römischen | |
| Petersdom. Die Reliquie selbst ist eine gläserne Ampulle in der Größe eines | |
| Kinderfingers. 2011: CDU 40,6 Prozent, Grüne 24,7 Prozent. Die letzten | |
| Benediktiner-Mönche haben 2010 die Stadt verlassen. Stattdessen schlafen | |
| heute Geflüchtete in den Zellen des Klosters. | |
| Die katholische Kirche strukturiert das oberschwäbische Jahr. Katholische | |
| Feste, sagt Ekkehard Schmied, der katholische Pfarrer der Gemeinde, würden | |
| dort besonders ausgiebig gefeiert, wo Protestanten im Nachbarort lebten – | |
| ein symbolischer Akt gegen die Landesregierung im fernen Stuttgart, den | |
| evangelischen Württembergern, die sich Oberschwaben 1806 einverleibt | |
| hatten. Weltoffen, nennt Schmied die Region, schließlich hätten sie schon | |
| früher Handel bis Genua betrieben. Heute sorgen die großen Unternehmen | |
| dafür, dass Fremde zuziehen. Seine Kirche leert sich trotzdem – oder gerade | |
| deshalb. Das ändert viel in einer Region wie Oberschwaben, in der Kirchen | |
| über Städten thronen und nicht Schlösser, wie im protestantischen Westen | |
| des Bundeslandes. | |
| Die Stadt ist nach dem Kloster benannt und nicht andersherum. Einmal im | |
| Jahr segnet Schmied 30.000 Pilger mit der Blutsreliquie. Dafür reiten 3.000 | |
| Männer in Frack und Zylinder in die Stadt ein, früher die Bauern der | |
| Umgebung, heute diejenigen, die reiten und ein Pferd auftreiben können. | |
| Winfried Kretschmann ist als Ministerpräsident zu Gast, Guido Wolf schon | |
| seit seiner Jugend. Er ist in Weingarten geboren. | |
| ## „Gibt es ein Wir?“ | |
| Neuerdings, sagt Schmied, fühle er sich manchmal hilflos. Er würde ja gerne | |
| dabei sein, mitgestalten, jetzt, wo sich die Region fragen muss, was aus | |
| ihr wird. Er läuft an der Basilika vorbei, am Obdachlosen unter dem | |
| Torbogen und an den englischsprachigen Studenten, die rauchend vor dem | |
| Eingang der Hochschule stehen. Erst am weißen Container wird er | |
| aufgehalten. Dort stehen zwei Männer in oranger Warnweste. Er dürfe hier | |
| nicht weiter, sagt einer von ihnen. Hinter dem Container, im Seitenschiff | |
| des Klosters, leben die Geflüchteten, aber um die kümmern sich andere. | |
| „Wir sollten das Erbe der Region schätzen und pflegen“, sagt Schmied. | |
| „Aber“, fragt er, „gibt es ein Wir?“ Neulich, erzählt er, habe ein Mus… | |
| gefragt, ob er beim nächsten Blutritt mitreiten dürfe. Wenn das für ihn | |
| okay sei, dass er an einer Pilgerfahrt zur Bezeugung Jesu Christi | |
| teilnehme, hatte er geantwortet. | |
| „Die Kirche muss sich ja auch verändern“, sagt er, seinen Blick dabei starr | |
| vor sich gerichtet. So ganz sicher ist er sich noch nicht. | |
| 11 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Christina Schmidt | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg | |
| CDU Baden-Württemberg | |
| Schwerpunkt Landtagswahlen | |
| Wahlkampf | |
| Jörg Meuthen | |
| Schwerpunkt Landtagswahlen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Vor den Landtagswahlen: Und Merkel so: Bitte integrieren! | |
| Die Wahlen gelten auch als Stimmungstest für die Politik der Kanzlerin. Sie | |
| macht nochmal eine klare Ansage. Auch sonst ist Wahlkampfendspurt | |
| allerorten. | |
| Wahlkampf in Baden-Württemberg: Die Enkel der Hetzerin | |
| Die Grünen finden, dass die Junge Union mit einem Plakat rassistische | |
| Ressentiments schürt. Es wäre nicht das erste Mal. | |
| AfD-Kandidat in Baden-Württemberg: Der Mann, der alle mitnehmen will | |
| Jörg Meuthen ist Spitzenkandidat seiner Partei in Baden-Württemberg. Er | |
| gibt sich seriös und liberal. Geht das in der AfD überhaupt? | |
| Winfried Kretschmann zur Landtagswahl: „Es kommt richtig etwas ins Rutschen“ | |
| Am 13. März sind Wahlen – auch in Baden-Württemberg. Ministerpräsident | |
| Kretschmann über Europas Zukunft, pragmatische Politik und die Grünen als | |
| Volkspartei. |